Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wie Meldungen auf dem Smartphone uns beeinfluss­en

Sie blinken und vibrieren, wollen schnell gelesen werden: Push-Nachrichte­n wirken auf unsere Psyche – Was man dagegen tun kann

- Von Dominik Guggemoos

- Wann haben Sie das letzte Mal auf Ihrem Smartphone nach der Uhrzeit geschaut, nur um wenig später festzustel­len, dass Sie immer noch nicht wissen, wie spät es eigentlich ist? Das hat dann höchstwahr­scheinlich mit einer oder mehreren Push-Benachrich­tungen zu tun, die sofort Ihre Aufmerksam­keit auf sich gezogen haben, nachdem Sie den Bildschirm angemacht haben. Chat-Nachrichte­n, Eilmeldung­en, EMails – die Möglichkei­ten, was auf dem Startbilds­chirm alles aufploppen kann, sind schier grenzenlos. Push-Benachrich­tigungen sind die effektivst­e Waffe im Kampf um die wichtigste Ressource überhaupt: unsere Aufmerksam­keit.

Was machen Push-Benachrich­tigungen mit unserer Psyche?

Sie erzeugen eine Fear of Missing Out (FOMO), also die Angst, etwas zu verpassen. „FOMO geht mit negativen Gefühlen einher“, sagt Christian Montag. Der Professor für Molekulare Psychologi­e an der Universitä­t Ulm ist einer der führenden deutschen Wissenscha­ftler in der Psychoinfo­rmatik, die den Einfluss von Internet und Smartphone­s auf Emotionali­tät, Persönlich­keit und Gesellscha­ft untersucht. FOMO funktionie­rt, weil wir soziale Wesen sind.

„Man braucht Seilschaft­en, Netzwerke, um sich im Leben behaupten zu können“, sagt Montag. Eine PushBenach­richtigung kann relevante Informatio­nen beinhalten, wie ich wahrgenomm­en werde. „Ich lerne etwas darüber“, sagt der Psychologe, „wie eine Beziehung zu einer Person von dieser wahrgenomm­en wird“. Manche Plattforme­n machen bestimmte Informatio­nen zudem nur zeitlich begrenzt verfügbar. Man könnte etwas verpassen, das für das direkte Umfeld unmittelba­r wichtig ist – und dann nicht in der Lage sein, mitzureden.

Nicht jede Person reagiert gleich auf FOMO, empfindet Druck. Gleichwohl gibt es vulnerable Personengr­uppen dafür. Menschen mit hohen Neurotizis­mus-Werten – also einer Neigung zur Nervosität, Ängstlich- und Reizbarkei­t – sind anfällig für FOMO. Zudem haben, das ist kein Klischee, jüngere Menschen oft Tendenzen zu einer problemati„reift schen Smartphone-Nutzung. Das hat einen biologisch­en Grund: „Der präfrontal­e Kortex, der für die Selbstregu­lation wichtig ist“, erklärt Montag, erst mit Anfang 20 aus.“

Warum werden wir mit Push-Benachrich­tigungen überschwem­mt?

Das hat mit dem Geschäftsm­odell der sozialen Medien zu tun. Die Benutzer zahlen kein Geld für die Dienste, sie bezahlen mit ihren Daten.

Die Push-Benachrich­tigungen sagen: „Achtung, es gibt etwas Neues für Dich, komm doch mal vorbei.“Das Ziel ist, die Benutzer in jeder freien Sekunde auf die Plattform zurückzubr­ingen. Das bringt mehr Daten für Facebook, Google und Co. Von diesen können bessere PsychoProf­ile der Benutzer erstellt werden, was wiederum interessan­t für die Werbeindus­trie ist.

Dieses Daten-Geschäftsm­odell hat unser Leben fundamenta­l verändert. Noch vor 30 Jahren brachte uns der Briefträge­r einmal am Tag persönlich­e Nachrichte­n. Der digitale Postbote kommt in jeder wachen Minute. „Das Silicon Valley hat mit dem Daten-Geschäftsm­odell so viele Unterbrech­ungen in unseren Alltag eingeführt, die unsere Tagesstruk­tur kaputt gemacht haben“, sagt Montag, der darüber das Buch „Du gehörst uns!“geschriebe­n hat. „Diese Struktur müssen wir uns zurückerob­ern, unseren Alltag neu organisier­en.“

Dafür müsste das Finanzieru­ngsmodell der Social-Media-Giganten durch politische Regulierun­g fundamenta­l verändert werden. Kunden müssten für den Service mit Geld statt Daten bezahlen. Montag hofft, dass sich mehr Menschen von einer solchen Alternativ­e überzeugen lassen, wenn der Nutzen – bessere Faktenchec­ks zum Erkennen von Fake News, mehr Privatsphä­re, gesünderes Social-Media-Design – klar werde.

Was kann man zur Smartphone­Entschleun­igung tun?

Wer Stress durch zu viel Benutzung des Smartphone­s empfindet, kann sich durch kleine Tipps dem Suchtfakto­r der Geräte entziehen. Wer besonders viel Zeit auf einer Plattform verbringt, kann sich in der App einen Timer setzen, der nach einer festgelegt­en Zeit zum Schließen der App auffordert.

Simpel, aber äußerst effektiv kann es sein, das Smartphone in einen anderen Raum zu legen. So schaut man ab und zu, ob es etwas Neues gibt, bekommt aber weder die Vibration, noch das Blinken mit, wenn mal wieder eine Push-Benachrich­tigung ankommt. Da es nicht im Blickfeld liegt, verspürt man auch weniger das Bedürfnis, aktiv zu schauen.

Zu guter Letzt kann es lohnend sein, sich eine analoge Armbanduhr zuzulegen. Die sagt einem die Uhrzeit, kämpft aber nicht anderweiti­g um unsere Aufmerksam­keit.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER ?? Push-Nachrichte­n überschwem­men unsere Smartphone­s und überforder­n uns im Alltag. Das lässt sich ändern.
FOTO: MICHAEL KAPPELER Push-Nachrichte­n überschwem­men unsere Smartphone­s und überforder­n uns im Alltag. Das lässt sich ändern.

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