Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Schwabenkanzel macht Station in Scheer
Das Literaturnetzwerk Oberschwaben ermöglicht das kulturelle Programm
- Der Biohof der Familie Pröbstle in Scheer hat am Samstagnachmittag die ideale Plattform für das Literaturnetzwerk Oberschwaben (Lio) vom Büro Regionalkultur, das mit der „Literatur in Oberschwaben – bei Hofe“die „Rollende Schwabenkanzel“direkt neben den Stall und die Scheune des bäuerlichen Anwesens platzierte, geboten. Und das gewollt, denn die Themen, die die Akteure an diesem Nachmittag ausgesucht haben, drehten sich hauptsächlich um Hof und Feld. „Dabei“, so Moderator Bernie Bitterwolf, „steht das Schwäbische ganz klar im Vordergrund, was zu den Vortragenden und zu Euch passt“. Wie die schwäbisch-kulturelle Kost den Zuhörern serviert wurde, war a la bonheur.
Nach einer alten Tanzmelodie, zu der früher schon umgangssprachlich das Tanzbein geschwungen wurde, so Bitterwolf, begrüßte er zuerst alle „Eingeborenen“aus Scheer und „die von weiter her“. Als Erste schickte Bitterwolf die Buchautorin Marlies Grötzinger aus Burgrieden in die Kanzel, die selbst auf dem Land in einer Landwirtschaft aufgewachsen ist. Da bot es sich doch an, dass sie in Sachen Flächenmaß Aufklärung betrieb: „En Morga isch a Flächamaß. Oin Morga isch so groß, wia en Bauer früher an oim Morga hot ackra kenna“. Doch der Morgen hat unterschiedliche Größen und gerade bei den Württembergern ist ein Morgen 3152 Hektar groß und nicht, wie anderswo, 2500 Quadratmeter. „Ja, unsere Bäuerle send halt immer scho Schafferle gsei“, kommentierte sie. Heute rechnen die Menschen mit Hektar, und das sei der sogenannte Fortschritt. In Sachen Essen ging sie auch auf die Mosa uff de Äpfel ein, wobei sie ihre Mosa vom Leben erhalten hat. Und: „Wenn wir wüßtet, was kommt ins Essa nei, möcht jeder von uns Bauer sei“. Tausende Produkte stünden in den Regalen der Kaufhäuser und die Menschen wissen dennoch nicht, was sie essen. Hauptsache billig produziert, weiterer Kritikpunkt waren die Produktbezeichnungen: „Leute, im Bauernbrot isch doch koin Bauer drin.“
Nach dem Auftritt von Grötzinger kam erneut Bitterwolf auf die Bühne. Heute ein Kuhhorn aufzutreiben, um darauf zu musizieren, bedeute einen logistischen Aufwand. Aber es hat sich für Bitterwolf rentiert. Die erstaunlichen Töne, die er damit schuf, waren das Startsignal für den Mundartdichter Hugo Brotzer. Er, der sich mit der hohen Kultur auseinandersetzt, hatte an diesem Mittag Balladen auf schwäbisch in seinem Köcher. „Mir hond dahoim bloss schwäbisch g'schwätzt und so wie i g'schwätzt han, hau i g'schrieba“, so auch vom Mäusle, das im saukalten Winter Schutz im Stall hinter der Kuh fand. Zugedeckt mit dem was kam der Kuh aus dem Darm. Aber es war wenigstens warm. Sie kämpfte sich wieder ans Licht. In seiner abgewandelte Ballade von Theodor Fontane, der eine große menschliche Katastrophe zugrunde lag, prangerte er dann Themen an, die heute aktueller denn je sind: Katastrophen, Klimawandel. „10 000 Sachen hat der Mensch, des braucht's doch it, 100 dont's doch au und vor allem Flieaga sei lau“, so Brotzer. Seine Prognose für die Zukunft sieht düster aus: „In hundert Johr gibt's des nemme, mir sitzet en d'r Klemme. Ond alles, was der Mensch erschaffen, wird wieder zu Sand.“
Als Genussmensch hatte es Heimatkundler Paul Sägmüller in seiner Predigt vor allem auf ein Produkt abgesehen, ohne das man gar nicht mehr auskommen kann: die Kartoffel. Es sei wichtig, was aus ihr alles zu machen ist. Und da rage ein Produkt heraus, nämlich der Bodabierasalat. Eine Wissenschaft für ihn aber, die Herkunft dieses Lebensmittels zu erfahren und vor allem, wann es bei uns auf den Tisch kam. Denn nicht immer war klar, was aus der Kartoffel gemacht und wofür sie verwendet werden kann. Im Oberamt Saulgau steht geschrieben, sie wurde als Brachfrucht angepflanzt. In Waldsee wurde die Kartoffel zu Schnaps gebrannt und als Viehfutter benutzt. In alten Dokumenten steht aber auch, dass die besten Kartoffeln in unserer Region aus Binzwangen und Erisdorf stammen. So vielfältig an Arten der runden Knolle, so unüberschaubar aber auch die Rezepturen, wie ein gescheiter Kartoffelsalat angemacht werden muss. Aber wie komme jemand zum richtigen Rezept?, warf er in den Raum. Ganz einfach: „Ma frogat d'Leit.“Das hat er zur Genüge getan und eine Auswahl in ein Buch geschrieben.
Einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt und den Leuten den Spiegel vors Gesicht hält, war am Schluss der Predigtreihe Michael Skuppin aus Bad Saulgau. „3G, 4G, 5G, hat das alles mit dem Funknetz zu tun?“, so seine Frage an das Auditorium. Für ihn gelten an diesem Tag nur 3G, nämlich „es ist Samstag, die Sonne scheint und die Schwabenkanzel ist wieder auf Achse“. Sein Gruß galt aber auch allen diversen Brüdern und Schwestern im Geiste: Er freue sich, dass alle den Weg heraus in die Natur gefunden haben, „zumindescht in des, was nach Trockaheit, Waldbrand, Starkreaga und Hochwasser, vier Jahre Trump, 16 Jahre Angie, Klimawandel, Corona-Notstand, Taliban und Wahlkampf no übrig blieba isch.“Und zum Schluss seiner Predigt noch eine Ermahnung von ihm: „Bleibat g'sond, g'fräss und g'impft.“