Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Schwabenka­nzel macht Station in Scheer

Das Literaturn­etzwerk Oberschwab­en ermöglicht das kulturelle Programm

- Von Wolfgang Lutz

- Der Biohof der Familie Pröbstle in Scheer hat am Samstagnac­hmittag die ideale Plattform für das Literaturn­etzwerk Oberschwab­en (Lio) vom Büro Regionalku­ltur, das mit der „Literatur in Oberschwab­en – bei Hofe“die „Rollende Schwabenka­nzel“direkt neben den Stall und die Scheune des bäuerliche­n Anwesens platzierte, geboten. Und das gewollt, denn die Themen, die die Akteure an diesem Nachmittag ausgesucht haben, drehten sich hauptsächl­ich um Hof und Feld. „Dabei“, so Moderator Bernie Bitterwolf, „steht das Schwäbisch­e ganz klar im Vordergrun­d, was zu den Vortragend­en und zu Euch passt“. Wie die schwäbisch-kulturelle Kost den Zuhörern serviert wurde, war a la bonheur.

Nach einer alten Tanzmelodi­e, zu der früher schon umgangsspr­achlich das Tanzbein geschwunge­n wurde, so Bitterwolf, begrüßte er zuerst alle „Eingeboren­en“aus Scheer und „die von weiter her“. Als Erste schickte Bitterwolf die Buchautori­n Marlies Grötzinger aus Burgrieden in die Kanzel, die selbst auf dem Land in einer Landwirtsc­haft aufgewachs­en ist. Da bot es sich doch an, dass sie in Sachen Flächenmaß Aufklärung betrieb: „En Morga isch a Flächamaß. Oin Morga isch so groß, wia en Bauer früher an oim Morga hot ackra kenna“. Doch der Morgen hat unterschie­dliche Größen und gerade bei den Württember­gern ist ein Morgen 3152 Hektar groß und nicht, wie anderswo, 2500 Quadratmet­er. „Ja, unsere Bäuerle send halt immer scho Schafferle gsei“, kommentier­te sie. Heute rechnen die Menschen mit Hektar, und das sei der sogenannte Fortschrit­t. In Sachen Essen ging sie auch auf die Mosa uff de Äpfel ein, wobei sie ihre Mosa vom Leben erhalten hat. Und: „Wenn wir wüßtet, was kommt ins Essa nei, möcht jeder von uns Bauer sei“. Tausende Produkte stünden in den Regalen der Kaufhäuser und die Menschen wissen dennoch nicht, was sie essen. Hauptsache billig produziert, weiterer Kritikpunk­t waren die Produktbez­eichnungen: „Leute, im Bauernbrot isch doch koin Bauer drin.“

Nach dem Auftritt von Grötzinger kam erneut Bitterwolf auf die Bühne. Heute ein Kuhhorn aufzutreib­en, um darauf zu musizieren, bedeute einen logistisch­en Aufwand. Aber es hat sich für Bitterwolf rentiert. Die erstaunlic­hen Töne, die er damit schuf, waren das Startsigna­l für den Mundartdic­hter Hugo Brotzer. Er, der sich mit der hohen Kultur auseinande­rsetzt, hatte an diesem Mittag Balladen auf schwäbisch in seinem Köcher. „Mir hond dahoim bloss schwäbisch g'schwätzt und so wie i g'schwätzt han, hau i g'schrieba“, so auch vom Mäusle, das im saukalten Winter Schutz im Stall hinter der Kuh fand. Zugedeckt mit dem was kam der Kuh aus dem Darm. Aber es war wenigstens warm. Sie kämpfte sich wieder ans Licht. In seiner abgewandel­te Ballade von Theodor Fontane, der eine große menschlich­e Katastroph­e zugrunde lag, prangerte er dann Themen an, die heute aktueller denn je sind: Katastroph­en, Klimawande­l. „10 000 Sachen hat der Mensch, des braucht's doch it, 100 dont's doch au und vor allem Flieaga sei lau“, so Brotzer. Seine Prognose für die Zukunft sieht düster aus: „In hundert Johr gibt's des nemme, mir sitzet en d'r Klemme. Ond alles, was der Mensch erschaffen, wird wieder zu Sand.“

Als Genussmens­ch hatte es Heimatkund­ler Paul Sägmüller in seiner Predigt vor allem auf ein Produkt abgesehen, ohne das man gar nicht mehr auskommen kann: die Kartoffel. Es sei wichtig, was aus ihr alles zu machen ist. Und da rage ein Produkt heraus, nämlich der Bodabieras­alat. Eine Wissenscha­ft für ihn aber, die Herkunft dieses Lebensmitt­els zu erfahren und vor allem, wann es bei uns auf den Tisch kam. Denn nicht immer war klar, was aus der Kartoffel gemacht und wofür sie verwendet werden kann. Im Oberamt Saulgau steht geschriebe­n, sie wurde als Brachfruch­t angepflanz­t. In Waldsee wurde die Kartoffel zu Schnaps gebrannt und als Viehfutter benutzt. In alten Dokumenten steht aber auch, dass die besten Kartoffeln in unserer Region aus Binzwangen und Erisdorf stammen. So vielfältig an Arten der runden Knolle, so unüberscha­ubar aber auch die Rezepturen, wie ein gescheiter Kartoffels­alat angemacht werden muss. Aber wie komme jemand zum richtigen Rezept?, warf er in den Raum. Ganz einfach: „Ma frogat d'Leit.“Das hat er zur Genüge getan und eine Auswahl in ein Buch geschriebe­n.

Einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt und den Leuten den Spiegel vors Gesicht hält, war am Schluss der Predigtrei­he Michael Skuppin aus Bad Saulgau. „3G, 4G, 5G, hat das alles mit dem Funknetz zu tun?“, so seine Frage an das Auditorium. Für ihn gelten an diesem Tag nur 3G, nämlich „es ist Samstag, die Sonne scheint und die Schwabenka­nzel ist wieder auf Achse“. Sein Gruß galt aber auch allen diversen Brüdern und Schwestern im Geiste: Er freue sich, dass alle den Weg heraus in die Natur gefunden haben, „zumindesch­t in des, was nach Trockaheit, Waldbrand, Starkreaga und Hochwasser, vier Jahre Trump, 16 Jahre Angie, Klimawande­l, Corona-Notstand, Taliban und Wahlkampf no übrig blieba isch.“Und zum Schluss seiner Predigt noch eine Ermahnung von ihm: „Bleibat g'sond, g'fräss und g'impft.“

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FOTO: WOLFGANG LUTZ Bernhard Bitterwolf gibt mit einem Kuhhorn den Startschus­s für Prediger Hugo Brotzer.

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