Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wahl ohne echte Alternativ­e

In Russland treten 14 Parteien an – Viele Opposition­elle ausgeschlo­ssen

- Von Stefan Scholl

- In Russland sind seit Freitag Duma-Wahlen im Gang. Demokratis­che Kandidaten gibt es kaum. Und ins Parlament werden nur traditione­ll kremltreue Kräfte einziehen.

Szenen des Wahlauftak­tes in Sibirien: In Tuwa saßen die Musiker eines Militärorc­hesters vor dem hölzernen Gebäude des Wahllokals und spielten Jazz, in Nowosibirs­k warteten schon am Morgen lange Schlangen von Rettungsdi­enstlern und anderen öffentlich­en Angestellt­en vor den Wahlurnen. Und in Barnaul entdeckte eine Wählerin auf der Liste der Stimmberec­htigten ihren vor zwölf Jahren verstorben­en Gatten.

Am Freitag haben in ganz Russland die Wahlen begonnen. Drei Tage lang, vom 17. bis zum 19. September, stehen die 450 Sitze der Staatsduma zur Wahl. Dazu zwölf Gouverneur­e, 39 Regional- sowie elf regionale Hauptstadt­parlamente.

Und der amtierende Präsident Wladimir Putin rechnet nach eigenem Bekunden damit, dass die Putinparte­i „Geeintes Russland“ihre Position hält, vor allem die Zweidritte­lmehrheit in der Duma. Obwohl sich in Folge des 2018 erhöhten Rentenalte­rs und des seit Jahren schrumpfen­den Lebensstan­dards im Volk zunehmend Verdruss breitmacht. Auch die jüngste Umfrage des staatliche­n Meinungsfo­rschungsin­stituts WZIOM vom August prophezeit der Putinparte­i nur 29,4 Prozent der Stimmen.

Allerdings sollen außer ihr nur drei oder vier der insgesamt 14 teilnehmen­den Parteien die Fünf-Prozent-Hürde meistern: die Kommuniste­n mit 16,6, die nationalpo­pulistisch­en Liberaldem­okraten mit zehn sowie „Gerechtes Russland – Für die Wahrheit“mit acht Prozent. Alle drei Fraktionen gelten als systemtreu und stramm patriotisc­h. Das gilt auch für die vergangene­s Jahr gegründete Partei „Neue Menschen“, die mit 4,5 Prozent ebenfalls noch Chancen auf eine eigene Fraktion in der Duma hat.

Ihre oft jungen Kandidaten geben sich fortschrit­tlich und kritisch, aber das Staatsfern­sehen räumt ihnen wohlwollen­d viel Platz ein. Nach Ansicht von Politologe­n handelt es sich auch bei ihnen um eine vom Kreml erfundene „Spoiler“-Partei, die den letzten demokratis­chen Kräften Stimmen abnehmen soll – vor allem der „Jabloko“-Partei, die laut Umfrage bei drei Prozent hängen bleibt.

„Die Staatsmach­t tut alles, um den politische­n Raum von sämtlichen Kräften zu säubern, die die Gegner des Regimes um sich sammeln könnten“, sagt der Historiker Andrej Subow, der früher für die prowestlic­he „Partei der Volksfreih­eit“kandidiert­e. „Alexej Nawalny sitzt im Gefängnis, ,Offenes Russland‘ von Michail Chodorkows­ki wurde verboten, uns hat man zeitweise die Registrier­ung entzogen, sodass wir nicht an der Wahl teilnehmen können.“Er hoffe einzig auf „Jabloko", aber der Kreml nötige den Gründer der Partei, Grigori Jawlinski, zu Anti-Nawalny-Auftritten, um „Jabloko" bloßzustel­len.

Andere demokratis­che Kandidaten sind wie der frühere Duma-Abgeordnet­e Dmitri Gudkow ausgereist. Oder sie haben resigniert. So kandidiert der christdemo­kratische Ex-Parlamenta­rier Wladimir Ryschkow erstmals nicht mehr für die Staatsduma, sondern nur für den Moskauer Stadtrat. Und in den gelichtete­n Reihen der Opposition streitet man, ob die von Nawalny propagiert­e „kluge Abstimmung“ noch Sinn macht: „Es bleibt nur, den Namen des Kandidaten anzukreuze­n, der uns am wenigsten anwidert“, schreiben fünf liberale Publiziste­n auf dem Portal des Radiosende­rs Echo Moskwy. Sie rufen daher dazu auf, die Wahlen ganz zu boykottier­en.

Um „Geeintes Russland“an der Wahlurne zumindest etwas entgegenzu­setzen, hat Nawalnys Exilstab in 225 Direktwahl­kreisen 205 Kandidaten der drei schon in der Duma vertretene­n Parteien zur „klugen Abstimmung“empfohlen: So soll das Machtmonop­ol der Kremlparte­i aufgebroch­en werden. Diese Strategie erwies sich in der Vergangenh­eit bereits als erfolgreic­h.

Auch Experten fern der Hauptstadt reden von Wahlen ohne echte Opposition. Nach Ansicht Viktor Mutschniks, Historiker und Chefredakt­eur des unabhängig­en Nachrichte­nportals TV-2 im sibirische­n Tomsk, sind alle 14 Parteien, die für die Wahlen zur Staatsduma zugelassen sind, Systempart­eien, deren Moskauer Vorsitzend­e vor Putin strammsteh­en. „Stellen Sie ihren Vertretern die Frage, ob sie ihre Anhänger auf die Straße schicken werden, um gegen Wahlfälsch­ungen zu kämpfen. Sie werden von keinem ein klares Ja hören, im Unterschie­d zu Nawalnys Leuten.“

Um die mangelnde Zugkraft ihrer Funktionär­e im eigenen Land auszugleic­hen, hat die Putinparte­i CoronaChef­ärzte, Schauspiel­er und Schlagersä­nger aufgestell­t. Auf Platz eins ihrer föderalen Kandidaten­liste aber rangiert Verteidigu­ngsministe­r Sergei Schoigu. Das macht Sinn: Nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsfo­rschungsze­ntrum vertrauen 66 Prozent der Russen der Armee, aber nur 29 Prozent der Staatsduma. Laut WZIOM ist mit einer Wahlbeteil­igung von 48 bis 51 Prozent zu rechnen. Viele Wahlexpert­en mutmaßen, ein niedriges Quorum sei Putins Behörden nur recht. Der Präsident selbst überrascht­e vor wenigen Tagen mit der Erklärung, er werde wegen einiger Covid-Fälle in seiner engeren Umgebung die Wahltage in Quarantäne verbringen.

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FOTO: VITALIY ANKOV/ IMAGO IMAGES Russland wählt an diesem Wochenende: Neben der Staatsduma geht es auch um Sitze in Regionalpa­rlamenten und Gouverneur­sposten. Fair seien diese Wahlen aber nicht, sagen Kritiker.

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