Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Rentner Van Gaal als Bondscoach präsentiert
Gut 20 Jahre nach seinem ersten Auftritt als Bondscoach hat sich
(Foto: dpa) zum dritten Mal als Nationaltrainer der Niederlande vorgestellt. Nach der enttäuschenden EM soll der 70-Jährige Oranje zunächst durch die Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2022 in Katar lotsen. „Ich glaube an diese Spielergruppe, aber es wird nicht einfach“, sagte der Ex-Trainer des FC Bayern München, der Wunschkandidat des Verbandes KNVB war. „Wer soll es auch sonst machen?“, so der Mann, der zuletzt (2014-2016) Manchester United trainiert hatte. Van Gaal hatte jetzt eigens seinen Ruhestand abgebrochen. Er war bereits von 2000 bis 2001 sowie von 2012 bis 2014 Bondscoach und sagt: „Mein persönliches Ziel ist es, Weltmeister zu werden. Ich mache es nicht für mich selbst, sondern um den niederländischen Fußball auf ein höheres Niveau zu bringen.“(SID)
Louis van Gaal
An meinem Fernseher. Ich habe wie die Wochen und Monate zuvor auch über die sozialen Netzwerke mit diversen Fans kommuniziert und bin da nicht extra in ein Stadion gefahren. Allgemein war ich noch nie der Vollblutstadiongänger, auch wenn ich ab und zu hingehe. Ich arbeite eher im Archiv, in der Bibliothek, am PC und treffe mich mit Fans im Alltag. Generell ist ja jede Quelle im Hinblick auf das Konstituieren eines Gesamtbildes wertvoll. Im Stadion wären für den Forscher die Gespräche zudem emotional geprägt, weil man sich mitreißen lässt, und wären nicht immer objektiv.
Dennoch haben Sie ein dezidiertes Bild. Als Otto-Normal-Zuschauer scheint im Stadion schon alles wie vor der Pandemie, die Fans machen Stimmung. Trügt der Schein?
Fakt ist, dass die meisten Spiele annähernd ausverkauft waren und diejenigen, die da waren, auch sichtlich Freude an dem Ganzen hatten. Was anders war, ist der Support der Ultragruppen, der entweder gar nicht vorhanden war oder deutlich zurückhaltender als gewohnt. Das ist aber aktuell nicht das entscheidende gesellschaftliche Thema. Wichtiger ist, dass die Stadien wieder vergleichsweise üppig geöffnet werden und es eine positive Botschaft gibt.
Sie sprechen die Ultras an, von denen einige fernbleiben. Die ClubBosse scheint es nicht zu stören, die übrigen Fans bekommen es kaum mit, wieso diese Symbolpolitik?
Das ist nur in Ansätzen Politik, sondern eher ein Statement. Da steckt keine PR oder ein langfristiges Ziel dahinter. Es bedeutet schlicht: Wir machen da nicht mit. Diese authentische Haltung sagt etwa aus, dass man als organisierter Fan etwa nicht mitgehen muss bei dem Thema, dass man sich registrieren lässt, um in das Stadion zu gehen. Personalisierte Tickets sind seit Jahren ein kritisiertes Thema – und nur, weil es jetzt sehr gute Gründe dafür gibt, kann man nicht vom Kurs abschwenken.
Kann es auch sein, dass sich einige Gruppen abgesondert oder abgewendet haben und nun lieber zum Amateurfußball gehen und der Bundesliga dauerhaft fernbleiben?
Das Abwandern in den Amateurfußball war sogar eine große Erwartung und Hoffnung des Amateurfußballs, aber das findet praktisch nicht statt. Etwas anders sieht es beim Abwenden aus. Viele, ich nenne sie mal „Teilzeitfans“, haben die Alternative nicht etwa im Amateurfußball entdeckt, sondern haben in den letzten 16 Monaten erkannt, dass ihr Leben noch andere Sachen zu bieten hat und Fußball nicht mehr Freizeitbeschäftigung Nummer 1 ist. Die verbringen nun noch mehr Zeit mit der Familie, machen interessante Sachen in der Wohnung, am Haus oder im Garten. Für diejenigen ist der Fußball als Unterhaltungsschwerpunkt austauschbar geworden. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt.
Dass König Fußball nicht mehr Lebensinhalt, sondern nur noch pure Unterhaltung ist?
Genau. In Zeiten, in denen die Nachfrage groß ist, wird dem Fußball die Bude eingerannt, aber wenn andere Formate interessanter werden, gehen die Fans wieder weg. Ich würde es so werten, dass die Bindung ein Stück oberflächlicher geworden ist und gebrochen wurde.
Auch die jüngsten Auswüchse (Stichwort Messi) statt der propagierten Demut haben sicherlich nicht gerade das Band gestärkt. Diese Floskeln, dass der Profifußball mehr Demut zeigen und Reformen einleiten müsste, hat nun jetzt wirklich der Allerletzte auch als Nebelkerze eingeordnet. Allein diejenigen Proficlubs, die jetzt etwas weniger Finanzmittel haben, halten sich zurück, würden aber sofort wieder mitmachen, wenn sie könnten. Das Rattenrennen, bei dem man Kohle ausgibt, die man gar nicht hat, das geht weiter, und dadurch leidet natürlich die Wertschätzung massiv.
Wobei man da immer differenzieren sollte. Wir reden hier aus der abgehobenen Position des Fußballromantikers. Es gibt aber eine nachwachsende Generation, die sich über das Pariser Dream-Team mit den Weltstars freut und eher Marken als Vereinen folgt.
Das ist ein superspannendes Thema, denn natürlich wandeln sich Kulturthemen. Da gibt es die einen, die von dem sprechen, was auch wir als Fußballnormen, -werte und -kultur bezeichnen. Von allem jenem, was aus dem Spiel heraus erwachsen ist. Und dann ist da auf der anderen Seite gerade die nachwachsende Generation, ich sage mal die etwa ab 1995 Geborenen, die neue Werte und Maßstäbe reinbringen Ab da ging Fußball vor allem als Unterhaltungsthema in die Köpfe. Die Jüngeren personalisieren zudem oft einen kleinen Kreis absoluter Weltstars und folgen dabei den Normen der Unterhaltungsindustrie. Da ist es egal, ob es ein Telenovelastar, ein anderer Sportstar, ein Sänger, eine Popgruppe oder ein Instagramstar ist. Sie folgen überall hin. Bei den Fans geht also genauso die Schere auseinander wie im Fußball zwischen
Es zeigen sich ja immer wieder Momente, die diese Wirtschaftslogik durchkreuzen. Etwa am Wochenende, als der coronagebeutelte Underdog aus Mainz den Favoriten Rasenballsport Leipzig bezwingt, oder wenn Bayern mit Rekordablösetrainer Julian Nagelsmann nicht so richtig in den Tritt kommt. Das sind trotz aller Kommerzialisierung Momente, die den Fußball spannend machen und ihn aus allen anderen Unterhaltungsbereichen herausheben. Zudem werden die Fans spätestens wenn wir wieder 100 Prozent Auslastung in den Stadien haben, weiter gegen den Kommerz kämpfen.
Und wenn dies noch lange dauert oder die Entscheider die personalisierten Tickets beibehalten und das als Türöffner für noch ganz andere Umwälzungen nehmen?
Diese Hintertür ist ja eine große Befürchtung in den Fankreisen. Denn eines ist unbestritten: die 16 CoronaMonate waren überaus einschneidend und könnten daher einige Schranken gebrochen haben.