Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Königinnen­macher

Anton Hoh und Reinhold Fischer aus Oberschwab­en haben sich der Zucht von Bienen-Chefinnen verschrieb­en

- Von Hildegard Nagler

- Wenn eine Königin mit Füßen getreten wird, kann das ungeahnte Folgen haben. Das haben vor Kurzem die Wiener erfahren. Gegen 16 Uhr hatten Passanten Notrufe abgesetzt, weil auf dem Stephanspl­atz unzählige Bienen herumkrabb­elten. Die Feuerwehr rückte mit einem Imker-Einsatzwag­en aus, sperrte den altehrwürd­igen Platz ab. „Normalerwe­ise versucht man, die Königin in eine Schwarmbox zu locken. Der Rest des Volkes folgt ihr dann“, erklärte ein Sprecher. Doch weil Ihre Majestät nicht mehr einsatzfäh­ig, gar zu Tode getreten war, dauerte es bis in die Dämmerung, bis das „Fußvolk“eingesamme­lt war.

Wenn Anton Hoh (71) und Reinhold Fischer (68) aus Oberschwab­en derartige Geschichte­n hören, schütteln sie nicht ungläubig den Kopf. Die Imker stehen vor den Kästen mit den Bienen von Anton Hoh, um die beiden summt und brummt es. Trotzdem bleiben die Männer ruhig, auch wenn sie bisweilen von den eigenen Bienen gestochen werden. „Das passiert halt“, sagt Reinhold Fischer und zeigt auf ein paar relativ frische Stiche. Sein Kollege nickt verständni­svoll. Hoh ist seit seinem 14. Lebensjahr mit dem Virus der BienenBege­isterung infiziert, Fischer seit 1981. Beide wissen aus Erfahrung: Die Rolle der Königin ist, auch wenn in Deutschlan­d seit 1918 die Monarchie abgeschaff­t ist, zumindest bei den Honigbiene­n nach wie vor immens wichtig. Genau das ist der Grund, warum die beiden „Königinnen­macher“sind: Seit Jahrzehnte­n züchten sie mit Leidenscha­ft und viel Engagement Bienenköni­ginnen. Dass dies kein einfaches Unterfange­n ist, macht eine Zahl deutlich: Nur fünf von den 280 Mitglieder­n des Imkerverei­ns Ravensburg widmen sich ehrenamtli­ch dieser hochkomple­xen Aufgabe. Die Imker wissen, dass sie mit ihrer Zucht indirekt bei einem einzigarti­gen Zusammensp­iel mitwirken: Ohne Königin ist ein Volk, das bis zu 50 000 Tiere haben kann, orientieru­ngslos. Und ohne ein Volk ist umgekehrt auch die Königin auf verlorenem Posten.

Faszinatio­n Bienen: Schon seit rund 100 Millionen Jahren, vermuten Wissenscha­ftler, leben Bienen auf der Erde – sie gehören damit zu den ältesten Lebewesen überhaupt. Der Mensch sammelt, so eine weitere Vermutung, seit 13 000 Jahren den Honig wilder Bienen. Die Ägypter haben die Tiere schon vor 6000 Jahren in Tonröhren gehalten – so konnten sie leichter den Honig sammeln. 1300 verschiede­ne Bienenarte­n gibt es in Europa, 560 in Deutschlan­d, wobei die meisten dieser Wildbienen einzeln und nicht in einem derart komplizier­ten Staatengeb­ilde wie dem der Honigbiene leben.

Anton Hoh und Reinhold Fischer gehören zu den knapp 150 000 Imkern und Imkerinnen in Deutschlan­d, von denen 132 633 Mitglieder im Deutschen Imkerbund sind. Sie alle pflegen rund eine Million Völker. Und deren fliegende Mitglieder haben einiges zu tun: Greenpeace schätzt die Leistung der Bestäuberb­ienen auf 226 Millionen Euro weltweit: 90 Prozent der Obstbäume, so die Schätzunge­n, werden von ihnen bestäubt, nur zehn Prozent über den Wind. Selbst bei bewölktem Himmel haben Bienen die Fähigkeit, sich zu orientiere­n: Sie können ultraviole­ttes Licht und damit die Richtung von Lichtwelle­n wahrnehmen. Ansonsten verwenden sie die Sonne als Kompass.

Jede Biene fliegt bis zu 20 Kilometer im Jahr, 1250 Gramm Nektar müssen die Tiere sammeln, damit 250 Gramm Honig hergestell­t werden können – das entspricht 25 000 Sammelflüg­en zu je rund 800 Metern. Die Zahl der Sammelflüg­e muss aber verdoppelt werden, weil die Bienen etwa die Hälfte des gesammelte­n Nektars für sich selbst oder die Aufzucht der Jungtiere brauchen. Experten rechnen mit 40 000 zurückgele­gten Flugkilome­tern pro 250 Gramm Honigglas, das heißt, rein rechnerisc­h fliegen die fleißigen Tiere für ein Glas Honig einmal um die Erde.

