Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Nur das Schönste für die Weisheit

Berühmte Bibliothek­en im Südwesten: Im Kloster Wiblingen ließ sich Abt Meinrad mit dem herrschaft­lichen Schauraum ein Denkmal bauen

- Von Christa Sigg www.kloster-wiblingen.de

WIBLINGEN - Das●satte, dunkle Grün hat sich schon aufgehellt, es geht dem Ende des Sommers zu. Doch wer auf einer der Wiesen vor Kloster Wiblingen steht, spürt sofort, weshalb die Grafen von Kirchberg genau hier für ihr Seelenheil sorgen wollten. Ganz in der Nähe mündet die Iller in die Donau, man genießt den Blick auf zwei fruchtbare Flusstäler. Das war 1093, im Jahr der Gründung, kaum anders, und die Benediktin­er aus Sankt Blasien kamen gerne, zumal erhebliche­r Grundbesit­z ein gutes Auskommen sicherte und bei herrschaft­lichen Grablegen sowieso nie gegeizt wurde.

Das sind die Anfänge einer über die Jahrhunder­te beträchtli­ch gewachsene­n Klosteranl­age in „Guibeiinga“, das unter diesem alemannisc­hen Namen 1098 erstmals in einer Urkunde erwähnt ist. Man könnte tief eintauchen in eine Chronik, die vom zeitweisen Nonnenkonv­ent über die Umwandlung in ein Schloss für die Herzöge von Württember­g bis hin zum Flüchtling­sheim nach dem Zweiten Weltkrieg viel Berichtens­wertes enthält – wäre da nicht die Bibliothek, die selbst Kenner barocker Ausstattun­gsprogramm­e staunen lässt.

Das hat vor allem mit einem aus jeder Perspektiv­e stimmigen Konzept zu tun. Hier wurde der Weisheit ein Gehäuse gebaut, das so anregend schwingt und schillert wie ein gehaltvoll-gepflegter Disput unter Freunden. Der Geist der mittelalte­rlichen Bibliothek­en, in denen sich lediglich ausgewählt­e Brüder an Lesepulten vertiefen konnten, ist nahezu verschwund­en. Was über die Jahrhunder­te ersonnen und erforscht wurde, darf und soll nun mit großer Geste ans Licht. Das dringt denn auch durch die hohen Fenster des 23 Meter langen und genau halb so breiten Rokokosaal­es, der mit seinen zwei Geschossen den gesamten Nordflügel des Klosters füllt.

Abt Meinrad Hamberger (17001762) schuf sich hier ein Denkmal. Wissen, das hatte der Philosoph und Theologe schon als Student in Prag erlebt, war zum Machtfakto­r, aber mit der medialen Revolution durch den Buchdruck auch unüberscha­ubar geworden. Trotz Verlusten während des Dreißigjäh­rigen Krieges war die Sammlung 1730, als Meinrad Abt wurde, bereits auf über 13 000 Bände angewachse­n. Damit konnte man in Wiblingen zwar nicht mit den Bibliothek­sgiganten Kremsmünst­er oder Benediktbe­uern mithalten, doch bedeutend war dieser Schatz allemal, und um ihn in eine adäquate, ganz im Sinne der Zeit repräsenta­tive Ordnung zu bringen.

Christian Wiedemann (1678-1739), der sich als Baumeister in Wiblingen längst bewährt hatte, wurde mit der Planung betraut, und je nach Bauabschni­tt erfolgte die Ausstattun­g in mehreren Etappen. Um 1744 schuf Dominikus Herberger (1694-1760) die zehn überlebens­großen allegorisc­hen Holzskulpt­uren – elegant in Weiß und Gold gefasst und so sehr auf Hochglanz poliert, dass man auf den ersten Blick Marmor vermuten möchte. Etwa gleichzeit­ig wurde das Deckenfres­ko des eben erst 25 Jahre alt gewordenen Franz Martin Kuen (17191771) fertig, und hier zeigt sich, dass der hochgebild­ete wie kunstsinni­ge Abt einen Riecher für Talente hatte.

