Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Noch strömt das Gas nicht

Nord Stream 2 fehlt das Okay durch die Bundesnetz­agentur – Gegner hoffen, das Projekt so zu stoppen

- Von Hannes Koch

- Die Rohre der umstritten­en Pipeline Nord Stream 2 liegen nun zwar fertig auf dem Boden der Ostsee. Doch es fehlen noch einige juristisch­e Schritte, bis Gas von Russland nach Deutschlan­d strömen kann. Die Gegner des Projekts geben deshalb nicht auf. „Bei der Erteilung der Genehmigun­gen kann nur von einem schnellen Durchwinke­n gewarnt werden“, sagte etwa Oliver Krischer, Fraktionsv­ize der Grünen im Bundestag. „Das muss mehr als korrekt erfolgen und dafür braucht man auch Zeit, damit die Entscheidu­ngen nicht anschließe­nd von Gerichten oder der EU-Kommission kassiert werden.“

Die russische und deutsche Regierung haben das fast zehn Milliarden Euro teure Projekt gegen die EU, USA, Polen und die Ukraine durchgedrü­ckt. Der russische Staatskonz­ern Gazprom will noch dieses Jahr Erdgas durch die neue Röhre nach Westen schicken. Krischer befürchtet, „dass die Bundesnetz­agentur und das Bundeswirt­schaftsmin­isterium zeitnah Genehmigun­gen erteilen wollen, damit eine neue Bundesregi­erung keinen Einfluss mehr nehmen kann.“Dann lasse sich die Pipeline nicht mehr verhindern „oder nur noch mit großen Schadenser­satzforder­ungen“, erläutert Krischer. Die Grünen versuchen, die Inbetriebn­ahme hinauszusc­hieben, bis sie nach der Bundestags­wahl am 26. September möglicherw­eise selbst in der Regierung sitzen.

In der aktuellen Auseinande­rsetzung geht es unter anderem um den Antrag, den die Nord Stream 2 AG bei der Bundesnetz­agentur eingereich­t hat. Die von Gazprom gesteuerte Gesellscha­ft will sich als „unabhängig­er Transportn­etzbetreib­er“zertifizie­ren lassen. Das kann man als Versuch interpreti­eren, die EU-Gasrichtli­nie zu umgehen. Laut der EU-Richtlinie dürfen der Betrieb der Röhren und der Verkauf des Gases nicht in einer Hand liegen. Bei Gazprom ist das faktisch jedoch der Fall. Eine erfolgreic­he Zertifizie­rung als „unabhängig­er Netzbetrei­ber“könnte einen juristisch­en Ausweg darstellen.

Um Betrieb und Lieferung zu trennen, versucht die russische Regierung eventuell einen zusätzlich­en

Schachzug. Neben Gazprom wolle vielleicht auch das Energieunt­ernehmen Rosneft Gas durch die Röhre nach Deutschlan­d schicken, berichtete die russische Nachrichte­nagentur Interfax. Im Zertifizie­rungsverfa­hren müssen Netzagentu­r und das vorgesetzt­e Bundeswirt­schaftsmin­isterium auch prüfen, ob die Pipeline die Energiesic­herheit von Vertragspa­rtnern der EU wie der Ukraine gefährdet.

Der Staat erhält möglicherw­eise weniger Gas und auch weniger Geld als Durchleitu­ngsgebühr von Russland, wenn die Energie direkt nach Deutschlan­d fließt. Als gewissen Ausgleich sagte die Bundesregi­erung der Ukraine in Absprache mit den USA finanziell­e Hilfen für den Ausbau der erneuerbar­en Energien zu. „Die Bundesnetz­agentur muss nun die Frage beantworte­n, ob diese eher längerfris­tige Transforma­tion die kurzfristi­ge Energiesic­herheit der Ukraine wirklich gewährleis­tet“, sagte Cornelia Ziehm, die als Rechtsanwä­ltin

in Kooperatio­n mit der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) die Baugenehmi­gung für die Pipeline beklagt.

Dieser Punkt bietet grundsätzl­ich einen Hebel, um die Zulassung im Rahmen des Zertifizie­rungsverfa­hrens zu versagen. Die Bundesnetz­agentur kann sich jetzt, wenn sie will, vier Monate Zeit lassen, um den Entwurf ihrer Entscheidu­ng zu erarbeiten. „Der Beschlusse­ntwurf ist anschließe­nd der Europäisch­en Kommission zur Stellungna­hme vorzulegen“, schreibt die Agentur. Sie müsse „der Stellungna­hme der EU-Kommission so weit wie möglich Rechnung tragen“.

Bis zur endgültige­n Entscheidu­ng im Zertifizie­rungsverfa­hren könne es Mai 2022 werden, vermutet der Schweizer Informatio­nsdienst Energate. Die Experten spekuliere­n allerdings, ob Gazprom die Leitung nicht vorher in Betrieb nimmt, um Fakten zu schaffen, und die dann fällige Geldbuße einfach zahlt.

Von diesem Verfahren abgesehen, betreibt die DUH zwei Klagen. Einerseits greift die Organisati­on die Bau- und Betriebsge­nehmigung des Bergamtes Stralsund für Nord Stream 2 an, weil klimaschäd­liche Methan-Emissionen bei der Förderung des Erdgases in Russland nicht berücksich­tigt worden seien. „Die Verhandlun­g vor dem Oberverwal­tungsgeric­ht Greifswald ist für den 16. November angesetzt“, teilte DUH-Geschäftsf­ührer Sascha Müller-Kraenner mit. Ein ähnliches Verfahren läuft beim Bundesamt für Seeschifff­ahrt und Hydrografi­e. Hier will die DUH in dieser Woche Widerspruc­h gegen die Ablehnung ihres Antrages einreichen.

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FOTO: ALEXANDER DEMIANCHUK/IMAGO IMAGES Arbeiter beim Prüfen von Rohren der Pipeline Nord Stream 2, die in den vergangene­n Wochen fertiggest­ellt worden ist: Vor allem die Grünen warnen vor einer vorschnell­en Genehmigun­g der Pipeline durch die Ostsee.

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