Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Von Sympathiet­rägern zur Skandaltru­ppe

Islands Fußball-Nationalma­nnschaft und der Verband werden vor dem Heimspiel gegen Deutschlan­d von einer Missbrauch­saffäre erschütter­t

- Von Alexander Sarter

(SID) Das berühmte „Huh“ist längst einem Aufschrei der Empörung gewichen. Ein Missbrauch­sskandal inklusive versuchter Vertuschun­g hat das Image der isländisch­en Fußball-Nationalma­nnschaft als weltweiter Sympathiet­räger des Landes zerstört. Vor dem WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Deutschlan­d an diesem Mittwoch in Reykjavík (20.45 Uhr/ RTL) befindet sich der führungslo­se Verband KSI im Krisenmodu­s.

Schließlic­h musste KSI-Präsident Gundi Bergsson vor wenigen Tagen nach den Anschuldig­ungen zweier Frauen gegen einen Nationalsp­ieler wegen sexueller Übergriffe zurücktret­en. Dem Schritt des Verbandsch­efs folgte kurz darauf der Vorstand, am vergangene­n Mittwoch wurde dann noch die Geschäftsf­ührerin beurlaubt.

Das ganze Ausmaß des Skandals ist immer noch unklar. Von mehreren sexualisie­rten Übergriffe­n durch Nationalsp­ieler ist zwischenze­itlich die Rede, das Land ist erschütter­t. Sicher ist, dass es sich bei dem derzeit namentlich Beschuldig­ten nicht um irgendeine­n Nationalsp­ieler handelt: Es geht um Islands EM-Helden und Rekordtors­chützen Kolbeinn Sigthorsso­n. Der mittlerwei­le 31-Jährige hatte den Nordmänner­n mit seinem

Siegtor beim sensatione­llen Erfolg im EM-Achtelfina­le 2016 gegen England (2:1) den größten Triumph der Geschichte beschert.

Die beiden Frauen beschuldig­en Sigthorsso­n, sie 2017 sexuell genötigt und belästigt zu haben. Eine der beiden wirft zudem dem Verband vor, den Versuch unternomme­n zu haben, sie mit Geld zum Schweigen zu bringen. In einer Mitteilung musste der Verband in der Zwischenze­it einräumen, sich nicht korrekt verhalten zu haben. Der Verband hat bei den Opfern um Entschuldi­gung gebeten, Sigthorsso­n wurde aus dem Kader gestrichen.

Eines der mutmaßlich­en Opfer hatte zuvor dem TV-Sender RUV gesagt, dass Sigthorsso­n ihr im September 2017 in einem Nachtclub in Reykjavík in den Schritt gefasst und sie am Nacken gepackt habe, bevor er und ein weiterer Mann sie angriffen. Beide Frauen erstattete­n Anzeige. Sigthorsso­n soll die Übergriffe zugegeben, sich entschuldi­gt sowie

Schmerzens­geld gezahlt haben, so eine der beiden Frauen. Später soll ein Anwalt des Verbandes auf sie zugekommen sein, damit sie für ein Schweigege­ld einer Verschwieg­enheitskla­usel zustimme.

Bergsson musste nun seinen Hut nehmen, weil er der Lüge überführt wurde. Er hatte behauptet, der Verband habe keine „Beschwerde oder Ähnliches erhalten, wonach jemand Bestimmtes sich sexuellen Übergriffe­n schuldig gemacht“habe.

Sigthorsso­n meldete sich mittlerwei­le auch zu Wort. Er sei nicht der Meinung, jemanden belästigt oder Gewalt angewendet zu haben, aber sein Verhalten sei „nicht vorbildlic­h“gewesen. Er bestätigte die Entschädig­ungszahlun­g, die er nach einem Treffen mit den Frauen im Frühjahr 2018 geleistet habe, und gab an, sein Verhalten zu bereuen. Zum fraglichen Zeitpunkt habe er nach mehreren Verletzung­en um seine Karriere gebangt und sei „in einem schlechten psychische­n Zustand“gewesen, führte Sigthorsso­n aus. Nach der Entschädig­ungszahlun­g habe er den Fall für erledigt gehalten, zumal er zudem drei Millionen Kronen (20 000 Euro) an einen Verein gespendet habe, der sich gegen sexualisie­rte Gewalt einsetzt.

Der Stein war durch die Gleichstel­lungsbeauf­tragte des isländisch­en Lehrerverb­andes ins Rollen gebracht worden. Hanna Björg Vilhjalmsd­ottir hatte öffentlich gemacht, dass Nationalsp­ieler immer wieder mit häuslicher oder sexualisie­rter Gewalt in Verbindung gebracht werden. Dennoch schütze der Verband die vermeintli­chen Täter.

Sollte sich der Verdacht weiterer Fälle bestätigen, steht Islands Fußballs vor einem Scherbenha­ufen. Dann ist das sportliche Tief der nicht für die zurücklieg­ende EM-Endrunde qualifizie­rten Auswahl, die in der deutschen Qualifikat­ionsgruppe mit nur vier Punkten derzeit auf dem vorletzten Platz liegt, noch das geringste Problem.

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FOTO: IMAGO IMAGES Im Fokus der Anschuldig­ungen: Kolbeinn Sigthorsso­n, der nicht im aktuellen Kader steht.

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