Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Ohne wirtschaftliche Stärke erreichen wir gar nichts“
Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet über Klimaschutz, Atomkraft und seinen Glauben
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat das zu spüren bekommen. Naja, anders als in den USA attackieren wir drei Kandidaten uns nicht persönlich. Wir kommen gut miteinander aus. Wenn aber der zigste Finanzskandal offenbar wird, dann muss man das ansprechen.
Sind Sie enttäuscht von Ihrem Lieblingskoalitionspartner FDP, der von der Wahl einer schwächelnden Union abrät?
Wahlkampf ist doch keine Zeit, wo sie in Geberlaune mal eben auf ein paar Hunderttausend Stimmen verzichten. Die FDP ist ein Mitbewerber.
In Berlin kursiert das Szenario, dass die Union den Kanzler stellt, der aber nicht Laschet heißt. Ausgeschlossen?
Ich dachte, das Sommerloch ist schon vorbei! Im Ernst: Ja, das ist völlig ausgeschlossen.
Und wenn die Union auf Platz zwei landet?
Das wird sie nicht.
Sie haben gesagt, wenn ein Kanzler nachts wegen einer Krise geweckt wird, muss er sofort denken, wie sie europäisch zu lösen ist. Auf Sie als Kanzler würde zum Beispiel der Konflikt über die EU-Migrationspolitik warten. Wie holen Sie Ungarn wieder an Bord?
Das Thema ist besonders schwierig, weil die Asylpolitik bislang nicht vergemeinschaftet ist, also keine EU-Zuständigkeit ist. Doch wenn Sie auf der Insel Lesbos sind, und zehn Kilometer entfernt sehen Sie das türkische Festland – spätestens da wird Ihnen klar, dass nicht ein paar griechische Grenzbeamte die komplette EU-Außengrenze schützen können. Es ist eine europäische Aufgabe, mit Frontex illegale Migration zu bekämpfen. Die Flüchtlinge auf Lesbos sind nicht nur auf griechischem, sondern auf europäischem Boden. Deshalb muss ganz Europa helfen.
Das hören wir doch seit Jahren. Und Ungarn ist beinhart. Rechtlich kann man sie auch zu nichts zwingen. Wir müssen sie durch Überzeugungsarbeit gewinnen, das geht nicht per Mehrheitsbeschluss.
Und ihnen anderenfalls den EUAustritt nahelegen, wie es der niederländische Premier Mark Rutte getan hat?
Ich bin mit Mark Rutte wirklich befreundet, aber das war nicht richtig. Wenn wir so anfangen, bricht die EU zusammen. Doch wir werden alle globalen Herausforderungen nur mit einem starken Europa bestehen. Und dazu gehört auch Ungarn. Wir haben durch den Wiederaufbaufonds Nord- und Südeuropa zusammengehalten. Jetzt müssen wir alles tun, um die Ost-West-Spaltung zu überwinden. Das gelingt nur, wenn Kritik lösungsorientiert ist. Wenn sie als überheblich wahrgenommen wird, passiert gar nichts.
Gegen eine einheitliche EU-Außenpolitik stehen auch deutsche Spezialinteressen, der Autoverkauf in China oder der Gasimport aus Russland. Wie würde ein Kanzler Laschet das angehen?
Ohne deutsche Sonderwege. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron habe ich vergangene Woche über den europäischen Umgang mit China gesprochen. Wir sind uns einig: kein neuer Kalter Krieg. China ist Systemwettbewerber, dessen Menschenrechtsverletzungen wir immer und immer wieder benennen müssen. Wir dürfen nicht abhängig werden, müssen aber Handel und Wissenschaftsaustausch betreiben.
Und Russland?
Es gab beim letzten EU-Gipfel den Versuch, einen Dialog mit Russland zu beschließen. Ich fand das nur logisch, US-Präsident Joe Biden redet auch mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin. Doch dazu braucht man die Zustimmung aller 27 EU-Staaten, auch der Balten und Polen.
Die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream hart kritisieren.
Ja, da gibt es Skepsis. Die wir ernst nehmen. Die aber leiser geworden ist, denn die Zusage an die Ukraine steht, dass keine Erpressung aus Russland geduldet wird.
Apropos Polen: Sie wollen das Weimarer Dreieck wiederbeleben, trotz des aktuellen Rechtsstreits. Warum?
Ich sehe Deutschland in einer historischen Verantwortung: Die Grausamkeiten während des Krieges durch deutsche Schuld mit den vielen Toten waren gerade in Polen so schrecklich, dass sie uns bis heute mahnen und im Handeln erinnern. Aber auch unabhängig davon müssen wir unser Nachbarland ins Herz Europas zurückholen. In manchen Bereichen ist es längst voll dabei, zum Beispiel bei der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Da sind andere zögerlicher.
Und der Streit um die polnischen Gerichte? Das betrifft den Kern der europäischen Rechtsstaatlichkeit. Es ist völlig klar, dass die Unabhängigkeit der Gerichte in Europa nicht verhandelbar ist. Sie ist Grundlage der Durchsetzung europäischen Rechts in ganz Europa.
In Polen wurde längst eine Frage nationaler Souveränität daraus.
Es wird oft vergessen, wie pro-europäisch die polnische Bevölkerung ist. Um das zu erhalten, gilt es, auch verbal abzurüsten. Wenn man solche Grundfragen eskaliert, endet es immer schlecht für alle.
Auch der Klimaschutz ist europäisch, Deutschland hat da eine Vorbildfunktion. Warum redet Ihr Wirtschaftsmann Friedrich Merz gegen den Green Deal?
