Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ein Ganztagsplatz für jeden Grundschüler ab 2026
Elternvertreter loben Kompromiss – Warnungen vor Personalnot
- Bund und Länder haben sich auf einen Kompromiss bei der Ganztagsbetreuung an Grundschulen geeinigt. Jedes Kind, das in Deutschland ab dem Schuljahr 2026/ 2027 eingeschult wird, soll in den ersten vier Schuljahren Anspruch auf einen Ganztagsplatz bekommen. Fragen und Antworten zu der neuen Lösung.
Wer hat was beschlossen?
Der Bundestag hat am Dienstag mit den Stimmen von Union und SPD sowie eines großen Teils der Opposition dem am Vorabend zwischen Bund und Ländern ausgehandelten Kompromiss zugestimmt. Falls der Bundesrat am Freitag auch sein Ja gibt, kann der Rechtsanspruch ab dem Schuljahr 2026/27 im gesamten Bundesgebiet kommen. Die nun gefundene Einigung sieht vor, dass der Bund nicht nur 3,5 Milliarden Investitionskosten übernimmt, sondern sich auch mit jährlich 1,3 Milliarden Euro an den laufenden Kosten beteiligt – also mit 300 Millionen Euro mehr pro Jahr als zunächst zugesagt. Die Neuregelung soll ab Mitte 2026 für Erstklässler gelten und ab Mitte 2029 für Grundschülerinnen und Grundschüler bis zur vierten Klasse.
Wie reagieren Elternvertreter? Dass sich der Bund nun in einem stärkeren Maße als ursprünglich geplant an den Kosten beteiligen wolle, sei „eine sehr gute Nachricht“, sagte die Vorsitzende des Bundeselternrats, Sabrina Wetzel, der „Schwäbischen Zeitung“. Die gefundene bundeseinheitliche Lösung führe hoffentlich zu mehr Bildungsgerechtigkeit. Allerdings müsse man jetzt alles dafür tun, um das benötigte zusätzliche Personal zu finden beziehungsweise auszubilden. „Die Schulkinder sollen in den zusätzlichen Stunden nämlich nicht nur bespaßt, sondern gezielt gefördert werden – Kinder mit Sprachdefiziten etwa, indem sie an den Nachmittagen zusätzlichen Förderunterricht bekommen“, so Wetzel. Ähnlich positiv sieht man die Einigung beim Arbeitskreis Neue Erziehung. Der Rechtsanspruch auf einen Ganztagsplatz sei für Eltern, „die große Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben, ein Riesenfortschritt“, sagte die Vorsitzende Heidemarie Arnhold.
Wie viele Kinder betrifft das im Südwesten?
Nach jüngsten Zahlen des Deutschen Jugend-Instituts gab es im Jahr 2019 etwa 83 000 Ganztagsplätze an Grundschulen im Südwesten. Baden-Württemberg hat danach im Ländervergleich die niedrigste Quote und den höchsten Ausbaubedarf. Wie viele Plätze nun geschaffen werden müssen, um den einklagbaren Rechtsanspruch zu gewährleisten, dazu gibt es unterschiedliche Berechnungen. Nach den jüngsten offiziellen Zahlen müsste Baden-Württemberg bis 2025 etwa 207 000 neue Plätze schaffen, das wären rund 34 000 Plätze pro Jahr. Allerdings hatte das Jugend-Institut in einem internen Arbeitspapier die bundesweiten Ausbauzahlen deutlich herunterkorrigiert. Von welchen Zahlen das Land selbst nun ausgeht, blieb am Dienstag zunächst unklar.
Sind alle zufrieden?
Kritik an dem Kompromiss übte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy. Bei der finanziellen Absicherung bleibe „eine gewaltige Lücke von mehreren Milliarden Euro“, sagte er. „Diese offene Rechnung darf nicht an die Kommunen weitergereicht werden.“Auch er äußerte Zweifel, ob genügend qualifiziertes Personal gefunden werden könne und forderte deshalb „eine Ausbildungsinitiative der Länder in großem Stil“.