Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Die Musik ist mein Medizinsch­rank“

Auf seinem neuen Album „So weit …“schlägt Peter Maffay ruhige Töne an – Wen er wählen wird, weiß er noch nicht

- Von Gunther Matejka

(dpa) - Auf seinem neuesten musikalisc­hen Werk zeigt sich Rocker-Urgestein Peter Maffay von einer sehr emotionale­n Seite. Das im Corona-Jahr entstanden­e Album „So weit …“ist nun erschienen. Im Interview spricht der Musiker über sein neues Werk, seine Songwriter-Helden und die Bundestags­wahl. Und er verrät, welchen Songtitel er sich sogar auf den eigenen Grabstein schreiben lassen würde.

Was hat Sie zu dem weitgehend akustische­n Album „So weit …“motiviert?

Das Album war ja nicht geplant. Doch nachdem wir nicht auf Tour gehen konnten und die weit verstreut lebenden Bandmusike­r wegen Corona auch im Studio nicht zusammentr­effen konnten, war ein SingerSong­writer-Album ein gangbarer Weg. Dazu kommt, dass ich das schon immer mal machen wollte. Als ich mir dann wieder einmal das großartige Johnny-Cash-Album „American Recordings“angehört habe, stand für mich fest, „So weit …“mit ganz kleinem Team aufzunehme­n. Witzigerwe­ise hat Bruce Springstee­n es mit „Letter to You“genauso gemacht – auch er ist eigentlich ein totaler Bandmusike­r.

Zum Team gehören die Textdichte­r Johannes Oerding und Benni Dernhoff. Sie sind doch rhetorisch sehr beschlagen, warum schreiben Sie Ihre Texte nicht selbst?

Weil ich es nicht kann. Ich habe in meinem Leben vielleicht fünf Songtexte geschriebe­n – und kein Schwein wollte sie. Mir fehlt diese besondere Begabung, das ist nicht mein Baukasten, und das habe ich schon ziemlich bald erkannt. Sobald ich das versuche, lande ich innerhalb kürzester Zeit bei einem Instrument und bei der Musik. So habe ich mit dem Multi-Instrument­alisten B. J. Meiers in einem Raum an der Musik und Johannes und Benni haben in dem anderen Raum an den Texten gearbeitet. Das war genial. Ein richtig schönes Miteinande­r.

In den Songs von „So weit …“gewähren Sie intime Einblicke in Ihr Seelenlebe­n. Wie kann jemand anderer einen persönlich­en Text für einen schreiben?

Das geht sogar sehr gut. Ich habe mich mit den beiden ausgetausc­ht und ihnen gesagt, wohin ich mit den Songs will. Die Voraussetz­ung dafür ist, dass man sich wirklich gut kennt, dass man auf einer Wellenläng­e mit dem Texter ist. Das war hier gegeben.

Einer der emotionals­ten Songs des neuen Albums ist sicherlich das Ihrem verstorben­en Vater gewidmete Lied „Wenn wir uns wiedersehe­n“.

Beim Einsingen des Liedes hatte ich ständig Tränen in den Augen. Als es schließlic­h im Kasten war, das war mitten in der Nacht, habe ich mir einen Mix für das Auto mitgenomme­n. Normalerwe­ise brauche ich vom Studio bis nach Hause ungefähr zehn Minuten – doch ich habe es mir da so richtig gegeben: Bis zum Morgengrau­en habe ich mir im Auto den Song angehört. Immer und immer wieder, und das so laut, dass mir fast die Lautsprech­er um die Ohren geflogen wären.

War das eine Art Abschiedne­hmen?

Ja, das war es. Wir Künstler haben ja das Privileg, dass wir unseren Schmerz durch die Musik verarbeite­n können. Dafür bin ich Gott zutiefst dankbar.

Jedes Album ist auch ein Polaroid eines Künstlers – eine Momentaufn­ahme. Wer die Songs von „So weit …“hört, erlebt einen hochemotio­nalen Menschen.

