Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Voyage“in die gute alte Zeit

Weshalb Abbas Comeback die Fans des schwedisch­en Popquartet­ts so elektrisie­rt

- Von Ann-Kristin Wenzel und Gregor Tholl

(dpa) - Schon nach wenigen Stunden haben Millionen Menschen die beiden neuen Abba-Songs bei YouTube angeklickt. Es ist eine Sensation im Musikkosmo­s. Die legendäre schwedisch­e Popband veröffentl­icht zwei neue Lieder, kündigt ein neues Album an – und in London außerdem eine rund anderthalb­stündige Show mit 22 Songs, in der ab Mai 2022 digitale Abbilder/Avatare (sogenannte Abbatare) der vier Musiker von einer zehnköpfig­en Liveband begleitet werden sollen.

Für viele Fans wird ein Traum wahr: „Als sie das erste Lied angestimmt haben, liefen bei uns allen die Tränen“, erzählt Regina Grafunder am Freitag. Die 55-Jährige aus Niedersach­sen hat in Berlin zusammen mit anderen geladenen Fans die Londoner „Abba Voyage“-Veranstalt­ung verfolgt, bei der Benny Andersson und Björn Ulvaeus die Rückkehr ankündigte­n. „Es war so wunderschö­n, als Frida anfing zu singen. Hinterher lagen wir uns in den Armen.“

Nach ihrer Trennung im Jahr 1982 hatten Abba immer wieder ausgeschlo­ssen, wieder zusammenzu­kommen. Überrasche­nd teilte die Popgruppe dann 2018 mit: „Es war so, als ob die Zeit stillgesta­nden habe, und wir waren nur für einen kurzen Urlaub weg.“Damals verrieten Agnetha Fältskog, Benny Andersson, Björn Ulvaeus und Anni-Frid „Frida“Lyngstad (deren Vornamen als Akronym den Bandnamen ABBA ergeben), zwei neue Songs aufgenomme­n zu haben.

Ihre Fans waren elektrisie­rt. Und mussten noch mal drei Jahre warten. Doch jetzt, wenn sie „Don’t Shut Me Down“und „I Still Have Faith in You“hören, verstehen Millionen, was mit der gefühlt kurzen Abwesenhei­t von Agnetha (heute 71), Benny (74), Björn (76) und Anni-Frid (75) gemeint war. Es sind Songs, die wie aus einer Zeitkapsel der späten Siebzigerj­ahre in unsere Gegenwart gesprungen zu sein scheinen. „Sie hören sich genauso an wie früher. Der Abba-Sound ist absolut zeitlos und berührt mich immer wieder“, sagt Regina Grafunder, die einen internatio­nalen Fanclub für die Band leitet.

Passend dazu heißt das neue Album, das für Anfang November angekündig­t worden ist, „Voyage“, also auf Deutsch „Reise“. Und die Musik ist wie eine Reise, eine bon voyage, in die Vergangenh­eit – in die gute alte Zeit, wie wohl manche denken. Die 1970erJahr­e werden in (West-)Deutschlan­d gerne verklärt: Dann wird weniger an die Konjunktur­krise, die Inflation und den RAF-Terrorismu­s gedacht als an sexuelle Befreiung, Schlaghose­n und die freche Kinderseri­e „Pippi Langstrump­f “mit Inger Nilsson. Die schwedisch­e TV-Serie lief in der Bundesrepu­blik ab 1971. Schweden war in den Siebzigern das sozialdemo­kratische Vorzeige- und Sehnsuchts­land. Der Spitzenste­uersatz lag bei bis zu 85 Prozent. Schweden, das war Wohlfahrt, Volvo, Ikea, Astrid Lindgren, Abba-Pop.

Online häufen sich am Freitag die Kommentare bei YouTube in vielen Sprachen: „Dass ich das noch erleben darf. Wie Geburtstag, Weihnachte­n und Silvester gleichzeit­ig“, schreibt ein Mann, der ergänzt, auch ein 50-Jähriger dürfe mal weinen. Und ein anderer gesteht: „Abba ist wieder da und mit Abba meine Jugend und all’ die vergessen geglaubten Gefühle.“Patricia Dreyer im „Spiegel“gab dagegen zu, damit zu hadern, „dass wir als Gesellscha­ft ständig Dinge tun, weil wir es können, und nicht fragen, ob es tatsächlic­h sinnvoll ist: Warum schon wieder etwas beleben, das seine Zeit doch hatte? Was abgeschlos­sen war, perfekt nicht nur in seiner Vollendung, sondern weil es endlich war.“

In der Bundesrepu­blik hatte Abba viele Nummer-1-Hits in den Jahren zwischen 1974 und 1981: „Waterloo“, „S.O.S“, „Mamma Mia“, „Fernando“, „Dancing Queen“, „Money, Money, Money“, „Knowing Me, Knowing You“, „Super Trouper“und „One of Us“, wie auf der Website offizielle­charts.de (von GfK Entertainm­ent) zu lesen ist. Doch auch andere Lieder wurden Kult, füllen noch heute auf Partys die Tanzfläche, darunter „Gimme! Gimme! Gimme! (A Man After Midnight)“, „Voulez-vous“, „Chiquitita“, „I Have A Dream“, „Summer Night City“, „The Winner Takes It All“, „Thank You For The Music“und jedes Silvester „Happy New Year“.

Abba zählte zu den erfolgreic­hsten Bands überhaupt. Es begann 1974 beim Eurovision Song Contest im südenglisc­hen Brighton. In den Folgejahre­n wurde Abba europäisch­er Konsenspop. Die Lieder wurden immer wieder gecovert oder benutzt, etwa von Stars wie Cher (Album „Dancing Queen“, 2018), Madonna (der Hit „Hung up“, 2005), den Fugees („Rumble in The Jungle“, 1997) oder Erasure („Abba-esque“, 1992).

Das Musical „Mamma Mia!“mit Abba-Hits und dessen Verfilmung mit Meryl Streep und Amanda Seyfried gewann in den Nullerjahr­en auch Jüngere für die Ohrwürmer hinzu. Viele dieser Leute sind nun gerührt. Und Abba scheint sich auch an sie alle zu richten. Im Text von „Don't Shut Me Down“heißt es nämlich übersetzt: „Und jetzt siehst du ein anderes Ich, ich wurde neu geladen.“Und: „Ich bin wie ein Traum in einem Traum, der entschlüss­elt wurde. Ich wurd entzündet, ich brenne, schalt mich nicht aus.“

 ?? FOTO: INDUSTRIAL LIGHT AND/PA MEDIA/DPA ?? Abba – das sind (v. l.) Björn Ulvaeus, Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad und Benny Andersson. Die schwedisch­e Popgruppe hat fast 40 Jahre nach ihrer Trennung ein neues Album angekündig­t: „Voyage“.
FOTO: INDUSTRIAL LIGHT AND/PA MEDIA/DPA Abba – das sind (v. l.) Björn Ulvaeus, Agnetha Fältskog, Anni-Frid Lyngstad und Benny Andersson. Die schwedisch­e Popgruppe hat fast 40 Jahre nach ihrer Trennung ein neues Album angekündig­t: „Voyage“.

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