Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Es ist richtig und mutig, Hilfe zu holen“
Charity-Lauf am 10. September in Bad Saulgau soll der Suizidprävention bei Jugendlichen zugutekommen
- Die Zahl von hilfesuchenden Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Suizidgedanken steigt in Deutschland seit Jahren. Oder sie stagniert im besten Fall. Dabei ist die Dunkelziffer noch gar nicht berücksichtigt. Die Wartelisten der psychotherapeutischen ambulanten und stationären Einrichtungen sind randvoll. Kinder- und Jugendpsychiater gehen davon aus, dass während der Pubertät rund 25 – 30 Prozent aller Jugendlichen zumindest einmalig Suizidgedanken haben. Deshalb bietet die Caritas mit ihrer Online-Suizidprävention [U25] mit ehrenamtlich arbeitenden Peerberatern, darunter werden etwa gleichaltrige Gesprächspartner verstanden, ein niederschwelliges Angebot für Suizidgefährdete. Doch die finanziellen Ressourcen reichen nicht aus, um allen Anfragen nachkommen zu können. Mithilfe von bundesweiten Spendenläufen sollen im Aktionszeitraum vom 1. September bis zum 17. Oktober die Präventionsangebote weiter vorangetrieben werden. Auch in Bad Saulgau laufen die Planungen auf Hochtouren. Anita Metzler-Mikuteit hat sich mit Daniela Fiedler, der Leiterin der Online-Suizidpräventions-Gruppe in Bad Saulgau, getroffen.
Frau Fiedler, die Zeitphase des Erwachsenwerdens ist bekanntermaßen eine sehr sensible. Die Corona-Krise hat die jungen Menschen mit langen Phasen der Isolation zusätzlich mit immensen Herausforderungen konfrontiert. Wie würden Sie die Situation aktuell beschreiben?
Die Ungewissheit, wie es weitergeht, aber auch die Einschränkungen sind für viele belastend. Vieles, was die Pubertät ausmacht – soziale Kontakte pflegen, (neue) Beziehungen und Freundschaften pflegen, sich ausprobieren, feiern, erste Berufserfahrungen sammeln, Ausbildung und Studium – ist während der Pandemie auf ein Minimum reduziert. Und darunter leiden die Jugendlichen mit Sicherheit und kommen an ihre Grenzen.
Eine aktuelle, weltweit angelegte Studie von kanadischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit rund 81000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zeichnet ein düsteres Bild. Den Auswertungen
zufolge leiden durch die CoronaMaßnahmen etwa doppelt so viele junge Menschen an Depressionen oder Angststörungen wie zuvor. Besonders auch die Schulschließungen werden hier explizit genannt ...
Ich denke auch, dass viele Kinder, Jugendliche und Studenten sehr unter den Schließungen gelitten haben. In unserer Beratung begegnet uns das Thema Schule und Studium sehr oft. Es wurde durch die Online-Veranstaltungen für viele zur Herausforderung, alles zu verstehen und den Inhalten zu folgen. Das führte bei vielen zu weiteren Problemen und Ängsten. Ich hoffe sehr, dass die Zukunft keine kompletten Schließungen mehr bringt und zumindest ein klein wenig Normalität möglich wird.
Die ehrenamtlichen Peer-Berater des Online-Suizidpräventionsangebots scheinen hier eine ganz wesentliche Stütze für hilfesuchende junge Menschen zu sein. Was unterscheidet diese Beratung von anderen Angeboten?
Ein großer Unterschied besteht darin, dass unsere Peerberater*innen in einem ähnlichen Alter sind wie die Ratsuchenden, sie können sich gut in die Lage hineinversetzen. Und manche Probleme sind den Ehrenamtlichen aus eigenen Erfahrungen durchaus bekannt. Wir arbeiten absolut anonym. Das bedeutet, dass die Jugendlichen, die sich bei uns melden, vollkommen offen über ihre Gedanken, Problemlagen und Ängste sprechen können. Unsere Beraterinnen und Berater hören zu, suchen gemeinsam nach neuen Ideen, Wegen, Anlaufstellen oder Lösungen und halten die Krisen aber auch gemeinsam mit den Ratsuchenden aus. Es findet eine Beratung auf Augenhöhe statt.
Rund um den Suizidpräventionstag am 10. September sind vom 1. September bis zum 17. Oktober bundesweit Spendenläufe geplant. Auch in Bad Saulgau. Wie sehen die Planungen konkret aus?
Wir möchten wie jedes Jahr deutschlandweit auf das Thema Suizid aufmerksam machen und es aus der Tabuzone holen. Jeder Standort versucht, so viele Läufer und Spender wie möglich zu finden, um uns zu unterstützen. Dabei kann wirklich jeder mitmachen. Am 10. September werden wir uns mit unseren Ehrenamtlichen in Bad Saulgau – parallel auch in Biberach - treffen und gemeinsam die ersten Kilometer laufen. Eine Runde durch die Stadt sorgt dabei hoffentlich für ein bisschen Aufsehen und gute Gespräche. Danach möchten wir noch gemeinsam etwas Zeit im Team verbringen.
In der Schwaaz Vere-Buchhandlung soll es auch einen Büchertisch geben?
Ja, richtig. In der Buchhandlung werden viele Bücher ausgelegt. Dabei sind sowohl Sachbücher wie auch
Romane passend zum Thema zu finden. Wir freuen uns sehr, dass diese Unterstützung vor Ort möglich ist.
Auch die Enttabuisierung von Suizidalität ist ein Thema?
Das ist uns sehr wichtig. Im Jahr 2019 haben 9041 Menschen in Deutschland durch Suizid ihr Leben verloren. Leider wird viel zu wenig darüber gesprochen, sodass sich viele Menschen auch nicht trauen, ihre Suizidgedanken auszusprechen. Wir von der Online-Suizidprävention [U25] vertreten die Meinung, dass es Leben retten kann, wenn darüber gesprochen wird. Und wir hoffen, dass wir mit unserer Aktion vielen Menschen zeigen können, dass es richtig und mutig ist, sich Hilfe zu holen.
Weitere Infos zu der Aktion gibt es unter: