Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
An diesen Orten wird der Krieg simuliert
Der Mengener Claudio Hils zeigt Fotografien, die an vier Militärstandorten im Kreis entstanden sind
- Auf dem Truppenübungsplatz Heuberg in Stetten am kalten Markt und in der Staufer-Kaserne Pfullendorf dürfte sich heute kaum ein Zivilist so gut auskennen wie der Mengener Fotograf Claudio Hils. Über fünf Jahre hinweg hat er die beiden Standorte der Bundeswehr immer wieder besucht und außerdem Zugang zu den Anlagen der ehemaligen amerikanischen Sondermunitionslagern Inneringen und Mottschieß erhalten. In Auseinandersetzung mit der Geschichte der Orte, ihrer heutigen Funktion als Räume zur militärischen Ausbildung und ihrer Verborgenheit vor der Gesellschaft sind viele Fotografien entstanden. Die eindrücklichsten von ihnen hat Claudio Hils zu einer Ausstellung zusammen gestellt, die unter dem Titel „Heimatfront - Bühnenbilder des Krieges“ab Sonntag, 19. September, in der Kreisgalerie im Schloss Meßkirch zu sehen sein wird.
Mit Orten, an denen Soldaten sich auf den Ernstfall im Krieg vorbereiten, hat sich Claudio Hils bereits vor mehr als 20 Jahren beschäftigt. Auf dem Truppenübungsplatz Senne in Nordrhein-Westfalen hielt er bereits eine Geisterstadt fest, die als Kulisse für Test möglicher Einsatzszenarien diente. Schon damals fanden sich keine Menschen auf den Fotografien, standen die teils ästhetischen Landschaftsbilder im Kontrast zu Einschusslöchern und Schaufensterpuppen. „Red Land, Blue Land“Feindesund Freundesland im militärischen Manöver – heißen Buch und Ausstellung aus dem Jahr 2000, die Fotografien werden heute noch in Museen gezeigt. Das Interesse des Fotografen an verlassenen und für die Öffentlichkeit unzugänglichen Militärstandorten blieb bestehen.
Dass Claudio Hils nach seinem Studium der Visuellen Kommunikation an der Folkwanghochschule in Essen Fotoreportagen für Magazine wie den Spiegel, Stern, Geo oder die Magazine von Süddeutscher Zeitung und der Zeit machte, ist seinen Bildern auch heute anzusehen. „Zwischen
journalistisch-dokumentarisch und künstlerisch“würde er seine Fotografien selbst einordnen. Für Besucher der Ausstellung seien auch die Bildbeschreibungen von großer Bedeutung. „Nur in Kombination mit den Texten lassen sich alle Ebenen erfassen“, sagt er. Mit dem Wissen, das in dem verlassen wirkenden Dorf Dinohausen der Häuserkampf trainiert wird oder auf dem zugewachsenen Gelände bei Inneringen Atomsprengköpfe gelagert wurden, ließen sich die Bilder eben ganz anders interpretieren. Für das „Heimatfront“Buch seien ihm deshalb die einordnenden Essays von Kreisarchivar Edwin Ernst Weber, dem Fotohistoriker Bernd Stiegler, der Kunsthistorikerin Stefanie Hoch und Oberstleutnant Tobias Daniek, dem ehemaligen Leiter des Übungszentrums Spezielle Operationen in Pfullendorf wichtig.
Bringt ein Kriegsdienstverweigerer wie Claudio Hils überhaupt die neutrale Distanz eines externen Beobachters mit? Und möchte die Bundeswehr überhaupt einen Einblick gewähren? „Als ich zurück nach Mengen gezogen bin, habe ich mir vorgenommen, mir meine Themen auch hier in der Region zu suchen“, sagt er. So seien etwa die Fotografien der Reihe „Abseits“entstanden. Bei der Bundeswehr hätten die Verantwortlichen sehr aufgeschlossen auf seine Anfragen reagiert, bestimmte Gelände, Gebiete und Anlagen fotografieren zu wollen. Anders wäre es wohl gewesen, wenn er Soldatinnen und Soldaten bei der Ausbildung hätte ablichten wollen. „Vor Ort ist man mir aber auch mit einer Portion Misstrauen begegnet“, sagt er. Weil er aber immer wieder gekommen sei und viele Fragen gestellt habe, sei ihm sein ernsthaftes Interesse schließlich immer abgenommen worden. Wochenlang hätte ihn der Standortälteste über den Truppenübungsplatz in Stetten begleitet, Presseoffiziere ihm Abläufe erklärt. „Manchmal musste ich sehr geduldig sein und erst nach und nach viele kleine Türen aufstoßen, bis ich zum Ziel gekommen bin“, sagt Hils.
Eins dieser Ziele sei definitiv das Betreten der Gebäude im Inneren sagt der Mengener Fotograf Claudio Hils und ist auf die Reaktionen auf seine Fotografien gespannt.
Bereich der Anlage in Mottschieß gewesen. Seit 2010 trainiert das Übungszentrum „Spezielle Operation“mit Spezialkräften das Verhalten und Überleben in Ausnahmesituationen wie einer Gefangenschaft oder Folter durch Schlafentzug, Hunger, vollkommene Dunkelheit oder permanente Beschallung.
„Es riecht nach Urin und die Atmosphäre ist sehr beklemmend“, beschreibt Claudio Hils seine Eindrücke. „Gleichzeitig weiß man aber auch, dass alles nur Fake ist. Eine Kulisse, eine Bühne. Ein echter Kriegseinsatz ist eine ganz andere Nummer.“Schließlich würden viele Einsatzkräfte trotz intensiver Vorbereitung psychisch beschädigt oder belastet zurückkehren.
Mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan stelle sich nicht mehr nur die Frage, bis zu welchem Grad sich auf einem heimischen Truppenübungsplatz Krieg simulieren lasse, sondern auch, wie abhängig die Bundeswehr von den Streitkräften anderer Länder sein sollte und wie gut ihre Soldatinnen und Soldaten ausgerüstet sein müssen, die im Einsatz ihr Leben riskieren. „Was halten wir von Sätzen wie denen, dass unsere Werte am Hindukusch verteidigt würden, ist es nicht so, dass diese Werte schon hier oft nichts gelten?“, fragt Hils.
Er ist gespannt, wie seine Ausstellung bei den Menschen im Kreis Sigmaringen angenommen wird. Leider hätte im vergangenen Jahr, als sie bereits im Kunstmuseum Thurgau in der Kartause Ittingen in der Schweiz gezeigt wurde, das Rahmenprogramm mit Gesprächen zum Thema pandemiebedingt abgesagt werden müssen. „Ich hoffe, dass jetzt alles klappt.“
„Ich habe mir vorgenommen, mir meine Themen hier in der Region zu suchen,