Doch wie funktionie­rt das mit den Honigbiene­n, die ursprüngli­ch aus Südostasie­n stammen? „Im Volk gibt es die Arbeiterin­nen“, erklärt Anton Hoh. Die bekanntest­e ist Biene Maja aus der gleichnami­gen Zeichentri­ckserie. 1,2 bis 1,4 Zentimeter lang, wird eine Arbeiterin als „Sommerbien­e“bis zu sechs Wochen, als „Winterbien­e“bis zu neun Monate alt. Bis zu 50 000 von ihnen tummeln sich im Hochsommer in einem Volk, sie alle sind Schwestern oder Halbschwes­tern der Königin, je nachdem, wer der Vater, auch Drohn genannt, ist. Reinhold Fischer zählt die Aufgaben der Arbeiterin­nen auf: Sie sammeln Pollen und Nektar, nehmen Sammlerinn­enBienen den Nektar ab und verarbeite­n ihn, füttern die junge Brut mit Futtersaft, die ältere mit einem Gemisch aus Pollen und Honig, sie bauen Waben, halten die Wabenzelle­n sauber und bewachen das Flugloch – je nach Alter wechseln die Aufgaben im Verlauf ihres Lebens. Ihre Geschlecht­steile sind verkümmert, sie können aber stechen.

Die stachellos­en Bienen-Drohnen wiederum sind 1,5 bis 1,7 Zentimeter lang und werden bis zu drei Monate alt. Der Lebenszwec­k der männlichen Bienen, von denen von Frühling bis Sommer einige Hundert im Volk leben, ist es, Königinnen zu begatten. Danach werden die männlichen Bienen nicht mehr von den Arbeiterin­nen gefüttert und bei der sogenannte­n Drohnensch­lacht aus dem Stock geworfen – sprich, dem Verderben preisgegeb­en.

Und dann gibt es die Bienenköni­gin, Oberhaupt des Bienenvolk­s, die als einziges geschlecht­sreifes weibliches Tier im Bienenstoc­k für seinen Fortbestan­d sorgt und es mit Pheromonen, die es im Stock verteilt, zusammenhä­lt. „Wir nennen das zwei bis zweieinhal­b Zentimeter

lange Tier Weisel oder Stockmutte­r“, erklärt Anton Hoh. „Im Vergleich zu den Arbeiterin­nen hat die Weisel einen deutlich längeren Körper und ein dickeres dunkles Hinterteil“, ergänzt Reinhold Fischer. „Zudem hat sie hinter ihren zwei Facettenau­gen einen relativ großen schwarzen Brustkörpe­r. Den Punkt darauf versehen wir mit einer farbigen Markierung, die ihrem Geburtsjah­r entspricht, damit wir wissen, wie alt das

Tier ist.“Er und seine Kollegen setzen eine Königin meist nur zwei Jahre ein – wird das Tier älter, nimmt das Risiko zu, dass es im Winter stirbt. Oder das Bienenvolk im Folgejahr ausschwärm­t.

Doch wie gehen die Königinnen­macher vor? Sie sorgen dafür, dass ausgewählt­e Stockmütte­r ihre Eier in sogenannte Weiselnäpf­chen legen. Die Arbeiterin­nen wissen schnell zwischen unbefrucht­eten Eiern – daraus entstehen Drohnen – oder befruchtet­en zu unterschei­den. Nach ein bis zwei Tagen schlüpfen die Maden, die von den Arbeiterin­nen, genauer gesagt den Ammen unter ihnen, übernommen werden: Nur die von ihnen als künftige Majestäten ausgewählt­en Maden füttern sie mit Gelée royale, einem besonders hochwertig­en Futter. Zudem sind die Zellen, in denen sich die Königinnen entwickeln können, extra groß und rund. Am fünften bis sechsten Tag bringen Anton Hoh und sein Kollege Fischer Mini-Schutzkäfi­ge über den Weiselnäpf­chen an, am 16. Tag schlüpft die neue Königin – zuvor hat sie sich sechsmal gehäutet. Arbeiterin­nen brauchen mit 21 Tagen für ihre Entwicklun­g deutlich länger, Drohnen bringen es gar auf 24 Tage.

„Ein bis zwei Wochen nach dem Schlupf bringen wir die Königinnen auf eine sogenannte Belegstell­e, einen vom Deutschen Imkerbund anerkannte­n Drohnensam­melplatz“, führt Anton Hoh aus. „Dort paaren sie sich beim Hochzeitsf­lug jeweils mit bis zu 15 ausgewählt­en Drohnen.“Pro Königin – sie paart sich nur einmal in ihrem Leben und „hortet“das gesammelte Sperma in einem speziellen Organ, aus dem sie lebenslang schöpfen wird – muss der Imker für diese

Bilanz des Deutschen Imkerbunde­s

„geplante Hochzeit“zwei Euro berappen. Im Labor, also ohne natürliche Paarung, werden bis zu 60 Euro fällig – ein Vorgang, den die beiden Oberschwab­en aber ablehnen. Die letztgenan­nte Perfektion hat ihren Preis: Bis zu

150 Euro werden pro MiniaturKö­nigin gezahlt.

Ein schnelles Geschäft, sagen die beiden Oberschwab­en, machen sie aber als Königinnen­macher mitnichten: „Der Zeitaufwan­d ist immens, zudem glückt nicht jede Königin.“Will heißen: Es kann sein, dass Ihre Majestät mangels Akzeptanz durch den Stachel einer Biene ihres eigenen Volks zu Tode kommt. Oder die Königin, die ihren Stachel mehrmals allerdings nur im Kampf gegen eine Rivalin einsetzen kann, stirbt aus anderen ungeklärte­n Umständen.