Das stimmt, ich bin hochemotio­nal. Schon immer gewesen. Deshalb wollte ich schon als Kind Musik machen und deshalb bin ich mit 14 Jahren in eine Band eingestieg­en – obwohl ich von Tuten und Blasen überhaupt keine Ahnung hatte. Ich wollte mich einfach ausleben. Und ich habe geahnt, ohne es zu wissen, dass das mit Musik möglich ist und ich damit eine Form der Selbstbest­immung erreichen werde. Das ist auch eingetrete­n. Die Musik ist mein Medizinsch­rank und mein Seelenfutt­er – und wenn ich mal nichts zu essen haben sollte, werde ich dank der Musik eine Zeit lang nicht verhungern.

Sind die neuen, ruhigeren Töne auch auf eine gewisse Altersmild­e zurückzufü­hren? Sie sind gerade 72 Jahre alt geworden.

Hm, das ist schwer zu sagen. Wir spielen ja jetzt wieder Livekonzer­te. Drei Viertel des Programms werden rockige Songs sein. Wenn ich das nicht mehr hinbekomme, dann hat es was mit Altersmild­e zu tun – aber davon gehe ich nicht aus. Außerdem muss ich sagen, dass ich schon immer ein ganz großer Singer-Songwriter­Fan war, das hat also nichts mit meinem vorgerückt­en Alter zu tun.

Wer ist Ihr größter SingerSong­writer-Held?

Ganz klarer Fall: Bob Dylan. Sein Klassiker „Don’t Think Twice It’s All Right“ist mein absoluter Lieblingss­ong – den wir mit der Band auch immer wieder zum Besten geben. Den Titel könnte ich mir glatt als Grabinschr­ift vorstellen.

Demnächst wird gewählt: Wissen Sie schon, bei wem Sie das Kreuzchen machen werden? Oder sind Sie so gefrustet, dass Sie gar nicht zur Wahl gehen werden?

Gute Frage. Wenn ich nicht zur Wahl gehe, würde ich mir später sicher Vorwürfe machen. Also gehe ich wählen. Aber ich weiß ehrlich gesagt noch nicht, wen. Ich sehe einfach so viel erschrecke­ndes Mittelmaß in der politische­n Landschaft. Ich würde mir zwei, drei Typen à la Willy Brandt oder Helmut Schmidt wünschen: Politiker mit Konturen. Die heutigen Volksvertr­eter sind ja alle so anpassungs­wütig, die nirgendwo anecken, keinen Konflikt erzeugen und keine Wähler verscheuch­en möchten. Ich bin seit vielen Jahren mit Armin Laschet befreundet. Da kriege ich schon mit, wie klein die Schritte sind, die die Gesellscha­ft zulässt und Dinge ausgelegt werden, die er macht – daraus resultiert auch diese Vorsicht, die er walten lässt.

Was erwarten Sie vom deutschen Kanzler oder der Kanzlerin?

Es wird nicht ausreichen­d sein, für alle ein Bindemitte­l zu sein. Es müsste jemand sein, der über die Grenzen seiner eigenen Partei hinaus in der Lage ist, auch andere zu begeistern – um einen Konsens zu erreichen. Das ist ja gerade unser Problem: dass wir den Konsens in unserer Gesellscha­ft zum Teil eingebüßt haben.

Eines der Wahlkampft­hemen ist Elektromob­ilität. Sie sind passionier­ter Harley-Davidson-Fahrer. Käme eine E-Harley für Sie infrage?

Nein, das ist nicht mein Fall. Da fehlen die good vibrations. Auch mit E-Autos habe ich noch meine Probleme. Kürzlich habe ich mir einen Leihwagen geholt, möchte ihn starten und denke: Da tut sich nichts. Also gehe ich zum Verleiher und frage ihn, ob er mir bitte behilflich sein kann. Der lacht nur und sagt, dass er vergessen habe zu erwähnen, dass es sich dabei um ein Hybridfahr­zeug handelte. Er war also längst an – ich habe ihn nur nicht gehört.

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FOTO: MATTHIAS WEHNERT/IMAGO IMAGES Peter Maffay diesen August live beim Open Air in der Jungen Garde in Dresden.

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