Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Spahn verteidigt Auffrischungsimpfung für Senioren
Eine Stiko-Empfehlung für die Boosterimpfungen steht bislang noch aus
(epd/dpa) - Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat das Vorgehen von Bund und Ländern verteidigt, noch vor einer offiziellen Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) Auffrischungsimpfungen für Senioren und Immungeschwächte gegen Covid-19 anzubieten. „Ich will nicht warten, bis in den Pflegeheimen wieder Menschen sterben“, sagte Spahn dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Dass wir jetzt mit den Boosterimpfungen begonnen haben, ist vorausschauendes, vorsorgliches Handeln. Damit schützen wir Menschenleben.“Kritik an Spahns Äußerungen kam von der Deutschen Stiftung Patientenschutz.
Der Minister sagte, es gebe bereits viele Studien, die eindeutig belegten, dass Boosterimpfungen für Hochbetagte, Pflegebedürftige und Menschen mit bestimmten Immunerkrankungen sinnvoll seien. „Wir haben genug Impfstoff, um mit Boosterimpfungen für mehr Schutz zu sorgen. Also sollten wir auch handeln.“
Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz wandte dagegen ein, vorausschauendes und vorsorgliches Handeln sehe anders aus. Es sei falsch, mit den Boosterimpfungen loszulegen, ohne die Empfehlung der Stiko abzuwarten. „Schon wieder torpediert die Politik die wissenschaftliche Expertise der unabhängigen Impfexperten“, sagte Brysch. Allein medizinische Fakten dürften über den richtigen Zeitpunkt der dritten Impfung entscheiden. „Dafür muss zunächst auch bei hochbetagten und schwer kranken Menschen der Immunstatus in den Blick genommen werden“, argumentierte Brysch. Das stärke auch die Impfkampagne.
Spahn bezeichnete das gegenwärtige Tempo der Impfkampagne als zu gering. Die Impfquote sei noch zu niedrig, um eine Überlastung des Gesundheitswesens zu verhindern.
Die Zahlen zeigten jedoch bereits eindeutig, dass die Impfungen wirksam seien. Ungeimpfte infizierten sich mehr als zehnmal häufiger als Geimpfte. Rund 90 Prozent der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen seien ungeimpft. „Wir sehen derzeit eine Pandemie der Ungeimpften“, unterstrich der Minister.
Angesichts der Impfmüdigkeit warnen auch Intensivmediziner vor einer erneut hohen Auslastung der Kliniken im Herbst. „Wenn wir bis Oktober nicht die Impfquote deutlich nach oben bringen, bekommen wir im Herbst einen richtig starken Anstieg der Coronafälle auf den Intensivstationen“, sagte Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) , der „Augsburger Allgemeinen“. Sorge bereite ihm die Zeit ab Oktober und November.
Der Unterschied einer zehn Prozent höheren oder niedrigeren Impfquote sei bei der Auswirkung auf die Intensivstationen enorm, sagte der Leiter des Intensivregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Bei einer Impfquote von 80 Prozent gebe es doppelt so viele Gefährdete wie bei einer Impfquote von 90 Prozent, bei einer Impfquote von 70 Prozent dreimal so viele. Deshalb helfe den Intensivstationen eine zehn Prozent höhere Impfquote unheimlich viel.
Über die Corona-Impfungen fühlen sich die meisten erwachsenen Bundesbürger laut einer Umfrage gut informiert – aber je jünger, desto weniger. Nach eigenem Bekunden gut über Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen im Bilde sehen sich 61 Prozent, wie die repräsentative Umfrage im Auftrag des Verbands der Privaten Krankenversicherung (PKV) ergab. Bei Menschen ab 60 Jahren sagten dies 72 Prozent von sich, während es bei den 18- bis 29Jährigen 48 Prozent waren.