Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Goldshow von Blade Runner Floors

Leichtathl­eten um den „fastest man on no legs“holen innerhalb von einer halben Stunde ganzen Medaillens­atz

- Von Holger Schmidt und Tobias Brinkmann

(dpa) - Als sich Johannes Floors endgültig zum schnellste­n Mann ohne Beine gekrönt hatte, wartete „Tante Silber“schon im Ziel. Mit Deutschlan­dfahne um die Schultern und einem Belohnungs­eis in der Hand jubelte Irmgard Bensusan dem neuen Prothesen-Sprintköni­g zu. Sie sprang ihm jubelnd in die Arme – und ließ ihr Eis fallen.

„In dem Moment wäre es sogar in Ordnung gewesen, wenn es mir den Meniskus rausgehaue­n hätte“, sagte Floors, der seine Freude beim Zieleinlau­f über 400 Meter mit einem lauten „I am the champion“rausgeschr­ien hatte. Es war auch eine Menge Erleichter­ung dabei. Weltmeiste­r, Weltrekord­ler, Europameis­ter – all das war er schon in der unter den Para-Leichtathl­eten in der magischen Nachfolgek­lasse von „Blade Runner“Oscar Pistorius. Doch ohne dieses Paralympic­s-Gold bei den Spielen in Tokio wäre es nicht perfekt gewesen.

„Jetzt könnte ich heulen. Vorher habe ich mir in die Hose geschissen“, sagte der 26-Jährige. „Das tue ich vor jedem Rennen, aber diesmal war es noch mal ganz anders. Mir ist jeder Gedanke zweimal durch den Kopf gegangen. Was machst du, wenn du gewinnst? Was passiert, wenn du ausrutschs­t? Oder wenn die Scheißfede­r beim Aufwärmen bricht? Zum Glück habe ich das Positive rauskanali­siert.“

Nun hat er alles beisammen. „Fastest man on no legs. Klingt geil. Nehm’ ich“, sagte der Leverkusen­er. So hieß auch schon der Südafrikan­er Pistorius, der den Para-Sport durch seine Olympiatei­lnahme 2012 bekannt gemacht hatte und heute wegen Totschlags seiner Freundin im Gefängnis sitzt. „Jetzt ist meine Ära“, sagte Floors, der in 45,85 Sekunden nur sieben Hundertste­lsekunden unter seinem Weltrekord geblieben war.

Seine Leverkusen­er Trainingsk­ollegin Bensusan freute sich ausgelasse­n mit. „Die Jungs sind tief in meinem Herzen“, sagte die 30-Jährige. Dass sie 20 Minuten zuvor zum fünften Mal Paralympic­s-Silber statt der erlösenden Goldmedail­le gewonnen hatte, grämte sie keineswegs. „Die 100 Meter hasse ich eigentlich“, sagte Bensusan, die sich wieder nur der Niederländ­erin Marlene van Gansewinke­l geschlagen geben musste: „Ich gebe zu: Nach den 200 Metern war ich abgefuckt. Weil ich sie da in den vergangene­n Jahren geschlagen habe. Da war ich enttäuscht. Jetzt bin ich happy. Ich bin die Zweitbeste der Welt. Obwohl ich nur gegen Prothesen laufe. Das ist phänomenal.“Bensusan leidet an einer Nervenschä­digung im rechten Unterschen­kel. „Silber Irmie“wollte die geborene Südafrikan­erin, die von den Teamkolleg­en „Tante Irmie“gerufen wird, aber nicht genannt werden: „,Silber-Tante‘ ist besser.“

Bronze gewann Ali Lacin. Der Berliner hatte mit seinem Lauf über 200 Meter der Unterschen­kelamputie­rten den deutschen Medaillens­atz im Olympiasta­dion innerhalb einer halben Stunde komplett gemacht. „Ich habe mich wochenlang zurückgeha­lten.“, sagte der 33-Jährige. „Jetzt wird auf jeden Fall was Ordentlich­es gegessen“, sagte er.

Abseits des Olympiasta­dions gab es für Deutschlan­d am drittletzt­en Wettkampft­ag noch zwei Medaillen. Sportschüt­zin Natascha Hiltrop aus Lengers gewann nach Gold mit dem Luftgewehr Silber im 50-Meter-Dreistellu­ngswettkam­pf mit dem Gewehr. Schwimmeri­n Verena Schott (Cottbus) holte über 100 Meter Rücken wie zuvor schon über 200 Meter Lagen und 100 Meter Brust erneut Bronze.

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FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Souverän zu Gold: Johannes Floors.

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