Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Beim Klimaschutz sind plötzlich die Amerikaner Vorbild
Große Koalition will erneuerbare Energien etwas stärker ausbauen, doch Umweltverbänden reicht das nicht
- Dass die deutschen Umweltverbände mal neidisch in Richtung USA schauen würden, hätte man sich bisher nicht denken können. „In den USA werden gerade massive Investitionen in die Zukunft aufgerufen“, sagt Kai Niebert, Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR), so etwas wie der DGB der deutschen Umweltschützer. Rechne man die billionenschweren US-Ausgaben in den Klimaschutz auf Europa um, werde der Green Deal des alten Kontinents zur kleinen Nummer.
Die Augen aller Klimaschützer richten sich gerade nach Washington, wo einen Tag, nachdem die EU ihr neues, ambitioniertes Klimaziel ausgerufen hat, US-Präsident Joe Biden nachzog. Auf einem virtuellen Klimagipfel mit Staatschefs aus aller Welt kündigte er an, die US-Klimaziele ebenfalls anzuheben. Demnach wollen die Vereinigten Staaten im Jahr 2030 fünfzig Prozent weniger CO2 ausstoßen, als dies 2005 der Fall war.
„Die USA sind mit Wumms zurück“heißt es auch beim WWF. „Die EU und Deutschland müssen aufpassen, in Sachen Klimaschutz nicht von den USA überholt zu werden“, sagt Klimaexperte Niklas Höhne. Während die klimapolitische Dynamik international an Fahrt aufnimmt, kommt die Große Koalition beim
Ausbau von Wind- und Sonnenstrom nur in Trippelschritten voran. Zwar konnten SPD und CDU sich am Donnerstag einigen, die Ausbauziele für Windkraft und Solarenergie anzuheben. Die neuen Zahlen kommen jedoch nicht mal in die Nähe der neuen europäischen Klimavorgaben. Sie erreichen nicht einmal das Niveau der Absichtserklärung, die CDU und SPD im Dezember verfasst hatten.
Allerdings ist schon die Einigung an sich ein Erfolg, der nicht zwingend zu erwarten war. Grund sind die Verstrickungen der maßgeblichen Unions-Energieexperten Georg Nüßlein (CSU) und Joachim Pfeiffer (CDU) in Masken- und Nebentätigkeitsaffären. Die SPD hat die Gespräche vor einem Monat nach Bekanntwerden der Vorwürfe unterbrochen, weil sie die Unabhängigkeit der Unionskollegen in Zweifel gezogen sah. Beide Abgeordnete sind inzwischen von ihren Ämtern zurückgetreten.
Nun scheint sich die Hoffnung der Sozialdemokraten bewahrheitet zu haben, dass die Gespräche ohne Nüßlein und Pfeiffer konstruktiver verlaufen könnten. Beiden waren für ihre Blockadehaltung beim Ausbau erneuerbarer Energie bekannt, Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer prägte für sie den Begriff der „AntiWindkraft-Taliban“.
Mit den neuen europäischen Vorgaben wird diese Haltung langfristig nicht mehr durchsetzbar sein. Denn für Deutschland wird das neue Klimaziel erhebliche Mehranstrengungen bedeuten, die nach Meinung vieler Experten nur zu schaffen sind, wenn das Land weitgehend elektrifiziert wird: Im Verkehr müssen Elektroautos die Verbrenner ersetzten, in Gebäuden Wärmepumpen Öl- und Gasheizungen, die Zement-, Stahlund Chemieindustrie von fossiler Energie auf Wasserstoff umstellen. Der Stromverbrauch, so sind sich Experten
lagerübergreifend sicher, wird in Zukunft deswegen massiv ansteigen.
Peter Altmaiers (CDU) Wirtschaftsministerium jedoch geht nach wie vor davon aus, dass die zusätzliche Stromnachfrage durch Effizienzeinsparungen ausgeglichen wird und der Strombedarf deswegen konstant bleibt. Die Experten vom renommierten Energiewissenschaftlichen Institut (EWI) sind sich deswegen sicher: Nach derzeitigem Stand wird Deutschland seine Ökostromziele krachend verfehlen. Auch DNR-Präsident Niebert fordert hier Bewegung: Die Ausbaupfade müssten den zusätzlichen Strombedarf abdecken.
Dafür seien auch die Länder in der Pflicht. Die würden nicht genug Flächen ausweisen und müssten zudem ihre Behörden besser ausstatten. Denn selbst wenn der Bund Ökostrom wie nie ausbauen wollte, würde er durch die Bürokratie gehemmt. So dauert es in der Regel mehrere Jahre, bis ein Windrad genehmigt ist. Dafür ist auch ein föderaler Flickenteppich in Sachen Artenschutz verantwortlich: Jedes Land hat andere Regeln, mit denen es Vögel vor Windrädern schützen möchte. Zumindest für dieses Problem hat Umwelt-Staatssekretär Flasbarth eine Lösung angekündigt. Sollten die Länder sich nicht einigen, will er den Vogelfrieden per Bundesgesetz erzwingen.