Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Acht gegen Göppingen
Im Filstal erwägen mehrere Gemeinden einen Wechsel in den Alb-Donau-Kreis
- In Geislingen an der Steige können die Bürger am 26. September nicht nur ihre Stimme für den Bundestag abgeben. Sie entscheiden gleichzeitig darüber, ob ihre Stadt sich darum bemühen soll, den Landkreis Göppingen zu verlassen und stattdessen dem Alb-Donau-Kreis beizutreten. Grund ist ein tief sitzender Ärger über den Kreistag in Göppingen – nicht nur in Geislingen, sondern auch in anderen Gemeinden. Das letzte Wort haben aber nicht die betroffenen Bürger.
Anlass des Ärgers ist der Streit um ein Krankenhaus. Am 21. Mai hat der Göppinger Kreistag beschlossen, die Helfensteinklinik in Geislingen bis 2024 in ihrer bisherigen Form zu schließen. Gleichzeitig wird die Klinik am Eichert in Göppingen ausgebaut, mit der das Geislinger Spital erst seit 2014 unter einem Dach als Alb Fils Kliniken GmbH firmiert. Der zweitgrößten Stadt im Kreis bleibt lediglich ein ambulantes Versorgungszentrum.
Frank Dehmer sieht den Kreistagsbeschluss kritisch. „Die ganze Raumschaft Schwäbische Alb ist bei der Krankenhausversorgung ein Nirwana“, sagt Geislingens parteiloser Oberbürgermeister. Das Krankenhaus in Laichingen ist längst zu, in Langenau wird die Chirurgie ausgedünnt. Und jetzt auch noch Geislingen. „Politiker sollen sich bei ihren Entscheidungen an den Menschen orientieren, und die Menschen hier finden die Krankenhausschließung nicht richtig“, sagt Dehmer der „Schwäbischen Zeitung“. Die Helfensteinklinik habe eine gute Chirurgie, in der Operationen etwa an Knie und Hüfte in ausreichend hoher Stückzahl ausgeführt würden, außerdem Spezialisierungen wie eine Palliativstation.
Was den Oberbürgermeister außerdem wurmt, ist das Gefühl, dass die Belange der Region überstimmt worden seien. Abgesehen von der CDU, die einen Entscheid über die Schließung vertagen wollte, sei im Kreistag eine klare Front erkennbar gewesen: Nicht zwischen den Fraktionen, sondern geografisch – zwischen den Mitgliedern aus dem oberen Filstal und jenen aus dem Rest des Kreises.
In acht Gemeinden wird nun laut darüber nachgedacht, Göppingen den Rücken zu kehren: Neben Geislingen erwägen Wiesensteig, Deggingen, Bad Überkingen, Hohenstadt, Drackenstein und Mühlhausen einen Wechsel zum Alb-DonauKreis, Böhmenkirch liebäugelt mit dem Landkreis Heidenheim. Am weitesten sind Böhmenkirch und Geislingen. In beiden Kommunen kommt es am Bundestagswahl-Sonntag zum Bürgerentscheid. Zur Abstimmung steht in Geislingen die Frage: „Sind Sie dafür, dass die Stadt Geislingen an der Steige prüft, unter welchen Rahmenbedingungen ein Austritt aus dem Landkreis Göppingen sowie ein gleichzeitiger Übertritt in den Alb-Donau-Kreis realisiert werden kann?“
Dass es zunächst nur um eine Prüfung geht, ist Oberbürgermeister Dehmer wichtig. Er sagt aber auch, dass das Thema nicht erst mit der Klinikdebatte aufgekommen ist. Viele Geislinger würden sich seit jeher eher in Richtung Ulm orientieren. Die Verbindung in die eigene Kreisstadt ist dagegen mäßig. Der Ausbau der B 10 endet, von Göppingen kommend, noch immer zwei Dörfer vor Geislingen. Das entspricht auch historischen Bezügen: Geislingen an der Steige gehörte 400 Jahre lang zum Gebiet der Freien Reichsstadt Ulm.
Auch in Hohenstadt fühlt man sich dem Alb-Donau-Kreis nahe. „Die Kinder gehen in Westerheim zur Grundschule, das Großprojekt Bahnhof Laichingen hat uns mit den Gemeinden bis Dornstadt verbunden“, erzählt Bürgermeister Günter Riebort (parteilos). Die Schließung der Geislinger Klinik sei zwar ein Auslöser der Diskussion gewesen, aber nicht der eigentliche Grund der Bestrebungen, den Landkreis zu wechseln. Die meisten Bürger seiner Gemeinde, räumt Riebort ein, gingen sowieso nach Blaubeuren oder nach Ulm ins Krankenhaus. Dennoch hat er den Eindruck, jenseits der Alb nicht so richtig Gehör zu finden. „Das ist mehr ein Gefühl.“
Zwischen solchen gefühligen Wahrheiten und dem konkreten Streit ums Geislinger Krankenhaus würde der Göppinger Landrat Edgar Wolff (Freie Wähler) gern unterscheiden. „Ich habe Verständnis für die Enttäuschung und Wut über die Umwandlung der Helfensteinklinik. Das trifft die Gemeinden.“Was er nicht verstehen könne, sei die Kritik aus den oberen Landkreisgemeinden, von der Entwicklung abgehängt zu sein. Wolff nennt Beispiele: Der Landkreis habe ein integriertes Klimaschutzkonzept, gehe beim Tourismus mit dem Ausbau von Wanderwegen und der Fahrradfreundlichkeit voran, wovon besonders das obere Filstal profitiere, und sei seit Januar Teil des Verkehrsverbunds Stuttgart – „ein Meilenstein für den ÖPNV“. Was die Klinik angehe, seien nicht wirtschaftliche Gründe der wichtigste Grund für die Schließung. Maßgeblich seien unter anderem auch der Fachkräftemangel und der Trend zur Ambulantisierung der Medizin, so Wolff. Er will nun mit den verärgerten Bürgermeistern und Gemeinderäten das Gespräch suchen. „Ich nehme die Kritik sehr ernst.“
Wie viele Hürden es sind, bis ein Kreiswechsel vollzogen werden kann, zeigt das Beispiel von Bad Herrenalb. Die 8000-EinwohnerKommune im Nordschwarzwald wollte 2016 vom Landkreis Calw in den Landkreis Karlsruhe wechseln. Die Befürworter argumentierten mit wirtschaftlichen Impulsen und kürzeren Behördenwegen. Bei der Abstimmung lagen sie knapp vorn, auch das nötige Quorum der Stimmberechtigten von 20 Prozent kam zustande. Der Landtag lehnte den Wunsch aus Bad Herrenalb zwei Jahre später trotzdem mit großer Mehrheit ab. Innenminister Thomas Strobl (CDU) argumentierte damals auch mit einer möglichen Vorbildfunktion: Mit weiteren Wechselwünschen müsse gerechnet werden, das sei aber nicht im Interesse des Landes. Ebenfalls am Land scheiterte 2018 der Antrag der Stadt Reutlingen, den Landkreis Reutlingen zu verlassen und einen eigenen Stadtkreis zu bilden. Zustimmen müsste einem Wechsel Geislingens und anderer Gemeinden zudem auch der aufnehmende Alb-Donau-Kreis. Dort hält man sich zu den Avancen aus der Nachbarschaft bislang völlig bedeckt.