Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Lücken im System der Retter
DRK und Malteser beklagen offene Stellen bei den Notfallsanitätern – So ist die Lage im Landkreis
- In BadenWürttemberg fehlen Hunderte Notfallsanitäter. Das hat das Innenministerium kürzlich mitgeteilt. Auch im Kreis Sigmaringen sind schon seit Längerem Stellen offen. Lothar Schneider, Bereichsleiter des Rettungsdiensts beim DRK-Kreisverband, und Thomas Dreier, Leiter des Rettungsdiensts im Malteser-Bezirk Bodensee, klären über die Situation und deren Ursachen auf.
Wie Schneider erklärt, seien viele Faktoren zusammengekommen, die phasenweise den Mangel an Notfallsanitätern verursacht haben. Die Ausbildung war 2014 eingeführt worden, das Berufsbild sollte den Rettungsassistenten ablösen (siehe Infokasten) – entsprechend habe es in den ersten drei Jahren logischerweise an Nachwuchs gefehlt. Die Berufsschulen, die teils neu geschaffen wurden, haben laut Schneider gar nicht so viele Notfallsanitäter ausbilden können wie nötig. „Wegen des neuen Berufsbilds waren auch viele Kreisverbände vorsichtig“, sagt er.
Unter ihnen war der Kreisverband Sigmaringen. Dort sei vorerst nur ein Notfallsanitäter ausgebildet worden. „Wir wollten schauen, wie wir das bewältigen können“, so Schneider. Denn während der ersten eineinhalb Jahre können die Schüler nur als Dritte auf dem Rettungswagen mitfahren, erst danach erhalten sie die sogenannte Äquivalenzbescheinigung, also ähnliche Qualifikationen wie Rettungssanitäter, die nur eine viereinhalbmonatige Ausbildung absolvieren. Die Ausbildung der Notfallsanitäter sei also aufwendiger als die der bis dahin vergleichbaren Rettungsassistenten. Dennoch: Inzwischen bildet der Kreisverband pro Jahr sieben Notfallsanitäter aus.
Wer bis dahin Rettungsassistent war, konnte bis Ende 2020 eine staatliche Ergänzungsprüfung machen, um ebenfalls als Notfallsanitäter arbeiten zu können. Laut Schneider, der die Prüfung selbst abgelegt hat, gibt es zwei Vorteile: Zum einen ermöglicht das den Mitarbeitern auch weiterhin, verantwortlich Einsätze zu fahren, zum anderen verdienen sie mehr. „Viele haben diese Prüfung gemacht, aber manche haben sie zweimal nicht bestanden oder sich sogar dagegen entschieden, weil das Lernen einiges abverlangt“, sagt Schneider. Auch dadurch seien Notfallsanitäterstellen offen geblieben: „Das war keine planbare Größe, denn manche haben sich erst kurzfristig entschieden.“
Hinzugekommen sei, dass im ländlichen Raum zusätzliche Rettungswagen und damit neue Stellen an mehr Standorten geschaffen wurden, um die Hilfsfrist von 15 Minuten zum Einsatzort einzuhalten, sagt Schneider: „Das hat natürlich auch Personal gefressen.“
Dennoch: Die Lage beim DRKKreisverband Sigmaringen könnte dramatischer sein. 79 Notfallsanitäter sind dort derzeit beschäftigt. Zwei Stellen seien offen. Zum Vergleich: In einem Nachbarlandkreis, den Schneider nicht näher benennen möchte, sind 19 Stellen unbesetzt. Schneider erklärt das mit der abnehmenden Attraktivität des Jobs. Zwar werden immer noch alle Ausbildungsplätze besetzt, allerdings bleiben nicht alle beim Rettungsdienst. „Einige Auszubildende mit Abitur starten direkt danach mit dem Medizinstudium“, sagt Schneider, „Ärzte haben einfach ein besseres Image.“
Andere Schüler brechen die Ausbildung ab. Denn der Job als Notfallsanitäter hat auch einige Nachteile: Die Arbeitszeit belaufe sich auf 45 Stunden pro Woche durch den Bereitschaftsdienst, es gibt Nacht-, Wochenendund Feiertagsdienste, dabei wenig flexible Arbeitszeitmodelle sowie eine hohe psychische und körperliche Belastung. „Das ist für junge Leute nicht so attraktiv“, ist Schneiders Eindruck. „Die zündende Idee für eine Lösung fehlt“, fügt er an. Deshalb sei die Fluktuation auch recht hoch.
Bei den Maltesern in Sigmaringen, der einzigen Wache im Landkreis, sieht das noch anders aus, sagt Dreier: „Sigmaringen ist ein Glücksfall, wir haben seit Jahren einen festen Mitarbeiterstamm.“
Die Organisation investiere viel in das Arbeitsumfeld, damit das so bleibe. Das funktioniere derzeit, allerdings sind trotzdem eineinhalb der zwölf Stellen offen – einen Mangel gebe es schon länger. Das müsse der Rest auffangen, sei es durch das Erledigen von Büroarbeit während der üblichen Dienstzeit oder Überstunden. „Die muss keiner machen, der es nicht möchte, und eine langfristige Lösung ist das nicht, aber einige haben die Bereitschaft dazu, sie werden ja ausbezahlt“, sagt Dreier.
Es gebe zu wenig Bewerbungen auf die offenen Stellen, und das wiederum erklärt er sich ähnlich wie Schneider. Zwar bilden die Malteser am Standort Sigmaringen jährlich vier Anwärter aus, allerdings bleiben nicht immer alle. Eine Abwanderung nach der Ausbildung an Universitäten beobachtet Dreier aber nicht. „Die Ausbildung zum Rettungsassistenten war weniger Aufwand, das haben einige zur Überbrückung beim Warten auf den Studienplatz genutzt.“Inzwischen passiere es öfter, dass Schüler die Ausbildung für den Studienplatz abbrechen.
Tim Morczinietz hat sich für den Job als Notfallsanitäter beim DRKKreisverband entschieden. Der 33Jährige ist seit eineinhalb Jahren dabei. Sein Beweggrund: „Ich wollte die höchste Qualifikation im Rettungsdienst haben.“Aber er räumt ein: „Ich verstehe diejenigen, die nach der Ausbildung Medizin studieren, sie ist eine gute Basis.“Im Hinblick aufs zunehmende Alter sieht er den Job auch etwas kritisch: „Es wird schwieriger auszuhalten wegen der körperlichen und psychischen Belastung.“