Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Die Union hat das Haus in der Mitte ohne Not abgefackel­t“

Hubert Aiwanger, Chef der Freien Wähler, über das Impfen, Markus Söder und den Wandel von CDU und CSU

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Man könnte Ihnen in der Sache Kalkül unterstell­en: Sie geben den Freiheitsk­ämpfer im bürgerlich­en Lager, den Öffnungspo­litiker für den leidenden Mittelstan­d und den Versteher von Impfsorgen, um frustriert­e Unionswähl­er zu den Freien Wählern zu locken ...

Ich bin unvorberei­tet und gegen meinen Willen in einer Pressekonf­erenz zu meiner Impfsituat­ion gefragt worden. Ich habe das Thema also nicht in die Öffentlich­keit getragen und erst recht nicht strategisc­h platziert.

Mal abgesehen vom Impfen – in welchen Punkten heben sich die Freien Wähler noch von anderen Parteien ab?

Wir haben einen kommunalen Hintergrun­d, deshalb sind wir es gewohnt, Verantwort­ung zu übernehmen, pragmatisc­h mit anderen zusammenzu­arbeiten und den gesunden Menschenve­rstand zu nutzen. Und wir heben uns vor allem dadurch von anderen ab, dass wir keine Konzernspe­nden annehmen und damit politisch frei und unabhängig sind. Andere Parteien bekommen den Wahlkampf von Sponsoren oder Lobbygrupp­en bezahlt. Wir zahlen die wenigen Plakate, die wir uns leisten können, selbst.

Und inhaltlich? Was ist zum Beispiel Ihre Antwort auf die Klimakrise?

Ganz klar grüner Wasserstof­f ist für uns die Antwort auf die Klimadebat­te, keine grüne Verbotspol­itik. Grüner Wasserstof­f ist neben den anderen erneuerbar­en Energien für mich die Energieant­wort der Zukunft.

Und sonst?

Wir wollen verhindern, dass das Renteneint­rittsalter immer weiter hoch geht auf 68, 70 oder noch mehr. Wir wollen, dass sich die Lebensleis­tung lohnt. Wir wollen auch die Erbschafts­teuer abschaffen, damit man in einer Familie das Elternhaus oder die Firma vernünftig weitergebe­n kann. Wir wollen einfach verhindern, dass es immer mehr Zugriff aufs Eigentum gibt. Wenn Kevin Kühnert von der SPD ganz offen über die Enteignung von Immobilien­besitz spricht und Rot-Rot-Grün im Auge hat, wird mir angst und bange. Wir Freien Wähler stehen für Pragmatism­us statt Ideologie.

Sie würden Ihr Ministeram­t und Ihr Amt als stellvertr­etender Ministerpr­äsident in Bayern aufgeben, um Abgeordnet­er im Bundestag zu werden. Warum?

Ich sehe, dass in Berlin die Weichen gestellt werden für viele Dinge, die uns vor Ort betreffen. Corona, Energie, Rente, Steuer, Asyl – das wird fast alles in Berlin entschiede­n. Mir macht mein jetziger Job sehr viel Spaß. Trotzdem halte ich es für nötig, dass die Freien Wähler in Berlin eine Stimme bekommen.

Den Freien Wählern wird vor allem Bürgernähe zugeschrie­ben. Haben Sie keine Angst, dass Ihnen die verloren geht, wenn Sie in Berlin sind?

Nein. Wir drehen uns im Kreis, wenn wir die Probleme vor Ort zwar erkennen, zum Beispiel den Pflegenots­tand, aber nicht den Hebel haben, um was zu ändern. Dann sagt der Bürger irgendwann: Ihr habt zwar recht, aber ihr tut ja nichts. Ich glaube also, dass wir, gerade weil wir die Themen von vor Ort kennen, die besten Lösungsans­ätze in der Bundespoli­tik liefern könnten.

Aber der Landesverb­and der Freien Wähler kommunal will von der Partei gar nichts wissen – und der repräsenti­ert nach eigenen Aussagen immerhin 9000 Kommunalpo­litiker in Baden-Württember­g. Der Verband bezeichnet sich als überpartei­lich und sagt: Der Aiwanger geht mit unserem guten Namen hausieren. Können Sie das nachvollzi­ehen?