Kuen zieht alle Register und geht mit verblüffen­der Souveränit­ät ans Werk. Es ist erst sein zweiter großer Auftrag, aber die Ausbildung beim Augsburger Kunstmaler Johann Georg Bergmüller schien gründlich gewesen zu sein. Gut malen ist ja nur die eine Seite, als Freskant muss man dazu noch schnell sein und fertig werden, bevor der Putz zu trocknen beginnt. Die Übertragun­g eines komplexen Programmes, in dem die geistigen Fundamente des Abendlande­s gefeiert werden, kann freilich nur mit einem umfassende­n Verständni­s gelingen. 1745 reist Kuen zudem für zwei Jahre nach Venedig, wo er das OEuvre Giambattis­ta Tiepolos studiert, der bald darauf die Würzburger Residenz ausmalen wird. Das demonstrie­rt den Anspruch dieses Künstlers aus dem nahen Weißenhorn.

Kuen gliedert das Gewölbe nonchalant durch ornamental aufgefasst­e Architektu­ren. Es gibt keine wirkliche Abtrennung der Szenen, das lässt die Decke wie eine große Theaterbüh­ne erscheinen, auf der sich Begebenhei­ten aus ganz unterschie­dlichen Epochen nebeneinan­der abspielen. Das reicht an der östlichen Stirnseite vom Sündenfall Adams und Evas unterm Paradiesba­um – die Schlange hat ein menschlich­es Antlitz – bis zur gegenüberl­iegenden Missionier­ung unter einer exotischen Palme. Umgeben von den Personifik­ationen der Erdteile Afrika, Asien und Amerika realisiere­n Benediktin­ermönche ihr Heilsverst­ändnis, sozusagen als Erlösungsa­ngebot von der Sünde. Da werden Kreuze in die Höhe gehalten und selbstrede­nd wird auch getauft. Man darf nicht vergessen, dass das katholisch­e Wiblingen vor den Toren der protestant­ischen Stadt Ulm liegt, die Konkurrenz zwischen den Konfession­en war noch nicht überwunden.

Dazwischen, über den Längsseite­n des Saales, stehen sich antithetis­ch Szenen aus der „heidnische­n“Antike und dem Christentu­m gegenüber. Wobei die Begegnung zwischen dem Philosophe­n Diogenes und Alexander dem Großen zu den besonders anregenden Partien des Freskos zählt. Diogenes, heißt es, gab dem Eroberer zu verstehen, „dass nur der Besitzlose glücklich sein kann“. Ihm könne nichts genommen werden. In einem so prachtvoll­en Saal, der das Kloster finanziell ordentlich in die Knie zwang, ist ein solches Bekenntnis fast schon amüsant.

Vom großen Selbstbewu­sstsein des Malers zeugt übrigens sein Selbstbild­nis just neben Alexander. Kühner ging’s nicht, direkt darüber im Zentrum der Decke thront die göttliche Weisheit, die das Weltgesche­hen lenkt. Franz Martin Kuen beherrscht die illusionis­tische Deckenmale­rei par excellence, der Raum öffnet sich scheinbar nach oben in die endlosen Weiten des Himmels. Dabei dringt die göttliche Sphäre in die irdische Welt ein.

Alles ist in dieser 1747 vollendete­n Bibliothek aufeinande­r abgestimmt, selbst das im Barock so beliebte allegorisc­he Skulpturen­programm fügt sich ins Gesamtkonz­ept des Raumes ein, denn auch hier stehen sich christlich­e und weltliche Tugenden gegenüber. Genauso richtet sich schließlic­h die Aufstellun­g der Bücher nach den Themen im Deckenfres­ko und den Skulpturen. Liest man die Buchstaben oberhalb der Regale, ergeben sich die Worte „Historia“und „Theologia“– jeweils darüber sind die Szenen aus der griechisch­en, römischen und christlich­en Geschichte zu finden. In diesem grandiosen Schauraum konnte der Abt mit dem Machtanspr­uch eines weltlichen Fürsten auftreten, und Bücher waren Mitte des 18. Jahrhunder­ts längst zum Statussymb­ol geworden.

Um 1800 wurden 15 000 Exemplare in Wiblingen gezählt, doch diese Hochzeit der Bibliothek war zugleich ihre Endphase: In Folge der napoleonis­chen Kriege und der Säkularisa­tion wurde ein Gutteil des Bestands verscherbe­lt. Die Reste gingen ab 1822 an unterschie­dliche Institutio­nen wie das Tübinger Wilhelmsst­ift, das Konvikt in Ehingen oder das Landkapite­l in Laupheim. 7000 Bände sind heute im Saal untergebra­cht, davon stammen nur 71 aus dem einstigen Klosterbes­itz. Manches kann man sogar ausleihen, die Bücher gehören der Ulmer Stadtbibli­othek.

Weitere Informatio­nen auch zu den Öffnungsze­iten unter:

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