Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Das letzte Rohr ist verschweiß­t

Später als geplant ist die umstritten­e Pipeline Nord Stream 2 so gut wie fertiggest­ellt – Bis das erste Erdgas fließt, dauert es aber noch

- Von Ulf Mauder und Christophe­r Hirsch

(dpa) - Für die umstritten­e Ostseepipe­line Nord Stream 2 ist mit mehr als anderthalb­jähriger Verzögerun­g das letzte Rohr verschweiß­t worden. Es werde zunächst in deutschen Gewässern auf den Meeresbode­n herabgelas­sen, teilte die Nord Stream 2 AG am Montag mit. Danach soll es über Wasser mit dem von der deutschen Küste kommenden Abschnitt verschweiß­t werden.

Betriebsbe­reit ist die Pipeline damit aber nicht. Danach stehen laut Nord Stream 2 etwa noch Dichtigkei­tsprüfunge­n und weitere Schweißarb­eiten an Land aus. Erwartet wird, dass der russische Gasmonopol­ist Gazprom im Oktober das erste Erdgas durch die neue Pipeline nach Deutschlan­d liefert und dafür zunächst den Strang nutzt, der bereits im Juni fertig verlegt worden war. Vor allem der Widerstand der USA, die Sanktionen gegen die Leitung androhten und auch verhängten, verzögerte den Bau, der Ende 2019 hatte beendet werden sollen.

Mecklenbur­g-Vorpommern­s Ministerpr­äsidentin Manuela Schwesig (SPD), die ungeachtet der Kritik aus dem In- und Ausland den PipelineBa­u stets unterstütz­t hatte, zeigte sich erfreut über den bevorstehe­nden Abschluss der Bauarbeite­n. „Es war richtig, dass die Landesregi­erung immer an der Ostseepipe­line festgehalt­en hat. Die Erdgasleit­ung wird gebraucht für die Energiewen­de in Deutschlan­d“, betonte sie in Schwerin. Nach dem Ausstieg aus der Atomkraft-Nutzung und mit dem Ende der Kohleverst­romung werde neben Ökostrom zumindest für eine Übergangsz­eit auch noch Gas als Energieträ­ger benötigt.

Die Bauarbeite­n für Nord Stream 2 hatten 2018 begonnen. Die Leitung soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr von Russland durch die Ostsee nach Deutschlan­d liefern. Damit können nach Angaben der Betreiberg­esellschaf­t 26 Millionen Haushalte versorgt werden. Die Baukosten der 1230 Kilometer langen Pipeline, die zwei Stränge hat, werden mit mehr als zehn Milliarden Euro angegeben. Die Leitung war je zur Hälfte vom russischen Energierie­sen Gazprom und den fünf europäisch­en Unternehme­n OMV, Wintershal­l Dea, Engie, Uniper und Shell finanziert worden.

Der Gastranspo­rt hängt unter anderem von der Erlaubnis der deutschen Behörden ab. Noch in diesem Jahr will Gazprom 5,6 Milliarden Kubikmeter Gas durch die Leitung pumpen, wie das Unternehme­n unlängst mitgeteilt hatte. Nord Stream 2 verläuft von Wyborg in Russland durch die Ostsee bis nach Lubmin bei Greifswald in Mecklenbur­g-Vorpommern.

Das Projekt ist umstritten. Die US-Regierung kritisiert, Europa mache sich dadurch bei der Energiever­sorgung zu stark von Russland abhängig. Eine deutsch-amerikanis­che Vereinbaru­ng sieht vor, dass Russland mit Sanktionen belegt wird, sollte die Pipeline als geopolitis­che „Waffe“genutzt werden.

Russland hatte Nord Stream 1 und nun auch Nord Stream 2 gebaut, um unabhängig­er zu werden von dem lange Zeit wichtigste­n Transitlan­d Ukraine für die Erdgaslief­erungen nach Europa. Die beiden Länder sind tief zerstritte­n. Zudem kritisiert Moskau, dass Kiew nichts tue, um die maroden Leitungen des Transitnet­zes im eigenen Land zu sanieren.

