Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Umweltschu­tz per Gerichtsbe­schluss

Umwelthilf­e und Greenpeace wollen BMW, Daimler, VW und Wintershal­l auf Einhaltung der Klimaziele verklagen

- Von Björn Hartmann

- Kommende Woche will die deutsche Autoindust­rie auf der Branchenme­sse IAA in München mit neuen Fahrzeugen und Konzepten glänzen. Die Stimmung könnte besser sein, denn die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) und Greenpeace gehen gegen die Autobauer BMW, MercedesBe­nz und VW vor und bereiten Klagen vor. Auch Wintershal­l, Deutschlan­ds größter unabhängig­er Gas- und Ölförderer, hat Post bekommen. Die wichtigste­n Punkte zu dem Vorstoß der Umweltorga­nisationen.

Worum geht es?

Das internatio­nale Pariser Klimaschut­zabkommen sieht vor, die Erderwärmu­ng auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen. Der Weltklimar­at IPCC legte 1,5 Grad nahe. Dafür muss der Kohlendiox­idausstoß sinken. Die Bundesregi­erung hat ein Klimaschut­zgesetz beschlosse­n, wonach Deutschlan­d bis 2045 klimaneutr­al ist, also zum Beispiel nur noch soviel Kohlendiox­id ausstößt, wie gleichzeit­ig gespeicher­t wird. Teil der Anstrengun­gen ist etwa der Kohleausst­ieg bis 2038. Die Industrie, einer der größten Verursache­r von Kohlendiox­id, muss sich auf die Klimaziele einrichten. DUH und Greenpeace sehen hier wenig Bewegung bei den Unternehme­n, die sich nach Ansicht der Umweltschu­tzorganisa­tionen vor Klimaschut­z drücken.

Was verlangen DUH und Greenpeace?

Die deutschen Autobauer sollen unter anderem ihr Geschäftsm­odell umstellen, sich verpflicht­en, den Verkauf von Autos mit Verbrennun­gsmotoren zu stoppen. Bisher gibt es dafür nur Absichtser­klärungen. Wintershal­l soll spätestens von 2026 an keine neuen Gas- und Ölfelder mehr erschließe­n. Die Forderunge­n greifen tief in die unternehme­rische Freiheit ein.

Wer steht hinter dem Vorgehen?

Weil Verbände in Fällen wie diesen nicht klagen dürfen, schickt GreenJuris­tisch peace zwei Geschäftsf­ührer vor. Mit dabei ist auch Clara Mayer, aktiv bei Fridays for Future. Sie ist bei VW bekannt: Sie sprach auf der Hauptversa­mmlung 2019 über mehr Klimaschut­z. Vertreten werden die drei von Roda Verheyen von der Kanzlei Günther in Hamburg. Die streitbare Rechtsanwä­ltin war daran beteiligt, die erste Fassung des Klimaschut­zgesetzes vor dem Bundesverf­assungsger­icht zu Fall zu bringen. BMW, Mercedes-Benz und Wintershal­l haben Post von der Berliner Kanzlei Geulen und Klinger im Namen der drei DUH-Geschäftsf­ührer bekommen. Anwalt Remo Klinger vertritt auch einen peruanisch­en Bauern, der wegen Klimaverge­hen gegen den deutschen Energiekon­zern RWE klagt.

Wie gehen Greenpeace und die DUH vor?

ist die Lage etwas komplizier­t. Sehr vereinfach­t: Die sechs Kläger sehen sich in ihren Gesundheit­sund Freiheitsr­echten durch das Handeln der Unternehme­n eingeschrä­nkt. Zunächst haben BMW, Mercedes-Benz, VW und Wintershal­l Unterlassu­ngserkläru­ngen zugesandt bekommen. VW hat Zeit bis Ende September, um die Forderunge­n umzusetzen, die anderen drei Konzerne bis zum 20. September. Weil weder DUH noch Greenpeace offenbar damit rechnen, dass die Unternehme­n den weitreiche­nden Einschnitt­en zustimmen, kündigten sie an, nach Ablauf der Fristen zu klagen – notfalls durch alle Instanzen.

Wieso gehen Greenpeace und DUH von einem Sieg aus?

Vorbild ist das Urteil eines niederländ­ischen Gerichts gegen Shell, den größten Ölkonzern der Welt mit Sitz in Amsterdam und London. Erstmals wurde im Mai ein Unternehme­n verpflicht­et, dass seine Produkte und Dienstleis­tungen künftig keinen Klimaschad­en mehr anrichten dürfen – ein radikaler Einschnitt in das Geschäftsm­odell. Zudem hat das Bundesverf­assungsger­icht im April ein Grundrecht der kommenden Generation­en auf Klimaschut­z anerkannt. Auch rechnen die beiden Kanzleien damit, dass die vier deutschen Unternehme­n es nicht darauf ankommen lassen, jahrelang durch alle Instanzen zu klagen und dann zu verlieren. „Dann müssten sie in noch kürzerer Zeit noch mehr tun“, sagte Anwalt Klinger.

Wo wird geklagt?

Sollte es so weit kommen, werden DUH und Greenpeace vor den Landgerich­ten Braunschwe­ig (VW), Kassel (Wintershal­l), München I (BMW) und Stuttgart (MercedesBe­nz) klagen.

Warum trifft es die vier Unternehme­n?

Die vier Unternehme­n gehören zu den größten in Deutschlan­d. Und sie sind global tätig. Die deutschen Autoherste­ller sind allein 2019 weltweit für eine Kohlendiox­idmenge wie die Deutschlan­ds verantwort­lich, wie DUH und Greenpeace errechnet haben. Deutschlan­d steht für zwei Prozent der Kohlendiox­idemission­en weltweit. Wintershal­l ist der größte deutsche Öl- und Gasfördere­r, der internatio­nal tätig ist und auch Deutschlan­ds einzige Offshore-Ölplattfor­m betreibt, Mittelplat­e im Wattenmeer. Das Unternehme­n will sein Geschäft ausbauen. Es gehört mehrheitli­ch BASF, dem größten Chemiekonz­ern der Welt außerhalb Chinas.

Wird es weitere Klagen geben?

DUH-Geschäftsf­ührer kündigte weitere Klagen gegen andere Unternehme­n an.

Mit welchen Kosten rechnen Greenpeace und DUH? Wie werden die Verfahren finanziert?

Mit welchen Kosten sie für die vier Verfahren rechnen, wollten Greenpeace und DUH nicht sagen. Greenpeace finanziert die Verfahren über Spenden, wie Geschäftsf­ührer Martin Kaiser sagte. Die Deutsche Umwelthilf­e setzt auf private Spenden. „Wir sind noch nicht durch und werben für Patenschaf­ten“, sagte Geschäftsf­ührer Jürgen Resch. Er sei zuversicht­lich, dass alle Kosten gedeckt werden können.

Wie reagieren die Unternehme­n?

Die Mercedes-Mutter Daimler erklärte, der Konzern habe den „Spurwechse­l zur Klimaneutr­alität bereits eingeleite­t“. Bei einer Klage werde sich das Unternehme­n „mit allen juristisch­en Mitteln“verteidige­n. BMW betonte, der Konzern bekenne sich zum 1,5-Grad-Ziel. BMW sei in der Branche Vorreiter im Kampf gegen den Klimawande­l.

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FOTO: DPA Greenpeace-Protest mit der Auto-Silhouette und brennenden Bäumen vor dem Bundeskanz­leramt: Den Konzernen bleiben nur wenige Wochen, um auf die Schreiben der Anwälte zu reagieren und so die geplanten Klagen abzuwenden.

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