Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Macron macht Marseille zur Chefsache

Frankreich­s Präsident wird vor allem am Kampf gegen die Drogengang­s gemessen

- Von Christine Longin

- Es war ein lauer Sommeraben­d Ende August, als sich der 14-jährige Rayanne zusammen mit einem Freund aufmachte, um ein Sandwich essen zu gehen. Die beiden Jungen waren im Problemvie­rtel Les Marronnier­s im Norden von Marseille unterwegs, als ein Motorrolle­r angefahren kam und der Beifahrer auf sie schoss. Rayanne wurde tödlich getroffen, sein gleichaltr­iger Freund verletzt. Auch ein achtjährig­es Kind, das in einem vorbeifahr­enden Auto saß, erlitt Verletzung­en durch Metallspli­tter.

„Rayanne war kein Verbrecher. Er war nur ein Kind“, verteidigt seine Tante im Fernsehsen­der BFM ihren Neffen. „Er war im falschen Moment am falschen Ort.“Auch wenn die Polizei davon ausgeht, dass die beiden Jungen für Drogenhänd­ler Wache schoben, so bleibt Rayanne doch eines der jüngsten Todesopfer des Bandenkrie­gs, der Marseille seit Jahren heimsucht.

Bassens, eine andere Banlieue von Marseille, ist nur ein paar Minuten mit dem Auto von Les Marronnier­s entfernt. Präsident Emmanuel Macron kam diese Woche dorthin, um mit den Bewohnerin­nen und Bewohnern über ihre Probleme zu reden. Rund 300 Menschen drängten sich um den Staatschef, um ihm von der Schule zu berichten, die verfällt, oder von den Ausbildung­splätzen, die die Jugendlich­en aus Bassens nicht bekommen. Mütter äußerten die Angst um ihre Kinder, vor denen der Krieg der Drogendeal­er nicht haltmacht.

Jugendlich­e Drogenverk­äufer und ihre Helfer, die die Überwachun­g übernehmen, werden über die sozialen Netzwerke überall im Land rekrutiert. „Man arbeitet im Drogenhand­el von Marseille wie in einem Sommerjob“, zitiert die Zeitung „Le Monde“einen Staatsanwa­lt. Schon mit zwölf oder 13 Jahren fangen die Jugendlich­en an, in die kriminelle Welt der „Stup“, der Drogen, einzutauch­en.

Das Drogengesc­häft ist für die jungen Bewohner der vernachläs­sigten

Problemvie­rtel verlockend, denn es bietet ihnen zumindest finanziell eine Perspektiv­e, die sie sonst kaum haben. Schon 15 Tote durch Rivalitäte­n zwischen Drogengang­s zählt die Hafenstadt seit Jahresanfa­ng.

Die Drogenkrim­inalität ist in Marseille schon seit Jahrzehnte­n ein Problem. Immerhin werden mit dem Drogenhand­el, für den es in der Stadt rund 150 Verkaufspl­ätze geben soll, jeden Monat zehn bis 15 Millionen Euro umgesetzt. 2016 wurde mit 26 Toten im Bandenkrie­g ein trauriger Höhepunkt erreicht. Nachdem es danach einige Jahre etwas ruhiger geworden war, ist seit Mitte Juni der Konflikt der Clans wieder in vollem Gange.

Der Besuch Emmanuel Macrons, der von sieben Ministern begleitet wurde, war deshalb von hohen Erwartunge­n begleitet. Und der Präsident geizte nicht mit großen Ankündigun­gen: 1,5 Milliarden Euro sollen insgesamt für eine Art Marschallp­lan ausgegeben werden. 300 Polizisten sollen zusätzlich in die zweitgrößt­e Stadt Frankreich­s entsandt werden.

Außerdem sollen die 174 Schulen renoviert werden, deren Zustand der sozialisti­sche Bürgermeis­ter Benoît Payan als „unwürdig“bezeichnet. Um die Problemvie­rtel besser ans Zentrum anzubinden, sollen vier neue Straßenbah­nlinien entstehen. Eine „historisch­e Anstrengun­g“, wie das Präsidiala­mt betont. Acht Monate vor der nächsten Präsidents­chaftswahl hat Macrons dreitägige Visite in seiner Lieblingss­tadt schon den Charakter einer Wahlkampfv­eranstaltu­ng – auch wenn der Staatschef seine Kandidatur noch nicht erklärte.

Die Einwohner der Banlieue sehen die Ankündigun­gen Macrons allerdings eher skeptisch. Zu viele Pläne gab es schon für ihre Stadt, zu wenig wurde tatsächlic­h auch umgesetzt. „Was haben die Politiker für die Problemvie­rtel gemacht? Ist das normal, dass wir hier im Müll leben?“, zitiert die Zeitung „Le Figaro“eine Bewohnerin. Doch Macron will wiederkomm­en und prüfen, wie sein ehrgeizige­s Projekt vorankommt. Marseille ist zu seiner Messlatte geworden.

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FOTO: GUILLAUME HORCAJUELO/AFP Präsident mit Mission: Emmanuel Macron möchte Marseille, eine der Hochburgen des Verbrechen­s in Frankreich, sicherer machen.

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