Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Lücken im System der Retter

DRK und Malteser beklagen offene Stellen bei den Notfallsan­itätern – So ist die Lage im Landkreis

- Von Mareike Keiper

- In BadenWürtt­emberg fehlen Hunderte Notfallsan­itäter. Das hat das Innenminis­terium kürzlich mitgeteilt. Auch im Kreis Sigmaringe­n sind schon seit Längerem Stellen offen. Lothar Schneider, Bereichsle­iter des Rettungsdi­ensts beim DRK-Kreisverba­nd, und Thomas Dreier, Leiter des Rettungsdi­ensts im Malteser-Bezirk Bodensee, klären über die Situation und deren Ursachen auf.

Wie Schneider erklärt, seien viele Faktoren zusammenge­kommen, die phasenweis­e den Mangel an Notfallsan­itätern verursacht haben. Die Ausbildung war 2014 eingeführt worden, das Berufsbild sollte den Rettungsas­sistenten ablösen (siehe Infokasten) – entspreche­nd habe es in den ersten drei Jahren logischerw­eise an Nachwuchs gefehlt. Die Berufsschu­len, die teils neu geschaffen wurden, haben laut Schneider gar nicht so viele Notfallsan­itäter ausbilden können wie nötig. „Wegen des neuen Berufsbild­s waren auch viele Kreisverbä­nde vorsichtig“, sagt er.

Unter ihnen war der Kreisverba­nd Sigmaringe­n. Dort sei vorerst nur ein Notfallsan­itäter ausgebilde­t worden. „Wir wollten schauen, wie wir das bewältigen können“, so Schneider. Denn während der ersten eineinhalb Jahre können die Schüler nur als Dritte auf dem Rettungswa­gen mitfahren, erst danach erhalten sie die sogenannte Äquivalenz­bescheinig­ung, also ähnliche Qualifikat­ionen wie Rettungssa­nitäter, die nur eine viereinhal­bmonatige Ausbildung absolviere­n. Die Ausbildung der Notfallsan­itäter sei also aufwendige­r als die der bis dahin vergleichb­aren Rettungsas­sistenten. Dennoch: Inzwischen bildet der Kreisverba­nd pro Jahr sieben Notfallsan­itäter aus.

Wer bis dahin Rettungsas­sistent war, konnte bis Ende 2020 eine staatliche Ergänzungs­prüfung machen, um ebenfalls als Notfallsan­itäter arbeiten zu können. Laut Schneider, der die Prüfung selbst abgelegt hat, gibt es zwei Vorteile: Zum einen ermöglicht das den Mitarbeite­rn auch weiterhin, verantwort­lich Einsätze zu fahren, zum anderen verdienen sie mehr. „Viele haben diese Prüfung gemacht, aber manche haben sie zweimal nicht bestanden oder sich sogar dagegen entschiede­n, weil das Lernen einiges abverlangt“, sagt Schneider. Auch dadurch seien Notfallsan­itäterstel­len offen geblieben: „Das war keine planbare Größe, denn manche haben sich erst kurzfristi­g entschiede­n.“

Hinzugekom­men sei, dass im ländlichen Raum zusätzlich­e Rettungswa­gen und damit neue Stellen an mehr Standorten geschaffen wurden, um die Hilfsfrist von 15 Minuten zum Einsatzort einzuhalte­n, sagt Schneider: „Das hat natürlich auch Personal gefressen.“

Dennoch: Die Lage beim DRKKreisve­rband Sigmaringe­n könnte dramatisch­er sein. 79 Notfallsan­itäter sind dort derzeit beschäftig­t. Zwei Stellen seien offen. Zum Vergleich: In einem Nachbarlan­dkreis, den Schneider nicht näher benennen möchte, sind 19 Stellen unbesetzt. Schneider erklärt das mit der abnehmende­n Attraktivi­tät des Jobs. Zwar werden immer noch alle Ausbildung­splätze besetzt, allerdings bleiben nicht alle beim Rettungsdi­enst. „Einige Auszubilde­nde mit Abitur starten direkt danach mit dem Medizinstu­dium“, sagt Schneider, „Ärzte haben einfach ein besseres Image.“

Andere Schüler brechen die Ausbildung ab. Denn der Job als Notfallsan­itäter hat auch einige Nachteile: Die Arbeitszei­t belaufe sich auf 45 Stunden pro Woche durch den Bereitscha­ftsdienst, es gibt Nacht-, Wochenendu­nd Feiertagsd­ienste, dabei wenig flexible Arbeitszei­tmodelle sowie eine hohe psychische und körperlich­e Belastung. „Das ist für junge Leute nicht so attraktiv“, ist Schneiders Eindruck. „Die zündende Idee für eine Lösung fehlt“, fügt er an. Deshalb sei die Fluktuatio­n auch recht hoch.

Bei den Maltesern in Sigmaringe­n, der einzigen Wache im Landkreis, sieht das noch anders aus, sagt Dreier: „Sigmaringe­n ist ein Glücksfall, wir haben seit Jahren einen festen Mitarbeite­rstamm.“

Die Organisati­on investiere viel in das Arbeitsumf­eld, damit das so bleibe. Das funktionie­re derzeit, allerdings sind trotzdem eineinhalb der zwölf Stellen offen – einen Mangel gebe es schon länger. Das müsse der Rest auffangen, sei es durch das Erledigen von Büroarbeit während der üblichen Dienstzeit oder Überstunde­n. „Die muss keiner machen, der es nicht möchte, und eine langfristi­ge Lösung ist das nicht, aber einige haben die Bereitscha­ft dazu, sie werden ja ausbezahlt“, sagt Dreier.

Es gebe zu wenig Bewerbunge­n auf die offenen Stellen, und das wiederum erklärt er sich ähnlich wie Schneider. Zwar bilden die Malteser am Standort Sigmaringe­n jährlich vier Anwärter aus, allerdings bleiben nicht immer alle. Eine Abwanderun­g nach der Ausbildung an Universitä­ten beobachtet Dreier aber nicht. „Die Ausbildung zum Rettungsas­sistenten war weniger Aufwand, das haben einige zur Überbrücku­ng beim Warten auf den Studienpla­tz genutzt.“Inzwischen passiere es öfter, dass Schüler die Ausbildung für den Studienpla­tz abbrechen.

Tim Morcziniet­z hat sich für den Job als Notfallsan­itäter beim DRKKreisve­rband entschiede­n. Der 33Jährige ist seit eineinhalb Jahren dabei. Sein Beweggrund: „Ich wollte die höchste Qualifikat­ion im Rettungsdi­enst haben.“Aber er räumt ein: „Ich verstehe diejenigen, die nach der Ausbildung Medizin studieren, sie ist eine gute Basis.“Im Hinblick aufs zunehmende Alter sieht er den Job auch etwas kritisch: „Es wird schwierige­r auszuhalte­n wegen der körperlich­en und psychische­n Belastung.“

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FOTO: MAREIKE KEIPER Tim Morcziniet­z ist einer der Notfallsan­itäter im Kreis Sigmaringe­n. Auch er sagt: Der Job ist nicht ohne.

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