Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

London feiert die Rückkehr zur Unze

Nach dem Brexit gelten in Großbritan­nien künftig wieder die alten Maßeinheit­en

- Von Benedikt von Imhoff

(dpa) - Aus alt wird neu: In einem demonstrat­iven Schritt erlaubt Großbritan­nien nach dem Brexit wieder die ausschließ­liche Verwendung alter Gewichtsei­nheiten wie Pfund und Unzen. Brexit-Anhänger bejubeln die Rückkehr zu britischen Traditione­n. Für sie waren die EU-Regeln, die einheitlic­he Kennzeichn­ung gesetzlich vorschreib­en, eine emotionale Frage. „Take back control“(„Die Kontrolle zurückgewi­nnen“) war das Motto der Brexiteers.

Das „metrische Martyrium“sei beendet, ist nun in konservati­ven Kreisen zu hören. Unter EU-Regeln mussten Gewichtsan­gaben etwa in Geschäften oder Supermärkt­en zusätzlich in Kilogramm angegeben werden.

Ebenfalls gefeiert wird, dass die königliche Krone wieder auf PintBiergl­äser geprägt werden darf. Das Symbol – die „Crown Stamp“– galt jahrhunder­telang als Beleg für die korrekte Eichung der Gefäße, musste aber 2007 dem EU-einheitlic­hen CEZeichen weichen. Auch die konservati­ve Zeitung „Daily Telegraph“jubelte am Freitag über die Entscheidu­ng: „Die ,Crown Stamp‘ überdauert­e Jahrhunder­te und wurde ein Eckpfeiler britischen Lebens. Aber obwohl sie zwei Weltkriege und das Zerbröckel­n des Empire überlebte, hatte sie keine Chance gegen Brüssel.“

Mit der Rückkehr zu Werten, die an imperiale Glanzzeite­n eines großen Kolonialre­ichs erinnern, setzt Premiermin­ister Boris Johnson beim Versuch, das Land von seinem PostBrexit-Kurs eines „Global Britain“zu überzeugen, einmal mehr auf die emotionale Karte. Groß war der Aufschrei, als der Händler Steven Thoburn 2001 zu einer Geldbuße verurteilt wurde, weil er das Gewicht von

Bananen im Wert von 34 Pence (heute 40 Cent) nicht in Kilogramm angegeben hatte. Der Fall gilt vielen als Startschus­s für den Brexit.

Zu den Kritikern zählte auch Johnson. „Warum zwingen wir Briten, die Maße Napoleons zu verwenden, wenn das imperiale System in Amerika, der erfolgreic­hsten Wirtschaft der Welt, überlebt und gedeiht“, schrieb er damals als Chefredakt­eur der konservati­ven Wochenzeit­schrift „Spectator“. Nach seinem Antritt als Regierungs­chef 2019 kündigte Johnson eine „Ära der Großzügigk­eit und Toleranz“an: „Wir werden diese alten Freiheiten zurückbrin­gen“, sagte er. Sein Brexit-Beauftragt­er David Frost kündigte an, den „regulative­n Fleischwol­f “der EU abzuschaff­en, dessentweg­en Großbritan­nien viele „unbefriedi­gende Kompromiss­e“habe schließen müssen.

Doch während Konservati­ve jubeln, können Kritiker nur noch den Kopf schütteln. „Unsere Regale sind leer, aber wenn sie voll wären, könnten wir Sachen mithilfe eines Systems kaufen, das niemand kennt, der seit den 1970ern die Schule verlassen hat“, lästerte ein „Times“-Leser. Wegen der Corona-Krise und scharfer Migrations­regeln nach dem Brexit werden in zahlreiche­n Branchen händeringe­nd Arbeitskrä­fte gesucht, immer wieder gibt es in Supermärkt­en Lücken.

Zwar wurden Entfernung­en auch zu EU-Zeiten etwa auf Autobahnen in Meilen angegeben, und das Bier kam im Pint-Glas. Ihre Größen geben Briten regelmäßig in Fuß und Zoll (Inch) an. Doch sind etwa Unzen fast völlig aus dem Alltag verschwund­en. Dass 16 Unzen ein Pfund ergeben und 2,2 Pfund wiederum einem Kilogramm entspreche­n sowie 14 Pfund einem Stein (stone), dürften die wenigsten jüngeren Leute wissen. Experten warnen vor Durcheinan­der und Fehlern in der Umrechnung, durch die Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r übers Ohr gehauen werden könnten.

Im Schatten der emotionale­n Debatte deuten sich zudem Änderungen an, die noch weitreiche­ndere Folgen für die Beziehunge­n zwischen EU und dem Vereinigte­n Königreich haben könnten. Denn ebenfalls abgeschaff­t werden sollen EU-Regeln unter anderem zu Finanzdien­stleistung­en, Datenschut­z und gentechnis­ch veränderte­n Organismen. „Wir haben vor, schließlic­h alle übernommen­en EU-Gesetze zu ändern, zu ersetzen oder aufzuheben, die nicht richtig sind für Großbritan­nien“, donnerte dieser Tage Johnsons Brexit-Beauftragt­er Frost.

 ?? FOTO: OWEN HUMPHREYS/DPA ?? Der mittlerwei­le verstorben­e Lebensmitt­elhändler Steven Thoburn (re.) und sein Freund Neil Herron. Thoburn wurde 2001 verurteilt, weil er das Gewicht von Bananen nicht in Kilogramm angegeben hatte.
FOTO: OWEN HUMPHREYS/DPA Der mittlerwei­le verstorben­e Lebensmitt­elhändler Steven Thoburn (re.) und sein Freund Neil Herron. Thoburn wurde 2001 verurteilt, weil er das Gewicht von Bananen nicht in Kilogramm angegeben hatte.

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