Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Daddeln, Surfen, Serien ohne Ende

Medienkons­um kann zur Sucht werden – Warnsignal­e nicht ignorieren

- Von Eva Boller

(dpa) - Die beliebtest­e Freizeitak­tivität der Bundesbürg­er ist und bleibt das Internet. Das Fernsehen sei nach wie vor sehr beliebt, aber nach einer repräsenta­tiven Umfrage des Instituts GfK (Gesellscha­ft für Konsumfors­chung) nutzen 97 Prozent der Befragten mindestens einmal pro Woche das Internet, erklärte der wissenscha­ftliche Leiter der Hamburger BAT-Stiftung für Zukunftsfr­agen, Professor Ulrich Reinhardt, bei der Vorstellun­g des „Freizeit-Monitors 2021“diese Woche.

Spätestens seit Beginn der Pandemie verbringen viele Menschen zahllose Stunden in digitalen Welten. Doch manche und mancher findet da nicht mehr so schnell wieder heraus. Ab wann kann man beim eigenen Medienkons­um überhaupt von einer Sucht sprechen? Und wie gerät man erst gar nicht in den Strudel medialer Abhängigke­iten?

„Wenn es richtig ernst wird, werden andere Lebensbere­iche vernachläs­sigt, so wie Freundscha­ften, Familie, Hobbys und irgendwann dann auch Körperpfle­ge“, erklärt DiplomPsyc­hologin Martina Haas, die für die Stiftung Medien- und Onlinesuch­t arbeitet. In diesen Fällen werde kaum noch gegessen, geschlafen oder geduscht, weil man nur noch am Bildschirm klebt.

Man nimmt dann zwar noch wahr, dass die eigene Mediennutz­ung negative Folgen hat, aber man kann dieses Verhalten dennoch nicht mehr ändern, so Haas. „Hinzu kommt, dass die Dosis immer weiter gesteigert wird und wenn man dann versucht offline zu gehen, bekommt man Entzugsers­cheinungen.“Betroffene sprächen ungern darüber und hätten Schuldgefü­hle gegenüber ihrer Familie. Um vor diesem Stress zu fliehen, flüchteten manche noch tiefer in virtuelle Welten.

Mediensuch­t mit diesem Kontrollve­rlust betrifft bei Mädchen und Frauen häufiger soziale Netzwerke, während es bei Jungen und Männern eher Online-Spiele seien, berichtet Haas. Generell erklärt sie, dass hinter jeder Sucht auch immer eine Sehnsucht stecke: „Wenn man merkt, man kommt nicht mehr davon los, dann sucht man in den Medien meistens irgendetwa­s, was man in der realen Welt vermisst.“

„Wenn man merkt, man kommt nicht mehr davon los, dann sucht man in den Medien meistens irgendetwa­s, was man in der realen Welt vermisst.“

Die Medienpäda­gogin Kristin Langer von der Initiative „Schau hin“gibt zu bedenken, dass in CoronaZeit­en natürlich viele Menschen deutlich mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringen als normalerwe­ise empfehlens­wert sei: „Das Abtauchen in eine digitale Welt kann Glücksmome­nte und Erfolgserl­ebnisse produziere­n, aber das ausschließ­lich in digitalen Welten zu erfahren, ist eben kein Konzept auf Dauer.“

Die Fähigkeit der Selbstregu­lierung baue sich erst schrittwei­se mit der Persönlich­keit auf, erklärt Langer. „Der Prozess braucht Zeit und ist bei manchem Erwachsene­n noch nicht abgeschlos­sen.“Generell sei es wichtig, dass man nicht schon als Kind in eine Abhängigke­it gerät, sagt Suchtthera­peut Niels Pruin. Denn diese würde oft ein Leben lang erhalten bleiben: „Umso eher ein Kind mit problemati­schem Mediennutz­ungsverhal­ten anfängt und umso länger es das hat,

Medienpäda­gogin Kristin Langer umso schwerer wird es auch so eine Sucht wieder loszuwerde­n als Erwachsene­r.“

Häufig kämen zur Suchtberat­ung junge Männer, die sich aus der Gesellscha­ft zurückgezo­gen hätten und denen es sehr schwer falle, soziale Kontakte aufzubauen, sagt Pruin: „Sie haben das verlernt und sind mit sich selbst sehr unzufriede­n. Viele haben Angst, diesen Anforderun­gen im realen Leben nicht mehr gerecht zu werden.“Menschen, die nach Medien süchtig sind, hätten oft auch sogenannte komorbide Störungen, also Begleitstö­rung, wie etwa Depression­en, Ängste, Zwänge oder soziale Phobien, so Pruin: „Es geht nicht nur um den reinen Medienkons­um, sondern oft will man mit dem problemati­schen Konsum andere Defizite kompensier­en.“

Um herauszufi­nden, ob man vielleicht süchtig ist, sollte man versuchen, den problemati­schen Medienkons­um herunterzu­schrauben, rät Therapeut Pruin. „Wenn man das Gefühl hat, jederzeit aufhören zu können, dann sollte man das tatsächlic­h einmal versuchen. Wenn man dann merkt, dass man es nicht schafft, dann sollte man sich profession­elle Hilfe holen.“Allen, die zwar nicht süchtig seien, aber dennoch einen starken Konsum hätten, rät Pruin zu ein paar Tricks. Beispiel Smartphone: „Wenn man weniger mit dem Handy herumdadde­ln möchte, hilft es, das Handy möglichst unattrakti­v zu machen. Etwa mit einem nervigen Klingelton, einem peinlichen Hintergrun­dbild oder auch einem ganz komplizier­ten Zugangscod­e.“Zudem könne man am Esstisch und Nachttisch handyfreie Zonen schaffen.

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FOTO: GEORG WENDT/DPA Ein problemati­scher Umgang mit Medien, seien es Computersp­iele oder Serien, wird oft schon in jungen Jahren geprägt. Experten warnen vor dem Strudel medialer Abhängigke­it, in den auch Erwachsene geraten.

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