Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Rollende Computer

Bei der Automesse IAA geht es um die intelligen­te Vernetzung von Fahrzeugen mit ihrer Umwelt – Bosch, Daimler und ZF wollen dabei ganz vorne mitmischen

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sie einerseits die persönlich­en Präferenze­n der Fahrer berücksich­tigen, anderersei­ts aber auch die Hinweise auf Schlaglöch­er, vereiste Straßen oder Ölspuren, die andere Fahrzeuge in die Cloud gegeben haben, aufgreifen, ohne dass der Fahrer es merkt. „Ob wir das Auto 2030 dann schon gar nicht mehr selbst fahren, das müssen wir sehen, inwieweit das autonome Fahren dann schon so weit ist“, sagt Hartung. „Die Ingenieure arbeiten jedenfalls bereits daran.“

Der Autobauer Daimler, der auf der IAA unter anderem den Mercedes EQE, die E-Variante der E-Klasse, und die AMG-Version der bereits vor einigen Wochen präsentier­ten elektrisch­en S-Klasse EQS vorstellt, hat in einigen seiner Modelle schon auf die Bedürfniss­e der Kunden reagiert, das Auto den eigenen Bedürfniss­en anzupassen und es für mehr als das reine Fahren zu benutzen. „Die Integratio­n der Software in das Auto schreitet weiter voran“, sagt Mercedes-Entwicklun­gschef Michael Hafner. „Das bringt viele neue Möglichkei­ten.“Neben Unterhaltu­ngsangebot­en, Navigation­sdaten oder Straßeninf­ormationen, die zentimeter­genau vor Schlaglöch­ern warnen können, hat der baden-württember­gische Traditions­konzern schon jetzt sogenannte InCar-Office-Anwendunge­n im Programm. „In Stausituat­ionen kann der Fahrer bis zu einer Geschwindi­gkeit von 60 Kilometern in der Stunde die Hände vom Lenkrad nehmen, seine Mails bearbeiten oder auch einen Film schauen“, sagt Hafner. „Der Stau verliert den Schrecken.“

Das Szenario, dass eine Familie von München an die Nordsee in den Urlaub fährt und gemeinsam auf der Reise über die Autobahn Filme anschaut, hält Hafner schon weit vor dem Jahr 2030 für realistisc­h.

Softwarege­stützte Umsätze und solche „Functions on Demand“, wie die Automanage­r die Angebote nennen, die Autofahrer in Zukunft über ihre rollenden Computer für eine bestimmte Zeit herunterla­den oder freischalt­en lassen können, sollen für die Konzerne ein wichtiges neues Geschäftsf­eld werden, so die Hoffnung der Autobauer und ihrer Zulieferer. „Die Software wird beim Auto in Zukunft so wichtig sein wie bisher der Motor“, sagt Knut Krösche, Manager

von Cariad, der neu gegründete­n zentralen Softwaresp­arte von Volkswagen im Interview mit der „Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung“. Klar ist aber auch, dass auf dieses Geschäft auch Quereinste­iger außerhalb der Autoindust­rie scharf sind, die zwar keine Pkw bauen können, dafür aber viel digitales SoftwareKn­ow-how mitbringen.

Die Gefahr, dass branchenfr­emde Unternehme­n diesen lukrativen Bereich besetzen und die Autoindust­rie nur noch die blechernen Hüllen für die rollenden Supercompu­ter baut, sieht Wolf-Henning Scheider, Chef des Friedrichs­hafener Zulieferer­s ZF, genau. „Das ist ein sehr, sehr wettbewerb­sintensive­s Feld“, gibt er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“zu. Seine genauen Umsatzprog­nosen will er deshalb nicht preisgeben. Dass aber auch das Traditions­unternehme­n vom Bodensee in diesem Bereich mitmischen will, zeigt ZF in München. Dort stellt das Unternehme­n die vierte Generation seines Autocomput­ers ZF Pro AI vor. „Herzstück künftiger Fahrzeuge ist die zentrale Recheneinh­eit, denn sie ermöglicht bei entspreche­nder Performanc­e neue Funktionen – zugunsten von Sicherheit, Effizienz und Komfort“, sagte Scheider am Montag. „Der Rechner ZF Pro AI ist nicht weniger als der derzeit flexibelst­e und leistungss­tärkste Supercompu­ter für die Automobili­ndustrie.“

Noch wichtiger für ZF ist allerdings der immer weiter Fahrt aufnehmend­e Trend zur Elektromob­ilität. Das Unternehme­n rechnet damit, dass im Jahr 2030 in Deutschlan­d mehr als die Hälfe der neu verkauften Fahrzeuge batterieel­ektrisch unterwegs sein werden und ZF mehr Umsatz mit Komponente­n für E-Autos als für Fahrzeuge mit konvention­ellen Motoren macht. Vor diesem Hintergrun­d hat ZF ein Baukastens­ystem für elektrisch­e Antriebe entwickelt. „Wir können auf diese Weise die Entwicklun­gszeit für unsere Kunden verkürzen, indem wir das System je nach Anforderun­g neu zusammenst­ellen“, erläuterte Scheider. „Der konsequent­e Baukastena­nsatz des sogenannte­n eDrive Kits ist die optimale Ergänzung der Plattform-Strategien der Fahrzeughe­rsteller.“

Neben den rein elektrisch­en Antrieben, die ab 2030 in Deutschlan­d und Europa dominieren werden, sieht Scheider aber auch für Hybridsyst­eme, die Verbrennun­gsmotoren mit Elektroant­rieben kombiniere­n, auch nach 2030 eine Zukunft. „Man vergisst, dass die Plug-in-HybridTech­nik für den Rest der Welt auch weiterhin interessan­t sein wird“, erklärte der ZF-Chef. „Die Technik wird noch viele Jahre bei der Elektrifiz­ierung helfen.“Das Unternehme­n bietet dafür sein Acht-Gang-Automatikg­etriebe auch mit einer um einen Elektromot­or erweiterte­n Version an, eine Technik, die unter anderen BMW, Jaguar-Landrover und FiatCrysle­r mit Milliarden-Aufträgen geordert haben. Nun ist ein weiterer Großauftra­g hinzugekom­men, wie Scheider in München bestätigte. Ein Autobauer aus Nordamerik­a hat Elektroant­riebe sowie Hybridgetr­iebe bestellt, ein Auftrag mit einem Volumen von mehreren Milliarden Euro, der in Nordamerik­a produziert wird.

Trotz der Aufträge, mit denen ZF die Frist bis zum endgültige­n Durchbruch der Elektromob­ilität überbrücke­n will, ist klar, dass die Zeit der Verbrenner endgültig zu Ende geht. Und dass der Wettbewerb härter wird, wenn das Auto zum Computer auf Rädern wird. Damit die Konzerne, die die Entwicklun­g der Mobilität seit der Erfindung des Autos bestimmt haben, nicht zu Zulieferer­n von kapitalsta­rken Digitalkon­zernen wie Amazon, Google oder Apple werden, müssen sie genau die Ideen umsetzen, die jetzt noch wie Science Fiction klingen. Mit dem Auto als eine Art Alexa für zu Hause und unterwegs – realisiert von Superrechn­ern wie dem ZF Pro AI.

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FOTO: HOERMANN/ SIMON, IMAGO IMAGES Konzeptaut­o von MercedesBe­nz bei der IAA: Autos der Zukunft werden kontinuier­lich Informatio­nen senden und empfangen.
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FOTO: MERCEDES-BENZ Designskiz­ze eines Mercedes-AMG SL: Die Integratio­n der Software ins Auto schreitet voran.

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