Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Zug um Zug
Raketenwissenschaften werden als etwas angesehen, das an Kompliziertheit nicht zu überbieten ist. Dabei wird gerne vergessen, dass es im Alltag der Menschen durchaus Dinge gibt, die sich als noch wesentlich komplizierter herausstellen. Nehmen wir nur dieser Tage das Bahnfahren. Während das deutsche Zugwesen schon zu sogenannten normalen Zeiten durch erhebliche Unsicherheiten geprägt ist, entspricht die Kalkulierbarkeit in Phasen des Arbeitskampfes dem einer Roulettekugel in der Spielbank: Man setzt auf die 18 – und es fällt die 32. Man steigt um 9 Uhr in Meckenbeuren ein und möchte um 11 Uhr in Ulm sein, kommt indes aber bei Einbruch der Dunkelheit gegen 19.34 Uhr im tschechischen Pilsen an.
Dass es daselbst stimmungsaufhellende Getränke gibt, mag vor dem Hintergrund eines total verfehlten Reiseziels nur mäßig trösten. Denn in Ulm hätte es statt Pilsner Urquell immerhin Goldochsen gegeben. Aber weil wir gerade in nüchternen Zeiten leben, spielt das keine wesentliche Rolle. Genauso wenig, ob wir wegen eines Streiks vom rechten Weg, also der fahrplanmäßigen Strecke
abkommen, oder wegen genereller Unzuverlässigkeiten.
Wenn man als Bahnreisender übrigens das Glück gehabt hat, doch einen Zug zu erwischen, dann bietet das Bordrestaurant auf der Getränkekarte Bitburger oder Erdinger. Wenn schon der Bahnverkehr nicht geschmeidig vor sich hinfließt, dann wenigstens das Bier. Sich ein solches zu bestellen, ist zum Glück keine Raketenwissenschaft. Nicht in Ulm, nicht in Bitburg oder Erding. Und schon gar nicht in Pilsen. (nyf )