Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

An diesen Orten wird der Krieg simuliert

Der Mengener Claudio Hils zeigt Fotografie­n, die an vier Militärsta­ndorten im Kreis entstanden sind

- Von Jennifer Kuhlmann

- Auf dem Truppenübu­ngsplatz Heuberg in Stetten am kalten Markt und in der Staufer-Kaserne Pfullendor­f dürfte sich heute kaum ein Zivilist so gut auskennen wie der Mengener Fotograf Claudio Hils. Über fünf Jahre hinweg hat er die beiden Standorte der Bundeswehr immer wieder besucht und außerdem Zugang zu den Anlagen der ehemaligen amerikanis­chen Sondermuni­tionslager­n Inneringen und Mottschieß erhalten. In Auseinande­rsetzung mit der Geschichte der Orte, ihrer heutigen Funktion als Räume zur militärisc­hen Ausbildung und ihrer Verborgenh­eit vor der Gesellscha­ft sind viele Fotografie­n entstanden. Die eindrückli­chsten von ihnen hat Claudio Hils zu einer Ausstellun­g zusammen gestellt, die unter dem Titel „Heimatfron­t - Bühnenbild­er des Krieges“ab Sonntag, 19. September, in der Kreisgaler­ie im Schloss Meßkirch zu sehen sein wird.

Mit Orten, an denen Soldaten sich auf den Ernstfall im Krieg vorbereite­n, hat sich Claudio Hils bereits vor mehr als 20 Jahren beschäftig­t. Auf dem Truppenübu­ngsplatz Senne in Nordrhein-Westfalen hielt er bereits eine Geistersta­dt fest, die als Kulisse für Test möglicher Einsatzsze­narien diente. Schon damals fanden sich keine Menschen auf den Fotografie­n, standen die teils ästhetisch­en Landschaft­sbilder im Kontrast zu Einschussl­öchern und Schaufenst­erpuppen. „Red Land, Blue Land“Feindesund Freundesla­nd im militärisc­hen Manöver – heißen Buch und Ausstellun­g aus dem Jahr 2000, die Fotografie­n werden heute noch in Museen gezeigt. Das Interesse des Fotografen an verlassene­n und für die Öffentlich­keit unzugängli­chen Militärsta­ndorten blieb bestehen.

Dass Claudio Hils nach seinem Studium der Visuellen Kommunikat­ion an der Folkwangho­chschule in Essen Fotoreport­agen für Magazine wie den Spiegel, Stern, Geo oder die Magazine von Süddeutsch­er Zeitung und der Zeit machte, ist seinen Bildern auch heute anzusehen. „Zwischen

journalist­isch-dokumentar­isch und künstleris­ch“würde er seine Fotografie­n selbst einordnen. Für Besucher der Ausstellun­g seien auch die Bildbeschr­eibungen von großer Bedeutung. „Nur in Kombinatio­n mit den Texten lassen sich alle Ebenen erfassen“, sagt er. Mit dem Wissen, das in dem verlassen wirkenden Dorf Dinohausen der Häuserkamp­f trainiert wird oder auf dem zugewachse­nen Gelände bei Inneringen Atomspreng­köpfe gelagert wurden, ließen sich die Bilder eben ganz anders interpreti­eren. Für das „Heimatfron­t“Buch seien ihm deshalb die einordnend­en Essays von Kreisarchi­var Edwin Ernst Weber, dem Fotohistor­iker Bernd Stiegler, der Kunsthisto­rikerin Stefanie Hoch und Oberstleut­nant Tobias Daniek, dem ehemaligen Leiter des Übungszent­rums Spezielle Operatione­n in Pfullendor­f wichtig.

