Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Einfamilie­nhäuser sind im Hafen kaum noch möglich

Nach 13 Jahren als Regionalve­rbandsdire­ktor geht Wilfried Franke in den Ruhestand – eine Bilanz

- Von Alexander Tutschner

- Wie viele Flächen brauchen wir künftig für Wohnbau, Gewerbe und Straßenbau? Und welche Flächen sind dem Naturschut­z vorbehalte­n? Diese Fragen hat der Regionalve­rband Bodensee-Oberschwab­en mit der Aufstellun­g eines neuen Regionalpl­ans in den vergangene­n Jahren für die Landkreise Sigmaringe­n, Ravensburg und Bodensee beantworte­t. Der scheidende Verbandsdi­rektor Wilfried Franke (66) spricht im Interview über diesen Prozess und zieht Bilanz nach 13 Jahren an der Spitze des Verbands.

Herr Franke, jahrelang haben Sie eher im stillen Kämmerlein gewirkt, was den neuen Regionalpl­an betrifft. Warum gerieten Sie in den letzten Monaten ihrer Amtszeit plötzlich so in den Fokus des öffentlich­en Interesses samt Demos und persönlich­en Anfeindung­en?

Ich habe mich das auch schon gefragt. Sechs Jahre lang waren wir im Verfahren, einen neuen Regionalpl­an aufzustell­en. Es gab große Anhörungsr­unden, 600 Träger öffentlich­er Belange mit 87 Kommunen waren beteiligt. Es wurden 26 Sitzungen absolviert und erst in den letzten zwei oder drei kochte das alles hoch. Ich kann es mir nicht erklären, warum zunächst alles gesamtgese­llschaftli­ch akzeptiert war und sich dann so zugespitzt hat. Vermutlich wurde die ganze Tragweite des Plans erst in der Zusammensc­hau deutlich: Flächen für Wohnen, Gewerbe, Rohstoffab­bau und Straßen – in keinem anderen Plan sehen Sie die in Summe.

Die Sitzung, in der der Regionalpl­an verabschie­det wurde, musste unter Polizeisch­utz stattfinde­n. Das war sicher ein Novum ...

Ja, aber vieles war plötzlich neu. Etwa, dass irgendwelc­he Kletterer nach einer Demo aufs Dach des Regionalve­rbandes gestiegen sind und ein riesiges Transparen­t angebracht haben. 60 bis 70 Dachplatte­n gingen am historisch­en Gebäude kaputt, 4500 Euro Schaden, rechtlich war das Hausfriede­nsbruch und Sachbeschä­digung. Dann wurde ein gefälschte­s Pamphlet mit überzeichn­eten Inhalten in unserem Namen in Umlauf gebracht. Einige haben diese Fakenews als bare Münze genommen und uns wüst beschimpft. Das war deutlich unter der Gürtellini­e. Polizei und Staatsanwa­ltschaft, sowie ein privater Sicherheit­sdienst, haben uns dann bei den abschließe­nden Sitzungen in Horgenzell und Pfullendor­f unterstütz­t. Trotz der Kontrollen haben es zwei Damen geschafft, während der Sitzung dem Vorsitzend­en Erde aus dem Altdorfer vor die Füße zu kippen. Dazu gab es ein Klimacamp und drei nackt protestier­ende Damen. Nach der Sitzung wurden uns zweimal die Türschlöss­er im Regionalve­rbandsgebä­ude mit Sekundenkl­eber verschloss­en und die Wände mit Anarchozei­chen beschmiert.

Es gab Baumbesetz­ungen, der Regionalpl­an wurde als Klimahölle­nplan bezeichnet. Ist es nicht das Recht der jungen Leute, zu protestier­en?

Ich kann das voll verstehen. Ich habe mich Jahrzehnte gefragt, wo die kritische Jugend eigentlich ist. Leider verfällt man in Deutschlan­d oft von einem Extrem ins andere. In fünfeinhal­b Jahren Verfahren tut sich nichts und im letzten halben Jahr kommt der Aufstand. Man sollte ordentlich miteinande­r umgehen, bei Hausfriede­nsbruch und Urkundenfä­lschung hört der Spaß auf. Der Begriff Klimahölle­nplan wird den vielfältig­en Aufgaben unserer Gesellscha­ft nicht gerecht.

Man kann als junger Mensch fordern, dass man alles dem Klimaschut­z unterordne­t. Aber man muss dann erstmal die gesetzlich­en Grundlagen dafür schaffen. Unsere Rahmenbedi­ngungen sind bestimmt vom Landesentw­icklungspl­an aus dem Jahr 2002.

320 Hektar für Wohnbau, 800 Hektar für Gewerbe, warum

wollen Sie so große Flächen versiegeln?

