Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Tempolimit, E-Auto, Radwegeausbau
Die Verkehrspolitik will die Mobilität der Zukunft grundlegend verändern – Was das für Pendler bedeuten könnte
- Städte voller Autos, schleppender Ausbau der Schiene, gefährliches Radfahren: Es ist kein Wunder, dass der Verkehr zu den größten Klimasündern Deutschlands gehört. In keinem anderen politischen Bereich ist das Umsteuern so notwendig wie hier. Die Mobilität wird sich drastisch ändern müssen. Darin sind sich alle Parteien, die vermutlich wieder in den Bundestag einziehen werden, einig – mit Ausnahme der AfD. Die Konzepte unterscheiden sich darin, wie der Verkehr umgestaltet werden soll. Am Beispiel des Pendlers Klaus Müller wird klar, wie sich die Programme der Parteien unterscheiden und wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte.
33 Kilometer hin und zurück muss der Erzieher Klaus Müller täglich von Backnang nach Stuttgart pendeln. Er fährt die Strecke mit seinem Benziner. 40 Minuten braucht er dafür. Mit dem Zug ist er ein bisschen schneller, doch mit dem Auto ist es für Müller bequemer. Bald, ist er sich sicher, wird er aber auf die Bahn umsteigen müssen. Das hat mit den steigenden Benzinpreisen zu tun.
Sprit wird in den kommenden Jahren teurer werden. Das hat mit der steigenden CO2-Abgabe zu tun. Die Grünen rechnen mit mindestens 16 Cent je Liter. Sie wollen die steigenden Kosten durch ein Energiegeld, das jährlich pro Kopf gezahlt wird, ausgleichen. CSU-Chef Markus Söder hat eine Erhöhung der Pendlerpauschale um einen Cent je Kilometer vorgeschlagen. Sein Parteifreund und Noch-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will eine Spritpreisbremse von zwei Euro je Liter an durchsetzen. Bei einem Spritpreis von zwei Euro zahlt Müller mit seinem VW-Passat allein fürs Pendeln rund zehn Euro pro Tag, mit der Bahn würde er bei den derzeitigen Monatsticketpreisen in etwa die Hälfte täglich zahlen.
Der Familienvater überlegt, sich ein E-Auto anzuschaffen.
Derzeit ist die Ladesäuleninfrastruktur aber zu spärlich ausgebaut, und bei einem Preis von rund 35 000
Euro für einen VW ID.3 (staatliche Prämie von
9000 Euro bereits eingerechnet) kann sich der Erzieher kein neues Auto leisten. Wenn es nach Union und FDP geht, muss es auch kein Elektroauto sein, das sich Müller als Nächstes kauft. Die Parteien setzen auf Technologieoffenheit. Sie wollen, dass auch Autos, die synthetische Kraftstoffe verbrennen, auf deutschen Straßen fahren. Derzeit sind diese Technologien aber sehr teuer. Deshalb setzen SPD,
Grüne und Linke für den Autobereich voll auf Elektromobilität. Die AfD hält nichts von E-Autos. Sie will den Verbrennungsmotor in der jetzigen Form erhalten.
Müller hofft, dass bald ein Gebrauchtwagenmarkt für EAutos entsteht, um so kostengünstiger an ein Auto zu kommen. Für ihn bedeutet das Auto Freiheit. Dazu zählt er auch das Recht, mit einer Geschwindigkeit von 150 Kilometern in der Stunde über die Autobahn zu fahren. Er liegt damit auf einer Linie mit Union, FDP und AfD. Die Parteien lehnen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab. Die SPD und Grünen hingegen wollen aus Sicherheits- und Umweltgründen eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 Kilometern in der Stunde, die Linken sprechen sich sogar für 120 Kilometer in der
Stunde aus. Die Automobilindustrie lehnt ein Limit ab, ist sich aber sicher: Eine Beschränkung wird es mit Elektroautos, die zunehmend autonom unterwegs sein werden, automatisch geben. Die Reichweite der E-Pkw lässt nämlich rapide nach, wenn man mit mehr als 130 Kilometern pro Stunde über die Autobahn flitzt.
Für den Übergang vom Verbrennungsmotor zum E-Auto ist Müller auf den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) angewiesen. Wenn er mit dem Zug nach Stuttgart reinfährt, muss er mit der U-Bahn weiter. Klar fände er es toll, wenn er gratis fahren könnte. Dafür setzen sich die Linken ein. Die Sozialdemokraten befürworten ein 365-Euro-Ticket. Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) warnt allerdings, dass ein kostenloser ÖPNV die Staatskasse immens belasten würde. Die Einnahmen durch Ticketverkäufe müssten vom Steuerzahler erbracht werden – das wären rund 13
Milliarden Euro jährlich. Selbst ein 365-Euro-Ticket sei nicht umsetzbar. Allerdings will Baden-Württemberg genau das für Jugendliche einführen. Sie sollen sich für 365 Euro mit dem ÖPNV frei im Land bewegen können. Die FDP setzt auf neue Mobilitätsdienste wie Ridepooling. Sie will den Markt für Taxis, Mietwagen und Fernbusse weiter öffnen.
Im Sommer ist Klaus Müller lieber mit dem Rad als der U-Bahn unterwegs. In der Stadt fehlt es aber an sicheren Radwegen, auf dem Land müssen Schnellradwege erst gebaut werden. Mittlerweile ist der Radverkehr allen Parteien außer der AfD wichtig – das war 2017 anders. Besonders die Grünen wollen den Radverkehr pushen. Jüngst haben sie vorgeschlagen, den Kauf von Lastenrädern mit 1000 Euro zu subventionieren. Klar ist aber auch: Der Einfluss der Bundesregierung ist beschränkt. Für Busse, Bahnen und den Radwegeausbau sind Bundesländer und Kommunen zuständig. Der Bund kann den Rahmen allerdings abstecken.
Wenn Müller seinen Neffen in Berlin besuchen will, fährt er lieber Auto als Bahn. Der Grund: Wenn er mal einen Zug wegen einer Verspätung verpasst, muss er bis zu einer Stunde auf die nächste Möglichkeit warten. Mithilfe des Deutschlandtakts soll damit bald Schluss sein. Darin sind sich alle Parteien einig. Damit ist ein Halbstunden-Takt möglich. Bis es dazu jedoch kommt, vergehen viele Jahre. Um mehr Tempo reinzubringen und für mehr Konkurrenz zu sorgen, wollen die Grünen die Investitionen in das Schienennetz erhöhen und Netz und Betrieb der Bahn aufteilen. Auch die FDP sympathisiert mit dieser Idee.
Für Klaus Müller ist klar: Seine Mobilität wird sich verändern. Da die Pläne der Politik aber langfristig ausgerichtet sind, wird er sich vermutlich weniger schnell umstellen müssen, als er zunächst befürchtete.