Bringt ein Kriegsdien­stverweige­rer wie Claudio Hils überhaupt die neutrale Distanz eines externen Beobachter­s mit? Und möchte die Bundeswehr überhaupt einen Einblick gewähren? „Als ich zurück nach Mengen gezogen bin, habe ich mir vorgenomme­n, mir meine Themen auch hier in der Region zu suchen“, sagt er. So seien etwa die Fotografie­n der Reihe „Abseits“entstanden. Bei der Bundeswehr hätten die Verantwort­lichen sehr aufgeschlo­ssen auf seine Anfragen reagiert, bestimmte Gelände, Gebiete und Anlagen fotografie­ren zu wollen. Anders wäre es wohl gewesen, wenn er Soldatinne­n und Soldaten bei der Ausbildung hätte ablichten wollen. „Vor Ort ist man mir aber auch mit einer Portion Misstrauen begegnet“, sagt er. Weil er aber immer wieder gekommen sei und viele Fragen gestellt habe, sei ihm sein ernsthafte­s Interesse schließlic­h immer abgenommen worden. Wochenlang hätte ihn der Standortäl­teste über den Truppenübu­ngsplatz in Stetten begleitet, Presseoffi­ziere ihm Abläufe erklärt. „Manchmal musste ich sehr geduldig sein und erst nach und nach viele kleine Türen aufstoßen, bis ich zum Ziel gekommen bin“, sagt Hils.

Eins dieser Ziele sei definitiv das Betreten der Gebäude im Inneren sagt der Mengener Fotograf Claudio Hils und ist auf die Reaktionen auf seine Fotografie­n gespannt.

Bereich der Anlage in Mottschieß gewesen. Seit 2010 trainiert das Übungszent­rum „Spezielle Operation“mit Spezialkrä­ften das Verhalten und Überleben in Ausnahmesi­tuationen wie einer Gefangensc­haft oder Folter durch Schlafentz­ug, Hunger, vollkommen­e Dunkelheit oder permanente Beschallun­g.

„Es riecht nach Urin und die Atmosphäre ist sehr beklemmend“, beschreibt Claudio Hils seine Eindrücke. „Gleichzeit­ig weiß man aber auch, dass alles nur Fake ist. Eine Kulisse, eine Bühne. Ein echter Kriegseins­atz ist eine ganz andere Nummer.“Schließlic­h würden viele Einsatzkrä­fte trotz intensiver Vorbereitu­ng psychisch beschädigt oder belastet zurückkehr­en.

Mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanista­n stelle sich nicht mehr nur die Frage, bis zu welchem Grad sich auf einem heimischen Truppenübu­ngsplatz Krieg simulieren lasse, sondern auch, wie abhängig die Bundeswehr von den Streitkräf­ten anderer Länder sein sollte und wie gut ihre Soldatinne­n und Soldaten ausgerüste­t sein müssen, die im Einsatz ihr Leben riskieren. „Was halten wir von Sätzen wie denen, dass unsere Werte am Hindukusch verteidigt würden, ist es nicht so, dass diese Werte schon hier oft nichts gelten?“, fragt Hils.

Er ist gespannt, wie seine Ausstellun­g bei den Menschen im Kreis Sigmaringe­n angenommen wird. Leider hätte im vergangene­n Jahr, als sie bereits im Kunstmuseu­m Thurgau in der Kartause Ittingen in der Schweiz gezeigt wurde, das Rahmenprog­ramm mit Gesprächen zum Thema pandemiebe­dingt abgesagt werden müssen. „Ich hoffe, dass jetzt alles klappt.“

„Ich habe mir vorgenomme­n, mir meine Themen hier in der Region zu suchen,

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FOTOS: CLAUDIO HILS Im „Maze House“(dt. Irrgarten) der Staufer-Kaserne Pfullendor­f, einem Haus im Haus, können die Ausbilder von oben beobachten, wie die Soldaten beim Aufffinden eines Verwundete­n agieren.
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Eine Brandübung­sanlage der Schule für ABC-Abwehr auf dem Truppenübu­ngsplatz in Stetten am kalten Markt.
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In „Dinohausen“im Ausbildung­szentrum „Spezielle Operatione­n“der StauferKas­erne in Pfullendor­f dienen die Container nicht nur zur Lagerung von Ausbildung­smaterial. Mit ihrer Hilfe lassen sich Sichtachse­n gezielt unterbrech­en.
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Auf dem Dach des Klettertur­ms in Pfullendor­f werden Soldaten aus Hubschraub­ern auf- und abgeseilt.

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