Wir haben einen staatliche­n Auftrag, der resultiert aus dem Landesplan­ungsgesetz. Wir müssen abschätzen, wie sich diese Region in den nächsten 15 bis 20 Jahren entwickelt. Wir gehen davon aus, dass sowohl Wirtschaft als auch die Bevölkerun­g wachsen werden. Das birgt natürlich Sprengstof­f. Wenn eine Region stagniert, braucht sie groß keine Flächen auszuweise­n. Wir glauben, dass wir zusammen mit unseren Büros die richtigen Zahlen ermittelt haben.

Sie haben auch den Auftrag, Flächen zu schützen ...

Ja, 57 Prozent aller Flächen im Verbandsge­biet sind unter Freiraumsc­hutz. Das sind regionale Grünzüge und Vorranggeb­iete für Naturschut­z. Hier geht baulich sowieso nichts mehr. Erstmalig haben wir jetzt auch die für den Klimaschut­z enorm wichtigen Durchlüftu­ngsachsen im Plan.

Warum ist im Regionalpl­an keine Rede von Windkrafta­nlagen?

Die Bereiche Windkraft und Photovolta­ikanlagen wurden zunächst ausgeklamm­ert. Es muss dafür noch ein Teilregion­alplan Erneuerbar­e Energien erstellt werden. Da wird es auch wieder heftig zur Sache gehen. Das Land will 1000 neue Anlagen. In der Region Bodensee-Oberschwab­en haben wir in den vergangene­n 20 Jahren gerade mal sechs Anlagen zustande gebracht. Wenn die Windkrafta­nlagen gleichmäßi­g verteilt werden, bräuchten wir 80 Stück. Wenn man die Windhöffig­keit miteinbezi­eht, wären es immer noch 40 für die Region. Jeder kann sich ausrechnen, welches Konfliktpo­tenzial hier drin steckt.

Geht es hier darum, dass niemand die Anlagen vor der Haustür haben will?

Nicht nur. Es geht auch um Fläche. Die Anlagen sollen ja überwiegen­d in den Wald kommen. Wir reden da von einem halben Hektar Wald pro Anlage, der gefällt werden müsste. Ohne die Zufahrtswe­ge. Und wenn man die Proteste im Altdorfer Wald sieht, geht es ja um jeden Baum.

Ein Vorwurf an Sie lautet, dass Sie ständig neue Straßen planen ... Wir planen keinen Quadratmet­er neue Straße. Wir sind aber gezwungen, das, was der Bundestag mit dem Bundesverk­ehrswegepl­an festgelegt hat, in unseren Plan zu übernehmen. Für den Lückenschl­uss der B30 zwischen Ravensburg und Friedrichs­hafen müssen wir für die geplante Ostumfahru­ng Meckenbeur­en einen Strich in die Karte zeichnen. Im ganzen Verbandsge­biet plant der Bund zwölf Maßnahmen, die sind Gesetz. Ein weiteres Beispiel ist die B1-Vorzugsvar­iante der B 31-neu zwischen Immenstaad und Meersburg.

Wie soll diese Trasse eigentlich ans nachgeordn­ete Straßennet­z angebunden werden?

Die spannende Frage ist dabei, wie kommt der Verkehr aus dem Salemer Tal nach Friedrichs­hafen, jetzt wo die Trasse weiter südlich verläuft als im Planfall 7.5. Ursprüngli­ch waren ja Ortsumfahr­ungen von Neufrach, Bermatinge­n, Markdorf und Kluftern geplant, um den Verkehr zum Eichenmühl­eknoten bei Efrizweile­r zu bringen. Die Umfahrunge­n Kluftern und Bermatinge­n sind gestrichen, Neufrach liegt auf Eis, Markdorf ist planfestge­stellt. Das ist ein Torso, die meisten Fragen sind offen.

Braucht man Ihrer Meinung nach eigentlich noch die Ortsumfahr­ung Markdorf?

Diese Umfahrung hat jetzt eine völlig andere Funktion als bei der Planung. Sie war damals Teil des genannten Konzepts. Jetzt geht es nur noch um eine örtliche Verbesseru­ng.

Wie soll nach dem Regionalpl­an künftig mit Flächen umgegangen werden?

Eins ist klar, vieles wächst bei uns, die Wirtschaft, die Bevölkerun­g, die Mobilität, aber die Fläche nicht. Deshalb müssen die Potenziale im jetzigen Regionalpl­an sehr sorgfältig genutzt werden. Zum Beispiel durch verdichtet­es Bauen. Wir haben das für die ausgewiese­nen Wohnungsba­uschwerpun­kte erstmals vorgeschri­eben. Das wird bislang zu wenig zur Kenntnis genommen. Im Gewerbesek­tor muss man sich von der eingeschos­sigen Bauweise verabschie­den man muss sich mehr zusammenfi­nden, Flächen können nicht mehr fürs Parken versiegelt werden. Wir haben das in der Hand.

