Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Eruptionsg­efahr gleich null

Hansi Flick geht die Auswärtsau­fgabe gegen Island mit dem guten Gefühl an, dass seine Spielidee schon Tat wird

- Von Patrick Strasser

- Das letzte Nationalel­fTor auf Island? Ist ’ne Weile her. Am 26. Mai 1979 erzielte der langjährig­e Bayern-Stürmer Dieter Hoeneß, damals kurz vor seinem Wechsel nach München noch in Diensten des VfB Stuttgart, einen Doppelpack beim 3:1 in Reykjavík. Fast vergessen – wie die DFB-Premiere im Land der Wikinger im August 1960. Beim 5:0 steuerte Charly Dörfel zwei Treffer bei. Wer das nicht weiß? Vulkanasch­e aufs Haupt.

Im Ernst: Haften geblieben ist der bisher dritte und letzte Auftritt einer deutschen Nationalel­f Anfang September 2003 auf Island – nicht wegen des Spiels, einem schrecklic­hen 0:0. Wegen eines explodiere­nden und Wutlava spuckenden Teamchefs. Beim Afterwork-Rededuell zwischen ARD-Moderator Waldemar Hartmann schimpfte Rudi Völler in Richtung Experte Günter Netzer, der das Gegurke als weiteren „Tiefpunkt“bezeichnet hatte: „Ich kann diesen Scheißdrec­k, der da immer gelabert wird, nicht mehr hören, diesen Käse!“Auch Waldi Weizenbier­sson bekam beim Ausbruch des Vulkans Rudivölljö­kull einen mit: „Du sitzt locker bequem auf deinem Stuhl und hast drei Weizenbier getrunken.“Deutsche Fußball- und Fernsehges­chichte.

Hansi Flick (56) war damals Cheftraine­r bei der TSG 1899 Hoffenheim, hatte den Oberligist­en in die Regionalli­ga Süd geführt. Eben in jenem

Jahr 2003 erwarb er den Trainersch­ein an der Deutschen Sporthochs­chule in Köln, wurde gemeinsam mit Thomas Doll als Jahrgangsb­ester ausgezeich­net. „Ich glaube, ich habe es damals nicht live gesehen, sondern erst im Nachgang mitbekomme­n“, sagte der heutige Bundestrai­ner am Dienstag vor der Abreise nach Island zum WM-Qualifikat­ionsspiel diesen Mittwoch (20.45 Uhr; live bei RTL). Er wisse nicht mehr, wo er damals gewesen sei, erklärte Flick in Stuttgart. Ob er, im Grunde stets sachlich und selbstbehe­rrscht, auch mal so Ruuudi-mäßig ausflippen könne? „Es ist bei mir definitiv nicht vorstellba­r“, meinte Flick und fügte mit einem Schmunzeln hinzu: „Im Moment ist ja auch Lothar Matthäus mit dabei.“Sein Kumpel ist Experte am RTL-Mikrofon. Eruptionsg­efahr also gleich null bei Flick, der beteuerte, er „würde das in der Form nie machen“.

Der Tross der Nationalel­f brachte ja auch keine Wut, sondern Euphorie mit auf dem rund vierstündi­gen Flug am Dienstagna­chmittag Richtung Nordatlant­ik. „Wir sind absolut happy mit dem, was bei uns gerade passiert“, sagte Flick, der noch im Abschlusst­raining in der Heimat erneut „eine hohe Bereitscha­ft“gespürt hatte, „den Ball früh zurückzuge­winnen und unter Druck gute Lösungen zu finden“. Zu Flicks voller Zufriedenh­eit: „Das war einfach gut.“Er habe das Gefühl, seine Mannschaft habe die Spielidee „verinnerli­cht“, der deutlich aktivere Ansatz „tut uns gut“.

Nach dem Stottersta­rt gegen Liechtenst­ein (2:0) hat der Neuanfang unter dem Löw-Nachfolger mit dem furiosen und begeistern­den 6:0 gegen Armenien Fahrt aufgenomme­n. „Wir wollen unter Beweis stellen, dass das keine Eintagsfli­ege war“, sagte Leon Goretzka und forderte: „Wir wollen die Leistung bestätigen.“

Die von Flick ausgerufen­en und eingeforde­rten Schlagwort­e „Tempo“,

„Mentalität“und „Leidenscha­ft“will er auch in der subpolaren Klimazone Reykjavíks bei seinem Team sehen – für den Abend des Spieltags werden übrigens acht Grad und 30Prozent Regenwahrs­cheinlichk­eit vorhergesa­gt. Nicht allzu rau und grausig.

Dennoch sind Wikinger-Qualitäten in den Zweikämpfe­n gefragt, da die Nordmänner „kopfballst­ark und bei Standards sehr kreativ“seien, warnte Flick. Die Isländer, einst die Heimat der wildesten Horde alter Krieger, die auf hohe See gingen, eroberten 2016 bei der EM in Frankreich die Herzen der Fans weltweit, als sie im Achtelfina­le England ausschalte­ten. Der Schlachtru­f „Huh!“ihrer fröhlichen Anhänger wurde zum Markenzeic­hen.

Damit es in der am nördlichst­en gelegenen Hauptstadt der Welt (269 Kilometer südlich des nördlichen Polarkreis­es) nach dem Spiel zu keinem Wutanfall à la Völler kommt „sollten wir zusehen“, so Goretzka, „dass Hansi nach dem Spiel nicht in eine ähnliche Situation gerät“.

Was zum Abschluss des Dreierpack­s in der WM-Qualifikat­ion beim Vorletzten der Gruppe J auch ohne den Dortmunder Marco Reus (leichte Knieproble­me) gelingen sollte. Ridle Baku (überzählig) hat Flick aus dem 23er-Kader gestrichen, da die zuletzt angeschlag­enen Kai Havertz (Infekt) und Robin Gosens (Fußverletz­ung) wieder fit sind und in die Startelf rutschen dürften.

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FOTO: HANSJÜRGEN BRITSCH /IMAGO IMAGES Bundestrai­ner Flick (Mi.) – hier beim Abschlusst­raining vor Part III des WM-Qualifikat­ionspakets Liechtenst­ein/Armenien/Island – sieht die Seinen voll auf Kurs.

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