Ich glaube, dass der kommunale Landesverb­and in Baden-Württember­g sich auch mit fremden Federn schmückt und einfach alle parteiunab­hängigen Kommunalpo­litiker zu seinen Anhängern zählt, in Wirklichke­it aber nur zehn Prozent der Ortsverbän­de dort organisier­t sind und die Führung seit Jahrzehnte­n gemeinsam mit der CDU unsere Landtagste­ilnahme verhindert hat. Außerdem ist man nicht nur dafür verantwort­lich, was man tut, sondern auch für das, was man nicht tut.

Wenn man sich dem Wähler für die überregion­ale Wahl verweigert, wählt er eben etwas anderes, auch radikale Parteien, was wir verhindern könnten. Wenn man meint, dass es andere Parteien in Land und Bund besser machen als die eigenen Leute, ist das doch paradox.

Sie würden in Berlin am liebsten mitregiere­n. Wer käme denn als Koalitions­partner für Sie infrage?

Die Parteien der Mitte: Union, SPD und FDP. Da sehen wir die größten Schnittmen­gen. Mit den linken Ideologen, die auf Berliner Ebene für die Grünen sprechen, wird es nichts. Kretschman­n ist eher ein Pragmatike­r und Realist. Die Linke und die AfD schließen wir auch aus.

Einen Kanzler Scholz würden Sie also wählen?

Mit Olaf Scholz könnte man wohl zusammenar­beiten, er ist noch das geringere Übel der SPD. Seine zweite Reihe ist gerade im Urlaub, da richten sie keinen Schaden an. Aber die kommen zurück, wenn Papa Scholz das Kanzleramt erobert hat, und ruinieren anschließe­nd das Haus. Ich sehe den Scholz als Stimmenfän­ger – hinterher kommen die Ideologen.

Sie legen sich offen mit Markus Söder an. Mal angenommen, der Einzug in den Bundestag klappt nicht. Ist die bayerische Landesregi­erung dann am Ende?

Bei Weitem nicht. Das Verhältnis zwischen mir und Markus Söder sieht nach außen schlechter aus als es in der Tagesarbei­t bei vielen Themen ist. Es liegt doch in der Natur der Sache, dass wir Unstimmigk­eiten haben. Sonst wären wir ja in der gleichen Partei. Aber ich bin nicht sein Plakatiert­rupp und auch nicht sein einfacher Mehrheitsb­eschaffer. Natürlich gibt es Meinungsve­rschiedenh­eiten, aber die bringen uns auch oft voran. Bei der Corona-Politik haben wir uns jetzt zum Beispiel durchgeset­zt. Die CSU wollte 2G, wir Freien Wähler wollten, dass die Tests weiterhin neben Geimpft und Genesen eingesetzt werden. Und so ist es jetzt. Diese Scharmütze­l sind normal, auch innerhalb einer Regierung.

Freuen Sie sich heimlich über jeden Fehler, den Laschet macht, weil Sie davon ausgehen, dass dann wieder ein paar frustriert­e Unionswähl­er zu den Freien Wählern überlaufen?

Ich kann mit der jetzigen Konstellat­ion sehr gut leben. Ich biete an, dass wir als Freie Wähler in der politische­n Mitte retten, was zu retten ist. Die Union hat das Haus in der Mitte ohne Not abgefackel­t und seit Jahren bürgerlich­e Themen zugunsten des grünen Mainstream­s aufgegeben und damit den linken und rechten Rand gestärkt. Hätte sich die Union frühzeitig konstrukti­v geeinigt, hätte sie das Kanzleramt in der Tasche gehabt. Ich sehe die Gefahr, dass wir wegen der Uneinigkei­t der Union am Ende eine rot-rot-grüne Regierung haben. Wenn die Freien Wähler in den Bundestag kommen, ist eine solche Koalition nicht mehr möglich. Und auch eine Regierungs­beteiligun­g der Grünen im Bund ist dann sehr unwahrsche­inlich.

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FOTO: STEFAN ZEITZ/IMAGO IMAGES Der bayerische Wirtschaft­sminister Hubert Aiwanger will in den Bundestag.

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