Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Mir ist bewusst geworden, wie sehr mir der zwischenmenschliche Kontakt fehlt“
Zwölf Fragen an die Direktkandidaten zur Bundestagswahl - Heute: Benjamin Strasser (FDP)
- Die Bundestagswahl am 26. September verspricht eine spannende Wahl zu werden – auch im Wahlkreis 294, dem der Großteil des Landkreises Ravensburg angehört. Die „Schwäbische Zeitung“stellt die Direktkandidaten der aussichtsreichsten Parteien vor. Heute: Benjamin Strasser (FDP).
Welche Erfahrung hat Ihr Leben nachhaltig verändert?
Also, ich komme aus einer Generation, die ja durchaus vom 11. September geprägt worden ist – von den Terroranschlägen auf das World Trade Center. Das hat schon was mit den Menschen gemacht, das hab ich als Jugendlicher gesehen. Dass man plötzlich sagt: Jeder Zweck heiligt die Mittel, und zur Not schießen wir halt entführte Passagiermaschinen ab, auch wenn da unschuldige Menschen drinsitzen. Das hat mich eigentlich politisiert, weil ich es extrem wichtig fand, politische Kräfte zu unterstützen, die selbst in solchen Bedrohungsszenarien rote Linien für Bürger- und Freiheitsrechte ziehen.
Welche neuen Eigenschaften haben Sie während der Corona-Pandemie bei sich entdeckt?
Neue Eigenschaften eigentlich nicht, sondern mir ist eher bewusst geworden, wie sehr mir der zwischenmenschliche Kontakt fehlt. Wir sind ja eine Partei, die sehr für Digitalisierung kämpft, aber mir ist noch einmal bewusst geworden, dass zwischenmenschlicher Kontakt durch nichts ersetzt werden kann.
Was ist der größte Luxus, den Sie sich je gegönnt haben?
Das kommt ja immer darauf an, wie man Luxus definiert. Und ich definier’s jetzt mal nicht zahlenmäßig, sondern eher in dem Sinn: Was hab ich mir gegönnt, was man jetzt nicht unbedingt fürs Leben braucht? Und das ist meine Nudelmaschine, die ich total gern auch benutze, um eigene
Pasta und Ravioli zu machen. Da würden vielleicht andere sagen: Das ist totaler Luxus, weil überflüssig, aber ich mag das.
Wie lange mussten Sie überlegen, ob Sie sich gegen Corona impfen lassen?
Als es klar war, es gibt einen Impfstoff, habe ich mich natürlich informiert, auch über die Nebenwirkungen. Aber in der Risikoabwägung habe ich mich für eine Impfung entschieden, weil es mir lieber ist, im Zweifelsfall geschützt zu sein und nicht auf der Intensivstation zu liegen und mögliche Impfrisiken in Kauf zu nehmen, die nicht sehr wahrscheinlich sind.
Welcher Punkt aus dem Wahlprogramm Ihrer Partei ist für Sie der wichtigste?
Es gibt so viele, weil es noch nie mehr zu tun gab als heute. Aber ich glaube, dass wir beim Thema Digitalisierung die Chancen umfassend nutzen, ist für mich der wichtigste Punkt.
In welchen Punkten liegen Sie mit Ihrer Partei über Kreuz?
Das sind meistens Punkte, bei denen es um ethische Fragestellungen geht. Wir als Abgeordnete sind ja nur unserem Gewissen verpflichtet, das steht in der Verfassung. Deshalb habe ich bei Paragraf 219a StGB – der regelt das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche – eine andere Auffassung als meine Fraktion vertreten und auch entsprechend anders abgestimmt im Parlament. Und auch beim Thema assistierter Suizid habe ich eine andere Auffassung als die Mehrheit meiner Fraktion, aber das wird auch respektiert und toleriert.
Was tun Sie persönlich ganz konkret, um Ihren ökologischen Fußabdruck klein zu halten?
Es ist für einen Abgeordneten, der aus einem ländlichen Wahlkreis kommt, besonders schwer, konsequent öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Ich versuche, beim Essen intensiver darauf zu achten, dass die Lebensmittel aus der Region kommen – das hat ja auch was mit Lieferwegen und CO2-Ausstoß zu tun – und auch nicht jeden Tag Fleisch zu essen.
Welche Eigenschaft von Angela Merkel hätten Sie gerne?
Angela Merkel pflegt jetzt nicht den Politikstil, den ich gut finde. Aber was ich an ihr immer sehr bewundert habe, ist ihre Gelassenheit mit schwierigen Gesprächspartnern.
Was war der größte Mist, den Sie als Jugendlicher gebaut haben?
Oh Gott (lacht). Das ist fies. Ich hab ein ganz normales Teenagerleben gehabr, mit allem, was dazu gehört. Man trinkt Alkohol, man macht andere unvernünftige Sachen, wo man danach sagt: Hättest du besser nicht gemacht.
Was ist das politisch Unkorrekteste, das Sie je getan haben?
Dazu fällt mir jetzt so spontan nichts ein. Für manche ist es vielleicht schon politisch nicht korrekt, dass ich noch einen Diesel fahre.
Wann haben Sie sich zuletzt für einen Politiker aus Ihrer Partei geschämt?
Diese Antwort liegt ja auf der Hand. Als im Februar 2020 Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum thüringischen Ministerpräsident gewählt wurde, hat mich das nicht nur beschämt, sondern auch schockiert. Auch ich hatte mir nicht vorstellen können, dass eine Partei einen Kandidaten aufstellt, den sie dann nicht wählt, um einen anderen zu wählen. Das ist ja eigentlich die Falle, in die wir getappt sind, und die politischen Flurschaden angerichtet hat, an dem wir noch lange zu knabbern hatten. Aber wir haben das sehr gut aufgearbeitet, auch mit Expertinnen und Experten außerhalb der liberalen Blase, die wir zu Gesprächen eingeladen haben.
Was halten Sie vom Gendern?
Ich bin ein großer Freund davon, dass jeder so sprechen können darf, wie er das möchte. Ich selbst versuche durchaus, immer die weibliche und männliche Ansprache zu wählen, wenn es reinpasst.