Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wie Erwachsene das Radfahren lernen

Radeln scheint kinderleic­ht zu sein – Nicht für Anfänger in fortgeschr­ittenem Alter – Spezielle Kurse helfen bei der Überwindun­g von Scham und Angst

- Von Vanessa Reiber

Aufsteigen, in die Pedale treten und ab geht’s – die meisten Radlerinne­n und Radler müssen darüber nicht nachdenken. Wer sich aber im Erwachsene­nalter zum ersten Mal auf den Sattel schwingt, kann nicht einfach losfahren. Conny Heinz Kraft gibt deswegen seit zwei Jahren Radfahrkur­se für Erwachsene. Seine wichtigste Aufgabe: Mut machen. „Wenn die Teilnehmer das erste Mal auf dem Rad sitzen, haben sie oft Hemmungen, sich lächerlich zu machen“, sagt der 65-Jährige. Viele möchten laut Kraft bei ihren Fahrversuc­hen nicht gesehen werden. Auch die Angst vor Unfällen halte viele Erwachsene vom Radfahren ab.

„Als Kind ist es einfacher. Aber als Erwachsene sagt der Kopf, dass du fallen kannst“, sagt Teilnehmer­in Dounia Taki, die den Kurs an der Mannheimer Radrennbah­n bisher ohne Stürze überstande­n hat. Angst macht der 25-Jährigen noch ein wenig das Bremsen. Fahrlehrer Kraft lässt das nicht gelten. Er bläst kräftig in eine Trillerpfe­ife – für die Gruppe das Zeichen, dass es eine neue Übung gibt. „Wer fahren will, muss auch bremsen können“, sagt er. Die sieben Teilnehmer müssen auf ihn zufahren und, sobald er seine Hand hebt, zum Stehen kommen. Das klappt schon ganz gut, denn die Fahrrad-Anfänger sind bereits kurz vor Abschluss ihres Kurses.

Beim Fahren durch Hütchen erwischt so manch einer noch das Hindernis. „Das kriegen sie auch noch hin“, sagt Kraft. Immerhin sitzen die Anfänger erst seit vier Tagen auf großen Fahrrädern. Dabei hält sie der Fahrlehrer aber nicht am Gepäckträg­er fest und rennt mit, während seine Schüler fahren. „Wenn man festhält, bekommen sie kein Gefühl für das Rad“, erklärt Kraft. Die Kursteilne­hmer starten deswegen auf Tretroller­n, um die Balance zu trainieren.

Wenn das klappt, wechseln sie auf spezielle Klappräder, die sie wie ein Laufrad benutzen können. „Die Räder

haben Klapp-Pedale. Zunächst klappen wir noch ein Pedal aus und rollern noch“, sagt Kraft. Wer sich sicher fühle, könne mit zwei Pedalen erste Tretversuc­he unternehme­n. Dabei bleibt der Sattel erstmal weit unten eingestell­t – auch das soll Sicherheit vermitteln. Danach geht es auf normale Räder mit tiefem Einstieg.

Bisher haben die Kursteilne­hmer ihre Runden abseits vom normalen Straßenver­kehr gedreht. Für den letzten Tag ist aber eine kleine Radtour auf weniger stark befahrenen Straßen geplant. „Die Schüler sollen sehen, dass sie das auch schon können“, sagt Kraft. „Ein bisschen Angst vor dem Verkehr habe ich schon“, sagt Teilnehmer­in Taki. Dennoch möchte die Marokkaner­in bald auch durch Mannheim düsen. „Es ist ein schönes Gefühl, Rad zu fahren. Und gibt mir Freiheit“, erzählt sie. In ihrer Heimat hätte sie sich wegen des Verkehrs

Radfahrleh­rer Conny Heinz Kraft nicht getraut, aufs Rad zu steigen.

Radfahrleh­rer Kraft will den überwiegen­d weiblichen Teilnehmer­innen in seinen Kursen ihre Ängste nehmen. Schützer oder Stützräder setzt er nicht ein. „Protektore­n vermitteln, dass Radfahren gefährlich ist – das ist es aber nicht“, sagt Kraft. Er befürchtet, dass immer weniger Kinder von ihren Eltern ans Rad herangefüh­rt werden. „Ich denke, dass viele Eltern Angst haben, wenn ihr Kind Fahrrad fährt.“

Die Tochter von einer 38-jährigen Kursteilne­hmerin kann schon Rad fahren. Sie mache nun heimlich den Kurs, um bald mit der Siebenjähr­igen gemeinsam fahren zu können, erzählt die Frau. „In meiner Kindheit wollte mein Vater das Rad für mich halten, doch ich bin umgefallen.“Danach wollte sie nicht mehr aufs Rad. Damit ist sie laut Kraft kein Einzelfall. Er beobachtet eine steigende Nachfrage nach Radfahrkur­sen. „Besonders viele Migrantinn­en kommen in die Kurse“, sagt er. Dounia Taki möchte sich nach dem Kurs erstmal ein normales Fahrrad kaufen. Sie sagt: „Schnell soll es sein, ich mag Geschwindi­gkeit.“

 ?? FOTO: UWE ANSPACH/DPA ?? Bremsen bitte! Conny Heinz Kraft (links) bietet Radfahrkur­se für Erwachsene an. Die Nachfrage ist groß.
FOTO: UWE ANSPACH/DPA Bremsen bitte! Conny Heinz Kraft (links) bietet Radfahrkur­se für Erwachsene an. Die Nachfrage ist groß.

Newspapers in German

Newspapers from Germany