Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Wahl ohne echte Alternative
In Russland treten 14 Parteien an – Viele Oppositionelle ausgeschlossen
- In Russland sind seit Freitag Duma-Wahlen im Gang. Demokratische Kandidaten gibt es kaum. Und ins Parlament werden nur traditionell kremltreue Kräfte einziehen.
Szenen des Wahlauftaktes in Sibirien: In Tuwa saßen die Musiker eines Militärorchesters vor dem hölzernen Gebäude des Wahllokals und spielten Jazz, in Nowosibirsk warteten schon am Morgen lange Schlangen von Rettungsdienstlern und anderen öffentlichen Angestellten vor den Wahlurnen. Und in Barnaul entdeckte eine Wählerin auf der Liste der Stimmberechtigten ihren vor zwölf Jahren verstorbenen Gatten.
Am Freitag haben in ganz Russland die Wahlen begonnen. Drei Tage lang, vom 17. bis zum 19. September, stehen die 450 Sitze der Staatsduma zur Wahl. Dazu zwölf Gouverneure, 39 Regional- sowie elf regionale Hauptstadtparlamente.
Und der amtierende Präsident Wladimir Putin rechnet nach eigenem Bekunden damit, dass die Putinpartei „Geeintes Russland“ihre Position hält, vor allem die Zweidrittelmehrheit in der Duma. Obwohl sich in Folge des 2018 erhöhten Rentenalters und des seit Jahren schrumpfenden Lebensstandards im Volk zunehmend Verdruss breitmacht. Auch die jüngste Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM vom August prophezeit der Putinpartei nur 29,4 Prozent der Stimmen.
Allerdings sollen außer ihr nur drei oder vier der insgesamt 14 teilnehmenden Parteien die Fünf-Prozent-Hürde meistern: die Kommunisten mit 16,6, die nationalpopulistischen Liberaldemokraten mit zehn sowie „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“mit acht Prozent. Alle drei Fraktionen gelten als systemtreu und stramm patriotisch. Das gilt auch für die vergangenes Jahr gegründete Partei „Neue Menschen“, die mit 4,5 Prozent ebenfalls noch Chancen auf eine eigene Fraktion in der Duma hat.
Ihre oft jungen Kandidaten geben sich fortschrittlich und kritisch, aber das Staatsfernsehen räumt ihnen wohlwollend viel Platz ein. Nach Ansicht von Politologen handelt es sich auch bei ihnen um eine vom Kreml erfundene „Spoiler“-Partei, die den letzten demokratischen Kräften Stimmen abnehmen soll – vor allem der „Jabloko“-Partei, die laut Umfrage bei drei Prozent hängen bleibt.
„Die Staatsmacht tut alles, um den politischen Raum von sämtlichen Kräften zu säubern, die die Gegner des Regimes um sich sammeln könnten“, sagt der Historiker Andrej Subow, der früher für die prowestliche „Partei der Volksfreiheit“kandidierte. „Alexej Nawalny sitzt im Gefängnis, ,Offenes Russland‘ von Michail Chodorkowski wurde verboten, uns hat man zeitweise die Registrierung entzogen, sodass wir nicht an der Wahl teilnehmen können.“Er hoffe einzig auf „Jabloko", aber der Kreml nötige den Gründer der Partei, Grigori Jawlinski, zu Anti-Nawalny-Auftritten, um „Jabloko" bloßzustellen.
Andere demokratische Kandidaten sind wie der frühere Duma-Abgeordnete Dmitri Gudkow ausgereist. Oder sie haben resigniert. So kandidiert der christdemokratische Ex-Parlamentarier Wladimir Ryschkow erstmals nicht mehr für die Staatsduma, sondern nur für den Moskauer Stadtrat. Und in den gelichteten Reihen der Opposition streitet man, ob die von Nawalny propagierte „kluge Abstimmung“ noch Sinn macht: „Es bleibt nur, den Namen des Kandidaten anzukreuzen, der uns am wenigsten anwidert“, schreiben fünf liberale Publizisten auf dem Portal des Radiosenders Echo Moskwy. Sie rufen daher dazu auf, die Wahlen ganz zu boykottieren.
Um „Geeintes Russland“an der Wahlurne zumindest etwas entgegenzusetzen, hat Nawalnys Exilstab in 225 Direktwahlkreisen 205 Kandidaten der drei schon in der Duma vertretenen Parteien zur „klugen Abstimmung“empfohlen: So soll das Machtmonopol der Kremlpartei aufgebrochen werden. Diese Strategie erwies sich in der Vergangenheit bereits als erfolgreich.
Auch Experten fern der Hauptstadt reden von Wahlen ohne echte Opposition. Nach Ansicht Viktor Mutschniks, Historiker und Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals TV-2 im sibirischen Tomsk, sind alle 14 Parteien, die für die Wahlen zur Staatsduma zugelassen sind, Systemparteien, deren Moskauer Vorsitzende vor Putin strammstehen. „Stellen Sie ihren Vertretern die Frage, ob sie ihre Anhänger auf die Straße schicken werden, um gegen Wahlfälschungen zu kämpfen. Sie werden von keinem ein klares Ja hören, im Unterschied zu Nawalnys Leuten.“
Um die mangelnde Zugkraft ihrer Funktionäre im eigenen Land auszugleichen, hat die Putinpartei CoronaChefärzte, Schauspieler und Schlagersänger aufgestellt. Auf Platz eins ihrer föderalen Kandidatenliste aber rangiert Verteidigungsminister Sergei Schoigu. Das macht Sinn: Nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrum vertrauen 66 Prozent der Russen der Armee, aber nur 29 Prozent der Staatsduma. Laut WZIOM ist mit einer Wahlbeteiligung von 48 bis 51 Prozent zu rechnen. Viele Wahlexperten mutmaßen, ein niedriges Quorum sei Putins Behörden nur recht. Der Präsident selbst überraschte vor wenigen Tagen mit der Erklärung, er werde wegen einiger Covid-Fälle in seiner engeren Umgebung die Wahltage in Quarantäne verbringen.