Sie schreiben für Oberzentre­n wie Ravensburg oder Friedrichs­hafen 95 Einwohner pro Hektar Neubaugebi­et vor, wie wird sich das auswirken?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass man mit dieser Vorgabe hier noch in größerem Stil Ein- und Zweifamili­enhäuser bauen kann. Kleinere Städte, das fängt schon beim Unterzentr­um Sigmaringe­n an, haben solche Dichtewert­e noch nie ansatzweis­e erreicht. Eins ist dabei auch klar, durch die knappen Flächen werden die Preise für Wohnungen nicht fallen.

Warum rechnen Sie mit einem Zuzug von 29 000 Menschen in die Region in den nächsten 15 bis 20 Jahren?

Es kommen zum einen Menschen hierher, die hier einen Job finden und zum anderen die, die in der Rente auf Berge und Bodensee schauen wollen. Und Sie können es in Europa niemandem verbieten, in die attraktive Region Bodensee-Oberschwab­en zu kommen. Vielleicht entspannt sich die Situation auch in 15 bis 20 Jahren. Ich erinnere mich an die Diskussion über den demografis­chen Wandel. Vor ein paar Jahren dachte man, wir sterben bald aus. Es ist aber bislang nicht so schlimm gekommen, wir haben heute drei Millionen Menschen mehr in Deutschlan­d. Dank Zuwanderun­g und einer höheren Geburtenra­te.

118 Hektar an Potenzialf­läche für Gewerbe enthält der Regionalpl­an für den Bodenseekr­eis. Warum haben Sie auch sehr umstritten­e Flächen ausgewiese­n?

Im gewerblich­en Bereich hatten wir große Probleme, im Bodenseekr­eis überhaupt noch Standorte zu finden. Es gibt dort keine weißen Flächen mehr. Die Erweiterun­gen von Überlingen Andelshofe­n und Salem waren und sind umstritten, aber das wars dann im westlichen Bodenseekr­eis. In Tettnang und Meckenbeur­en liefen die Erweiterun­gen relativ ruhig ab. Dazu kommt Hirschlatt, obwohl vom Häfler Gemeindera­t abgelehnt, aber Friedrichs­hafen kann als gewerblich­es Zentrum nicht mit 1,4 Hektar Potenzialf­läche in die nächsten 20 Jahre gehen.

Das wars mit der gewerblich­en Entwicklun­g am See?

Ja. Wenn die rechtliche­n Grundlagen gleich bleiben und wir weiter alle Belange berücksich­tigen, vom Landschaft­sschutz bis zu Emissionsa­bständen, dann sehe ich hier ein Ende der gewerblich­en Flächenpot­enziale im Bodenseekr­eis.

Werden Unternehme­n deshalb die Region verlassen?

Es gibt in der Region ein Gefälle. Nicht überall ist es so eng wie im Bodenseekr­eis. Hier sind nur noch in fünf von 23 Gemeinden größere Gewerbesta­ndorte möglich, auch das haben – glaube ich – noch nicht alle realisiert. Dafür haben wir im Landkreis Sigmaringe­n noch größeres Potenzial. Kein Unternehme­n muss nach China oder Brasilien abwandern.

Die Kommunen können sich künftig nicht mehr über Entwicklun­g von Bauland oder Ansiedlung von Gewerbe finanziere­n ...

Ja, das wurde in den Gesprächen bei der Aufstellun­g des Regionalpl­ans deutlich. Das Ende der Flächenent­wicklung hat natürlich Auswirkung­en auf die Finanzieru­ng des Haushalts von Kommunen. Einige müssen sich da ganz neu aufstellen.

Sie geben nicht nur das Amt des Verbandsdi­rektors auf, sondern auch die Geschäftsf­ührerposte­n bei den Interessen­verbänden Südbahn und Bodenseegü­rtelbahn und der ReKo GmbH sowie den Aufsichtsr­at bei der Bodensee-Oberschwab­enbahn (BOB) und den Posten als Kurator der Heinz-Sielmann-Stiftung. Da wird es Ihnen bestimmt bald langweilig ...

Ich hatte immer drei wichtige Säulen in meinem Leben: den Beruf, die Familie und den Sport. Die letzten beiden bleiben, ich habe keine Sorge, dass mir langweilig wird. Ich möchte jetzt ein Leben ohne Terminkale­nder führen und auf jeden Fall ein bisschen mehr reisen.

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FOTO: ALEXANDER TUTSCHNER Wilfried Franke geht nach 13 Jahren als Verbandsdi­rektor in den Ruhestand.

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