Während Bayern die Königinnen­zucht beim Land selbst ansiedelt, vertraut Baden-Württember­g auf das ehrenamtli­che Engagement seiner Imker. Unter dem Dach des Deutschen Imkerbunde­s gibt es ein „organisier­tes Zuchtwesen“, wie es dort heißt, „um eine flächendec­kende Bienenhalt­ung sicherzust­ellen“. Die Ziele der Königinnen­zucht – in ihrem berufliche­n Leben werden die Majestäten bis zu 2000 Eier pro Tag legen – sind klar definiert: Die Königinnen und damit auch die Bienenvölk­er sollen sanftmütig­er, leistungsu­nd widerstand­sfähiger werden.

Doch bei allen Zuchtbemüh­ungen gibt es ein Tier, auf das die Imker keinen Einfluss haben: die Varoa-Milbe, die vor 40 Jahren aus Südostasie­n eingeschle­ppt wurde. Sie befällt als Parasit die Bienenbrut. Weitere Faktoren für das Bienenster­ben sind Pflanzensc­hutzmittel, durch die die Bienen die Orientieru­ng verlieren, Monokultur­en, durch die die Tiere verhungern, sowie Bakterien und Pilze. Auch schwindend­en Lebensraum durch die Ausbreitun­g von Städten machen Forscher als mögliche Ursache aus. Und noch eine Zahl: Allein im Winter 2020/2021 gab es bundesweit 14 Prozent Völkerverl­uste.

Bienenfreu­nde machen darauf aufmerksam, dass es ohne Bienen deutlich weniger Obst, Säfte, Wurst und Fleisch, Soßen und Brotaufstr­iche, Gemüse, Kleidung aus Baumwolle sowie Kosmetikar­tikel, die pflanzlich­e Komponente­n und Düfte beinhalten, gäbe. Nach Angaben des Nachrichte­nportals „Welt“würde das Aussterben der Bienen einer Studie zufolge zu jährlich 1,4 Millionen zusätzlich­en Todesfälle­n aufgrund einer geringeren Ernte an Obst, Gemüse und Getreide führen. Mängel an Vitamin A und B resultiert­en daraus, zudem eine Zunahme von Herz-KreislaufE­rkrankunge­n und einigen Krebsarten.

Ein Kilogramm Honig isst der Deutsche im Schnitt pro Jahr.

83 000 Tonnen pro Jahr werden vor allem aus Mexiko, der Ukraine und China importiert. 20 Prozent des jährlichen Honigverbr­auchs – das sind 25 000 Tonnen Honig – werden normalerwe­ise pro Jahr in Deutschlan­d produziert. Dieses Jahr ist es anders. „Wenig Honig – viele Schwärme, das ist das Ergebnis des kalten Frühjahrs, das uns die HonigBilan­z verhagelt und jede Menge Arbeit bereitet hat“, heißt es beim Deutschen Imkerbund. „Die Bienen haben sich im Stock gewärmt, draußen war es kalt und nass. Arbeitslos, wie sie nun einmal waren, und weil sie mangels Ausflugmög­lichkeiten viel zu dicht saßen, wurden aus Langeweile Weiselzell­en gebaut. Die Folge war: Es gab jede Menge Schwärme.“

Eine Erklärung, die auch für den überrasche­nden Bienenauft­ritt in Wien gelten dürfte. „Mit etwas Glück“, sagt Imker Anton Hoh, „ist es noch möglich, trotz des späten Zeitpunkts eine Weisel für das majestäten­lose Volk zu finden.“Weil die Findlinge ohne Weisel dem Tod geweiht wären, werden sie notfalls auf bestehende Völker mit Königinnen aufgeteilt – in der Hoffnung, dass alles gut geht, auch für die Staatsober­häupter. Denn stünde ein Königinnen­mord an, könnte es, wie schon in Wien geschehen, nicht nur für das ganze Volk unabsehbar­e Folgen haben.

„Wenig Honig – viele Schwärme, das ist das Ergebnis des kalten Frühjahrs.“

 ?? FOTOS (2): HILDE NAGLER ?? Die Bienenköni­gin (Bildmitte) erweist ihrem Volk die Ehre.
FOTOS (2): HILDE NAGLER Die Bienenköni­gin (Bildmitte) erweist ihrem Volk die Ehre.
 ??  ?? Imker aus Leidenscha­ft: Anton Hoh (links) und Reinhold Fischer.
Imker aus Leidenscha­ft: Anton Hoh (links) und Reinhold Fischer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany