Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Erzberger trat schon in Saulgau politisch in Erscheinung
Ein frommer Katholik wird zum Fürsprecher der Arbeiter und Handwerker – Als Seminarist war er im Lehrerseminar Primus
- Vor 100 Jahren, am 26. August 1921, ist der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger beim Kuraufenthalt in Bad Griesbach im Schwarzwald ermordet worden. Seine Mörder stammten aus dem damaligen rechtsnationalen Milieu, einem Sammelbecken für diejenigen, die Erzberger hassten. Sie sahen in ihm einen Protagonisten der „Dolchstoßlegende“.
Als Leiter der deutschen Kommission hatte Erzberger im November 1918 in einem Eisenbahnwaggon im Wald bei Compiègne die deutsche Kapitulation unterzeichnet und beendete das Blutvergießen des Ersten Weltkriegs. Doch Erzberger war vor allem ein hoch geachteter Politiker. Als Reichsfinanzminister ordnete er das Steuersystem des deutschen Reiches neu. Seine Ausbildung zum Volksschullehrer absolvierte er am damaligen katholischen Lehrerseminar in Saulgau. Hier war der damals 18- und 19-Jährige in den Jahren 1893 und 1894 nicht nur der beste Schüler, sondern machte bereits durch erste politische Auftritte auf sich aufmerksam. Günter Randecker hat unter anderem über die Zeit Erzbergers am Lehrerseminar in Saulgau recherchiert.
„In Saulgau war Erzberger Primus“, sagt Günter Randecker im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Heute würde man wohl Überflieger sagen. Damals hat es das heutige Notensystem noch nicht gegeben, eine Acht war damals die Note 1, eine 1 dagegen bedeutete „sehr schlecht“. Erzberger holte in der großen Mehrzahl der Fächer die Bestnote: Geschichte, Religion, Kopfrechnen, Algebra, Raumlehre und Geographie. Selbst in Fächern, die ihm nicht so sehr lagen, wie Zeichnen oder Sport, hatte er mit vier und fünf Punkten noch sehr ordentliche Noten. Allein in Schönschreiben erreichte er nur drei Punkte. „Erzberger hatte eine sehr eigenwillige Schrift“, weiß Günter Randecker. Mitschüler Wilhelm Frick, der später unter seinem Künstlernamen Wilhelm Schussen bekanntgewordene Schriftsteller, dokumentierte nicht nur Erzbergers erstklassiges Wissen und seinen Fleiß, sondern auch sein „phänomenales Gedächtnis“,
das ihm erlaubt habe, ganze Heft- und Buchseiten auswendig wiederzugeben. Nachdem er seine Ausbildung am Lehrerseminar abgeschlossen hatte, trat er seine erste Stelle als Lehrer im Herbertinger Ortsteil Marbach an.
In Saulgau machte Erzberger aber nicht nur als Schüler auf sich aufmerksam. Er war bereits schon in Saulgau politisch aktiv. So las er die Deutsche Volkszeitung, eine Zeitung mit katholischer Ausrichtung. In politischen Versammlungen mit dem liberalen Landtagsabgeordneten Carl Platz und dem renommierten Liberalen Conrad Haußmann habe er sich bei Versammlungen im „Adler“in Moosheim oder in der „Traube“, heute Elektro Buck, Bad Saulgau mit der Frage auseinandergesetzt, ob die damals geistliche und christliche Schulaufsicht nicht besser durch eine staatliche ersetzt werden sollte.
Der katholisch erzogene und tiefreligiöse Erzberger habe sich vehement gegen eine Übertragung an den Staat gewehrt. Dabei wurde offenbar auch mit harten Bandagen gekämpft. Als seine liberalen Gegner Erzberger bei diesen Versammlungen sein jugendliches Alter vorhielten, konterte Erzberger in Leserbriefen mit dem Satz „Alter schützt vor Torheit nicht“. Formuliert wurde das in auf die Versammlung folgenden „LeserbriefSchlachten“
im „Oberländer“, dem Vorgänger der „Schwäbischen Zeitung“in Saulgau.
Dass Matthias Erzberger später als etablierter Politiker seine damalige Position hinterfragt und geändert hat, hält Randecker für einen Wesenszug, der Erzberger auch als Politiker auszeichnete. Die staatliche Aufsicht der Schulen sei schließlich in der Weimarer Verfassung festgeschrieben worden, an der Erzberger mitgearbeitet hatte. Zeitlebens habe er sich aber für die kleinen Leute, die Arbeiter und Handwerker eingesetzt. Nach seiner Zeit in Oberschwaben arbeitete er als Redakteur bei der Deutschen Volkszeitung in Stuttgart. Er engagierte sich aber auch in katholischen Arbeitervereinen und war Hauptredner bei der Gründung der christlichen Gewerkschaften in Mainz. Im Gegensatz zum Kapitalismus und Kommunismus habe sich Erzberger einem christlichen Solidarismus verschrieben. Auch bei der Bewertung des Ersten Weltkrieges hatte Erzberger aus Fehlern der Vergangenheit Konsequenzen gezogen. Anfänglich hatte er Beschlüsse für die militärische Aufrüstung mitgetragen. Ab 1917 hat er seine Position grundlegend gewandelt. „Er wurde vom Annexionisten zum Pazifisten“, sagt Randecker. Wortgewandt setzte er sich im Parlament von da an für einen schnellen Frieden ein. Er übernahm als demokratischer Politiker die Verantwortung für die Unterschrift unter das Waffenstillstandsabkommen. Das wiederum machte ihn zur Zielscheibe militanter Rechtsnationaler.
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Günter Randecker, Mord Erzberger, eine Dokumentation, erschienen im Eigenverlag. Kontakt: 07123/927 67 20.