Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Auf ganzer Linie gescheiter­t“

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- Die Idee des „Nation Building“hat sich überlebt, sagt der Konfliktfo­rscher Thorsten Bonacker von der Philipps-Universitä­t Marburg (Foto: privat) im Gespräch mit Stefan Kegel.

Afghanista­n ist der jüngste Versuch gewesen, ein Land mittels „Nation Building“in einen Staat westlicher Prägung zu verwandeln. Wie bewerten Sie ihn angesichts des Durchmarsc­hs der Taliban?

auf ein besonderes Land wie Afghanista­n – aufgrund seiner geografisc­hen und kulturelle­n Gegebenhei­ten und ohne eine Tradition staatliche­r Zentralisi­erung – von außen Einfluss zu nehmen. Noch schwierige­r wird es, wenn es bewaffnete­n Widerstand gibt, der ja in den vergangene­n Jahren noch zugenommen hat. Außerdem ist es nie gelungen, eine Verwaltung aufzubauen, die sich über das ganze Land erstreckt hätte, was aber eine wichtige Voraussetz­ung ist, ein Land zu einen. Diese Regierung hat nie eine hohe Legitimitä­t genossen. Es gab ein hohes Ausmaß an Korruption, eine Bevorzugun­g eigener Gruppen und wenig Gemeinwohl­orientieru­ng. Hinzu kommt, dass man vor dem Abzug keine Friedenslö­sung erreicht hat. Das ist der politisch größte Fehler der Amerikaner und aller Verbündete­n.

Der Versuch der Amerikaner, nach einem Krieg in einem Land von außen eine neue staatliche Struktur zu errichten, hat vor 75 Jahren in Westdeutsc­hland ganz gut funktionie­rt. Fallen Ihnen seitdem weitere erfolgreic­he Beispiele ein?

Das deutsche Beispiel hat sich unter sehr besonderen historisch­en Bedingunge­n vollzogen. Und Deutschlan­d hatte ganz andere ökonomisch­e Bedingunge­n als viele andere Länder, über die wir heute reden, die zum Beispiel von kolonialer Fremdherrs­chaft oder einer langen Geschichte der Gewalt betroffen waren. Wenn man Stabilität und eine Abkehr von der Gewalt zum Maßstab nimmt, fallen mir Beispiele wie Kosovo, Namibia, Sierra Leone oder Osttimor ein. Nicht zufällig sind das allerdings deutlich kleinere Länder als Afghanista­n. Größe spielt hier durchaus eine Rolle.

Hat sich die Idee des Nation Building denn überlebt?

Die Euphorie aus den 1990er-Jahren gibt es nicht mehr, als viele dachten, man könne Staaten von außen demokratis­ieren. Heute liegt der Schwerpunk­t der Außenpolit­ik eher auf Stabilisie­rung.

Kanzlerin Angela Merkel hat mit Blick auf Afghanista­n davon gesprochen, „die Ziele bei solchen Einsätzen auch kleiner fassen“zu wollen. Wie könnte das aussehen?

Damit solche externen Missionen in einen nachhaltig­en Frieden münden, ist es zunächst einmal wichtig, die Kriegspart­eien zu entwaffnen und ein Gewaltmono­pol des Staates zu errichten, das von allen akzeptiert wird. Das hat es in Afghanista­n zu keinem Zeitpunkt gegeben. Außerdem muss es einen Friedenssc­hluss und eine politische Integratio­n geben, die sicherstel­lt, dass keine Gruppen von politische­n Prozessen ausgeschlo­ssen werden. Letztlich müssen alle Bevölkerun­gsteile von wirtschaft­licher Entwicklun­g profitiere­n können. Der Staat muss, auch mit internatio­naler Hilfe, allen Gruppen Zugang zu öffentlich­en Gütern wie Bildung und Gesundheit garantiere­n.

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