Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Deutschlan­ds berühmtest­e Showgirls werden 85

Die Kessler-Zwillinge standen mit Weltstars wie Frank Sinatra auf der Bühne

- Von Ute●Wessels

(dpa) - Ihr Leben war die Showbühne – mehr als 60 Jahre lang standen Alice und Ellen Kessler weltweit im Scheinwerf­erlicht. Inzwischen lassen es die beiden Schwestern ruhiger angehen. Tanzend auf einer Bühne werde man sie nicht mehr sehen, sagen sie der Deutschen Presse-Agentur. Und wenn sie am Freitag, 20. August, ihren 85. Geburtstag feiern, gibt es auch keine große Party. „Wir feiern mit engen Freunden.“

2016 traten die Kesslers noch in dem Musical „Ich war noch niemals in New York“auf, danach gab es einige TV-Shows in Italien. Seitdem haben sie sich zurückgezo­gen. „Wir singen nur noch“, sagen sie. Die Veranstalt­er wollten die Schwestern aber auch immer tanzen sehen. „Das machen wir nicht mehr.“Irgendwann sei es genug.

Die Zwillinge haben ohnehin so viel erlebt, dass sie ganz gelassen einen Gang runterscha­lten können. Ob in New York, Las Vegas, Sydney, Hongkong, Monte Carlo oder Rom: Alice und Ellen Kessler haben überall für Furore gesorgt.

„Wir hatten ein sehr abwechslun­gsreiches Leben, das Schicksal hat es gut mit uns gemeint“, sagen sie fröhlich im Telefonges­präch. „Wir leben aber nicht in der Vergangenh­eit.“Manchmal ist nicht ganz klar, welche der beiden Schwestern gerade spricht. Dann klären sie auf: „Das war jetzt die Ellen, aber die Alice ist der gleichen Meinung.“Praktisch.

Auch wenn die Zwillinge nicht in Erinnerung­en schwelgen – sie werden natürlich danach gefragt. „Die Leute sprechen uns darauf an und dann erzählen wir.“Und schon sind sie mittendrin in den Erinnerung­en und berichten, wie die Karriere völlig ungeplant ihren Anfang nahm. Sie seien als Teenager entdeckt worden, der Rest habe sich ergeben.

Schon als kleine Mädchen lernten sie das Tanzen, wurden vom Vater gedrillt. Bald gehörten sie zum Kinderball­ett der Leipziger Oper und schafften die Aufnahme für die Operntanzs­chule. 1952, im Alter von 16 Jahren, flohen sie in den Westen und kamen nach Düsseldorf. Um selbststän­dig und finanziell unabhängig zu sein, tanzten sie in einem Revuetheat­er.

Dort wurde 1955 der Direktor des Lido in Paris auf die blonden jungen Frauen aufmerksam. Er engagierte sie für das berühmte Varieté auf den Champs-Élysées – die internatio­nale Karriere nahm ihren Lauf. „Das hatte uns keiner zugetraut, das wir als Deutsche das schaffen würden.“Anfangs hätten sie immer mal NaziSprüch­e zu hören bekommen, erinnern sie sich. Ihre Reaktion? „Einfach lächeln und das übergehen. Wir wollten zeigen, dass die Deutschen keine Monster sind.“Seit den sechziger Jahren waren die Kesslers weltweit auf Tournee. In Rom, wo die Kesslers jahrzehnte­lang eine Wohnung hatten, waren die schlanken, langbeinig­en Tänzerinne­n bald genauso gefragt wie in New York und Las Vegas. Mit Italien verbindet sie eine besondere Liebe. „Da waren wir bekannt wie zwei bunte Hunde.“Die Italiener seien ihnen gegenüber immer sehr überschwän­glich gewesen.

In den USA traten sie mit Fred Astaire, Frank Sinatra und Harry Belafonte auf, trafen Muhammad Ali, Sammy Davis Jr. und die Jackson Five. Die Stars seien immer sehr freundlich und kollegial ihnen gegenüber gewesen. Die Kesslers hatten auch das Angebot, mit Elvis Presley in einem Film aufzutrete­n. Doch das sagten sie ab – aus Angst, auch in Amerika auf Musikfilme festgelegt zu sein. Getroffen haben sie Presley dennoch, im Lido in Paris. Er habe einen sehr komplizier­ten Eindruck gemacht. Die Schwestern freuen sich, dass sie so viel erlebt haben, und sind froh, in den 50er und 60er Jahren ihre Karriere begonnen zu haben und nicht heute. Diese Schnellleb­igkeit, die vielen TV-Sender, eine Karriere wie ihre wäre heute gar nicht mehr möglich. „Wir hatten bei TV-Shows manchmal mehr als 20 Millionen Zuschauer.“Welche aktuellen Künstler sie gut finden? „Helene Fischer. Sie ist enorm. Ihre Stimme, und sie kann sich gut bewegen und ist bildschön.“

Dass die Schwestern ihr Leben lang im Doppelpack unterwegs waren, habe sie nie gestört. Im Gegenteil: „Zusammen ist man stärker“, sagt Alice. „Mit Metoo hatten wir keine Probleme, weil wir zu zweit waren“, ergänzt Ellen.

Bis heute verbringen sie ihre Zeit gemeinsam. Seit 1986 leben die Schwestern, die beide nie geheiratet haben, in einem Haus im Münchner Promi-Vorort Grünwald. Jede hat dort ihren eigenen Bereich, durch eine Schiebetür getrennt. Fit halten sie sich mit Gymnastik: Eine Schwester kocht, die andere macht derweil ihre Übungen und am nächsten Tag wechseln sie sich ab. Ansonsten wird ihnen nicht langweilig, wie sie sagen: Post erledigen, sich um Reparature­n am Haus kümmern, einkaufen gehen. Das ganz normale Leben.

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FOTO: APRESS/IMAGO IMAGES Alice (links) und Ellen Kessler bei der „Hereinspaz­iert–Manege frei“-Premiere im Circus Krone in der Winterspie­lzeit 2019/20 in München.
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FOTO: UNITED ARCHIVES/IMAGO IMAGES Die Kessler-Zwillinge im Revuefilm „La Paloma“.

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