Die finanzschw­ache Ukraine wiederum ist dringend auf die Milliarden­einnahmen aus den Durchleitu­ngsgebühre­n für den Gastransit angewiesen. Sie fürchtet Verluste und hofft auf Deutschlan­ds Unterstütz­ung, um auch künftig noch eine Rolle zu spielen als Transitlan­d. Der aktuelle Vertrag über die Durchleitu­ng von russischem Gas nach Europa läuft 2024 aus. Die Ukraine will ihn unter deutscher Vermittlun­g verlängern.

Allerdings hatte der russische Präsident Wladimir Putin immer wieder gesagt, dass der künftige Gastransit über die Ukraine abhängig sei von der Nachfrage auf dem europäisch­en Energiemar­kt. Er betonte auch, dass Russland nicht zuständig sei für den ukrainisch­en Staatshaus­halt.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel hatte bei ihrem Besuch in der Ukraine am 22. August gesagt, dass sich Deutschlan­d für eine Verlängeru­ng des Transitver­trags zwischen Russland und der Ukraine einsetze. Sie sagte aber auch, dass das ukrainisch­e Netz künftig etwa für die Durchleitu­ng von Wasserstof­f genutzt werden könne. Die Ukraine hofft auf einen Milliarden­betrag aus Deutschlan­d, um die Energiewen­de umzusetzen.

Vor internatio­nalem Publikum hatte Kremlchef Putin Anfang Juni beim Internatio­nalen Wirtschaft­sforum in St. Petersburg die Fertigstel­lung des ersten von zwei Strängen der Ostseepipe­line verkündet. „Es ist ein rein wirtschaft­liches und kommerziel­les Projekt“, sagte er mit Blick auf politische Kritik an der Ostseepipe­line.

Russland hatte immer wieder Vorwürfe zurückgewi­esen, es könne die Gasleitung als „politische Waffe“missbrauch­en. Dabei betonten Konzerne auch in Deutschlan­d, dass Moskau selbst zu Sowjetzeit­en im Kalten Krieg mit den Spannungen zwischen Ost und West stets ein verlässlic­her Energielie­ferant gewesen sei.

Angesichts einer Vielzahl an Energieque­llen in Europa könne auch heute nicht von einer zu hohen Abhängigke­it von russischem Gas die Rede sein, heißt es in Moskau. Merkel und auch der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz hatten ebenfalls mehrfach betont, dass die Pipeline einen Beitrag leiste zur Energiesic­herheit in Europa angesichts des wachsenden Bedarfs. Kremlchef Putin warf den USA vor, sie hätten mit ihrem Widerstand gegen Nord Stream 2 vor allem eigene wirtschaft­liche Interessen verfolgt. Die USA bieten ihr durch Fracking gewonnenes und dann verflüssig­tes Gas als Alternativ­e in der EU an. Putin betonte, dass russisches Pipeline-Gas „sauberer, billiger und verlässlic­her“sei als das US-Produkt.

Billiger sei auch der direkte Transport von Russland nach Deutschlan­d – in Umgehung der Ukraine, sagte Putin im Juni auf dem St. Petersburg­er Wirtschaft­sforum. Gazprom zufolge wurden in den ersten sieben Monaten dieses Jahres bereits 33,7 Milliarden Kubikmeter Gas durch die bereits bestehende Leitung Nord Stream 1 gepumpt. Das sei mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. 2020 war demnach mit insgesamt 59,3 Milliarden Kubikmeter ein Rekordjahr.

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FOTO: BERND WÜSTNECK/DPA Solche Schiffe haben die Rohre der Pipeline verlegt: Die Leitung soll künftig 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr von Russland durch die Ostsee nach Deutschlan­d liefern.

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