Es geht um ein Detail, den CO
den ich für richtig halte. Wer bei uns mit Wasserstoff grünen Stahl produziert, muss vor nicht klimagerechtem Billigstahl aus China geschützt werden. Friedrich Merz und ich stimmen überein, dass dieser Schritt im Einklang mit den Welthandelsregeln erfolgen muss, damit es darüber nicht zu einem Handelskrieg mit immer neuen Gegenmaßnahmen kommt.
Oder ist der Union am Ende der Klimaschutz doch nicht ganz so wichtig?
Doch. Wir wollen das Klima schützen und – das unterscheidet uns von den Wettbewerbern – den Wirtschaftsstandort Deutschland ebenso schützen. Ohne wirtschaftliche Stärke erreichen wir gar nichts, auch nicht das extrem ambitionierte Ziel der Klimaneutralität bis 2045. Die finanzpolitischen Irrwege einer rot-grün-roten Bundesregierung würden auch den Kampf gegen den Klimawandel schwächen.
Täuscht der Eindruck, Merz und Sie würden lieber die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängern statt harte Klimaschutzmaßnahmen zu beschließen?
Der täuscht. Das Thema ist durch. Aber zur Ehrlichkeit gehört: Die Reihenfolge der Energiewende war falsch. Für das Klima wäre es besser gewesen, erst aus der Kohle und dann aus der Kernkraft auszusteigen. Im neuen Bericht des Weltklimarats IPCC, aus dem so gern zitiert wird, ist die Atomenergie ausdrücklich als CO2-arme Energie genannt. Aber: Für Deutschland sehe ich derzeit keine Rückkehr zur Kernkraft.
Derzeit?
Unter mir als Bundeskanzler wird es keinen Ausstieg aus dem Ausstieg geben. In Frankreich bleibt Kernenergie allerdings Realität – es wird also weiter Atomstrom in Deutschland geben. Französischen.
Wollen Sie beim Impfen von Paris lernen? Mit der Impfpflicht für bestimmte Berufe ist die Quote stark gestiegen.
Ich habe Präsident Macron dazu beglückwünscht. Trotzdem lehne ich die Rigorosität der Franzosen in dieser Frage ab. Wir haben unseren Bürgerinnen und Bürgern versprochen, dass es keine Impflicht geben wird. Daran halte ich mich auch als Bundeskanzler. Ich setze auf die Kraft des Arguments. In der ARD-„Wahlarena“wurde die Frage einer jungen Frau eingespielt. Sie war ungeimpft. Keine Impfgegnerin, aber unsicher. Man konnte nur ihre Stimme hören.
Die Frau hatte Angst, ihr Gesicht zu zeigen und ihren Namen zu nennen. Ich befürchte, dass sie sonst tatsächlich übelste Häme im Netz abbekommen hätte. Und das macht mich betroffen. Man überzeugt doch niemanden durch den Internet-Pranger. Ich kann nur immer wieder dafür werben, sich und andere durch eine Impfung zu schützen – aber man darf niemanden verdammen, der sich noch nicht sicher ist.
Die Pandemie hat Europa wirtschaftlich tief getroffen, der Corona-Aufbaufonds stellt befristet Milliarden Euro bereit. Was passiert, wenn das nicht reicht? Ist Europas Zusammenhalt wichtiger als die deutsche Schuldenbremse?
Das sind keine Gegensätze. Die Maastricht-Regeln des Stabilitätspakts gelten. Der Wiederaufbaufonds ist eine der Ausnahmesituation geschuldete Konjunkturmaßnahme für die nötigen Investitionen nach der Corona-Pandemie. Eine dauerhafte Schuldenunion würde die Akzeptanz des Euro und der EU bei der deutschen Bevölkerung schwächen. Deshalb verstehe ich die SPD und Olaf Scholz nicht, die allen Ernstes aus der einmaligen Schuldenaufnahme für die Corona-Aufbauhilfe eine Dauereinrichtung machen wollen.
Ökonomen kritisieren wiederum die teuren Wahlversprechen der Union.
Wir haben gesagt, dass wir für Entlastungen zuerst an die sozialen und wirtschaftlichen Leistungsträger Deutschlands denken: unsere Familien und unseren Mittelstand. Sie halten dieses Land jeden Tag am Laufen. Sie zu entlasten, ist immer auch ein Konjunkturprogramm.
Lassen Sie uns noch über Ihren Glauben reden. Auf welche gesellschaftspolitischen Veränderung müssten wir uns bei Abtreibung oder gleichgeschlechtlicher Ehe unter Katholik Laschet einstellen?
Der Katholizismus meiner Heimat ist für seine Liberalität bekannt. Wenn ich früher als Journalist glaubte, dass die Kirche diesem Anspruch nicht gerecht wird, habe ich sie deutlich kritisiert. Mein Glaube ist privat. Doch die gesellschaftspolitische Veränderung, die ich tatsächlich erreichen möchte, ist ein besseres Meinungsklima in Deutschland – auch für Meinungen, die ich oder viele andere Menschen nicht teilen.
Sie haben früher im Kinderkirchenchor gesungen. Kommen Sie noch dazu?
Im Kirchenchor leider nicht. Aber beim CSU-Parteitag hätten Sie Markus Söder und mich die Nationalhymne und die Bayernhymne singen hören können. Und die Familie meiner Frau ist sehr musikalisch, da wird bei Festen immer gesungen – und zwar nicht einfach ein Ständchen, sondern mehrstimmige Stücke. Aber seien Sie unbesorgt: Sie werden mich nicht häufig singen hören.