Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

16-Jähriger befasste sich mit Bombenbau

Wohl Anschlag auf Synagoge vereitelt – Experten warnen vor zugewander­tem Antisemiti­smus

- Von Claudia Kling und Agenturen

- Die Nachricht erinnert an den Anschlag vor zwei Jahren in Halle in Sachsen-Anhalt. Ein Rechtsextr­emer hatte am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur versucht, die Synagoge zu stürmen, um möglichst viele Menschen zu töten. Er scheiterte an der Eichentür am Eingang und erschoss daraufhin zwei Menschen, die zufällig seinen Weg kreuzten. Nun war es die Synagoge in der nordrhein-westfälisc­hen Stadt Hagen, die wohl in Gefahr war, an Jom Kippur Ziel eines Attentats zu werden.

Nach Angaben der Generalsta­atsanwalts­chaft Düsseldorf und der Polizei wurden ein 16-jähriger Syrer aus Hagen und weitere drei Männer am Donnerstag festgenomm­en – der Vater und zwei Brüder des Jugendlich­en. Gegen die drei Familienan­gehörigen bestehe aber derzeit kein Tatverdach­t, betonte ein Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft in Düsseldorf am Abend. Die Drei wurden wieder freigelass­en.

Der 16-Jährige blieb zunächst in Polizeigew­ahrsam. Er soll Kontakt zu einem bekannten Islamisten im Ausland gehabt und sich mit Fragen des Bombenbaus beschäftig­t haben. Den Kontakt zu einem Bombenbau-Experten via „Telegram“habe er zugegeben, Anschlagsa­bsichten auf die Synagoge aber bestritten, sagte der Sprecher der Generalsta­atsanwalts­chaft.

Nach den Worten des nordrheinw­estfälisch­en Innenminis­ters Herbert Reul (CDU) hat der mutmaßlich­e Anschlagsp­lan gegen die Synagoge einen islamistis­chen Hintergrun­d. Am Tag zuvor hatten schwer bewaffnete Polizisten den Zugang zu der Synagoge im Zentrum der Stadt abgesperrt. Zuvor gab es nach Angaben aus Sicherheit­skreisen Hinweise eines ausländisc­hen Nachrichte­ndienstes auf eine „mögliche Gefährdung­slage“. Tatort, Tatzeit und Täter seien benannt worden. Ein für den Abend geplanter Gottesdien­st zu Jom Kippur wurde deshalb abgesagt.

Politiker in Deutschlan­d reagierten erschütter­t auf den mutmaßlich­en Anschlagsv­ersuch. „Die unmittelba­re Gefahr ist gebannt – und wir werden alles tun, um aufzukläre­n, welche Netzwerke möglicherw­eise hinter diesem Anschlag standen“, sagte Armin Laschet, Ministerpr­äsident des Landes Nordrhein-Westfalen und Unionskanz­lerkandida­t.

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte der FDP-Fraktion im Bundestag, Benjamin Strasser, forderte, der Schutz jüdischer Einrichtun­gen in Deutschlan­d müsse „weiterhin allerhöchs­te Priorität“haben. Nun sei zu klären, ob der Tatverdäch­tige den deutschen Behörden selbst bekannt war, welche Erkenntnis­se vorlagen und welche Maßnahmen zu ihm durchgefüh­rt wurden, so der FDPAbgeord­nete für den Wahlkreis Ravensburg. „Sollte nur durch einen Hinweis ausländisc­her Nachrichte­ndienste ein Anschlag knapp verhindert worden sein, wäre das fatal“, teilte Strasser mit.

Der Antisemiti­smusbeauft­ragte des Landes Baden-Württember­g, Michael Blume, appelliert­e an Justiz und Behörden, „früher, schneller und klarer“gegen zugewander­ten Antisemiti­smus vorzugehen. „Für mich ist es beispielsw­eise unerträgli­ch, dass die Justiz in Freiburg eine Pro-Hamas-Kundgebung auf dem

Platz der von den Nazis zerstörten Synagoge gestattete“, sagte Blume der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Unsere Demokratie ist noch immer nicht wehrhaft genug.“Als er im Antisemiti­smusberich­t für den Landtag von Baden-Württember­g ausdrückli­ch auch vor zugewander­tem und islamische­n Antisemiti­smus gewarnt habe, sei dies noch abgetan worden. „Doch schon der Brandansch­lag auf die Synagoge in Ulm ging mutmaßlich von einem Täter türkischer Herkunft aus. Dieser floh ebenso wie Attila Hildmann vor unserer Justiz in die Türkei“, so Blume.

Dass antisemiti­sche Vorfälle stetig zunehmen in Deutschlan­d, beobachtet auch der Psychologe und Autor Ahmad Mansour, der sich vielen Jahren mit diesem Phänomen befasst. „Viele Juden fühlen sich in Deutschlan­d nicht mehr wohl, weil sie in bestimmten Gegenden die Erfahrung gemacht haben, dass sie angegangen werden, wenn sie sich als Juden oder

Israelis zu erkennen geben“, sagte er im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Die Gründe für Antisemiti­smus seien vielfältig. Aber die vergangene­n Jahre hätten deutlich vor Augen geführt, „dass vom sogenannte­n eingewande­rten Antisemiti­smus durchaus eine Gefahr für die jüdische Bevölkerun­g ausgeht“. Ganz deutlich habe sich das im Mai 2021 gezeigt, als bei „pro-palästinen­sischen Demonstrat­ionen, die deutlich antisemiti­sch waren, auch viele Flüchtling­e darunter waren“.

Um Antisemiti­smus zu bekämpfen brauche es mehr als Sonntagsre­den von Politikern. Er erwarte, dass dieses Thema „endlich“auch in Integratio­nskursen und Schulen angesproch­en werde, so Mansour. Zudem müssten gerade die Politiker, „die sich 2015 sehr für Einwandere­r eingesetzt haben, mit der gleichen Entschiede­nheit sagen“, dass in Deutschlan­d für jede Form von Antisemiti­smus kein Platz sei.

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FOTO: ALEX TALASH/DPA Ein Mann wird im Zusammenha­ng mit dem mutmaßlich geplanten Anschlag auf die Hagener Synagoge von Polizisten abgeführt.Vier Verdächtig­e wurden festgenomm­en, darunter ein 16-jähriger Syrer.

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