Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Die Welt redet über das Thema wie noch nie zuvor“

Der Agrar- und Entwicklun­gsexperte Joachim von Braun über den bevorstehe­nden UN-Gipfel und den Kampf gegen Hunger

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(KNA) - Am 23. September findet in New York im Rahmen der UN-Vollversam­mlung ein Gipfel statt, der den Kampf gegen den Hunger auf eine neue Basis stellen soll. Im Gespräch mit der Katholisch­en Nachrichte­n-Agentur erklärt der Leiter des wissenscha­ftlichen Beratungsg­remiums für den UN-Gipfel, der Bonner Agrar- und Entwicklun­gsexperte Joachim von Braun (71), was das Besondere an dieser Veranstalt­ung ist – und warum er weiter Hoffnung hat, dass ein Ende des Hungers in der Welt bis 2030 möglich ist.

Herr Professor von Braun, was verbirgt sich hinter dem UN-Gipfel mit dem etwas sperrigen Titel „Food Systems Summit“?

UN-Generalsek­retär António Guterres hat vor zwei Jahren einen Welternähr­ungsgipfel anberaumt, eine Konferenz aller Staatschef­s rund um die Welt. Grund ist, dass wir erstens in den vergangene­n fünf Jahren keinen Fortschrit­t bei der Hungerbekä­mpfung sehen und zweitens eine verstärkte Belastung der Umwelt durch das Ernährungs­system beobachten, vor allem von Böden, Klima und Wasser. Das sind gerade angesichts der Corona-Krise hochpoliti­sche Fragen.

Es geht also um den Kampf gegen Hunger.

Ja, aber auch um die Förderung naturbasie­rter Produktion; das ist das zweite große Thema. Das dritte ist, gerechte Lebensgrun­dlagen zu schaffen, menschenwü­rdige Arbeit zu fördern, Kinderarbe­it zu überwinden, die ja gerade in der Landwirtsc­haft verbreitet ist, und schließlic­h viertens das Ernährungs­system insbesonde­re in Sachen Klima und Corona widerstand­sfähiger zu machen; Stichwort „Resilienz“.

Bis 2030 will die Weltgemein­schaft den Hunger besiegen. Wo stehen wir aktuell?

Wir haben derzeit ungefähr 768 Millionen hungernde Menschen, diese Zahl ist noch mal hochgegang­en um circa 118 Millionen, unter anderem wegen Corona, weil die Lebensmitt­elsysteme durch die Viruskrise geschwächt worden sind und weil viele Menschen ihre Arbeitsplä­tze zumindest temporär verloren haben und deswegen Kaufkraft weggebroch­en ist. Armut hat zugenommen und deshalb hat Hunger zugenommen. Zudem können sich drei Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten. Es braucht mehr Geld und neue Allianzen, um bis 2030 einem Ende von Hunger nahezukomm­en. Das ist möglich, aber nicht ohne die Verdoppelu­ng der Anstrengun­gen.

Was liegt in New York auf dem Tisch?

Am 23. September wird der UN-Generalsek­retär eine Stellungna­hme vorlegen. Es werden dann nicht nur Staatschef­s sprechen, sondern in den ersten zwei Stunden Wissenscha­ftler, dazu Vertreter aus Wirtschaft und Zivilgesel­lschaft. Das Spannende an diesem Gipfel ist: Er hat erstmals die Wissenscha­ftler weltweit zu Zehntausen­den mobilisier­t. Und die indigenen Völker, mit denen wir uns als Wissenscha­ftler zusammenge­bracht haben, denn deren traditione­lles Erfahrungs­wissen ist relevant.

Welche Botschaft wird denn der UN-Generalsek­retär im Gepäck haben?

Er wird aller Voraussich­t nach nicht nur ansprechen, was passieren muss, um den Hunger zu überwinden und das Ernährungs­system nachhaltig­er und klimafreun­dlicher umzubauen, sondern auch, wie all das umgesetzt werden muss.

Dazu wird auch die Frage der Finanzieru­ng gehören.

Dieser Gipfel ist keine Pledging Session, also keine Veranstalt­ung, in der die Länder mit Geldangebo­ten konkurrier­en.

Sondern?

Ziel ist ein groß angelegter Politikwan­del, der das ganze Ernährungs­system in den Blick nimmt. Was die Finanzieru­ng anbelangt, schweben drei Themen über dem Gipfel. Das erste ist: einen Fonds für die Hungernden zu schaffen. Das hat übrigens auch schon Papst Franziskus gefordert. Zweitens: in den Ländern selbst die Bereitscha­ft zu Innovation­en zu verstärken. Dafür sollte in den Staatshaus­halten mindestens ein Prozent des agrarische­n Produkts für Forschung bereitsteh­en. Ohne Innovation werden wir Produktivi­tät, Nachhaltig­keit und das Problem der Nach-Ernte-Verluste etwa durch unsachgemä­ße Lagerung von Lebensmitt­eln nicht in den Griff bekommen.

Und das dritte Thema?

… ist eine Innovation in der Finanzieru­ng in Form sogenannte­r Food Bonds. Das sind Anleihen, die die Länder zur Finanzieru­ng der großen Aufgaben im Ernährungs­system auflegen können. Diese Finanzieru­ngsmechani­smen sollen unterlegt werden durch Garantien der Weltfinanz­organisati­onen, also von Weltwährun­gsfonds, Weltbank und anderen.

Sie sind Präsident der Päpstliche­n Akademie der Wissenscha­ften. Wissen Sie, ob sich auch Papst Franziskus beim Gipfel zu Wort melden wird?

Ob sich der Papst zu einem Statement in New York bereitfind­et, weiß ich im Moment noch nicht. Aber wir hatten ja Vorkonfere­nzen, und der Vatikan insgesamt hat sich mit großem Engagement in das Hunger-, Ernährungs­und Verschwend­ungsthema eingebrach­t. Das hat auch gewirkt.

Was kommt danach?

Nach dem Gipfel ist vor dem Gipfel – nicht nur im Ernährungs­bereich. Wir sind dann vor dem Klimagipfe­l in Glasgow und vor dem Biodiversi­tätsgipfel in China. Wir müssen den Bereich der Ernährungs­systeme für die kommenden zehn Jahre dauerhaft mit diesen Themen vernetzt positionie­ren, um durch Anstrengun­gen von Politik, Wirtschaft und Gesellscha­ft aus der Hungerkris­e herauszuko­mmen. Entscheide­nd ist, dass auf dem Gipfel nicht nur Lippenbeke­nntnisse kommen, sondern Umsetzungs­pläne für die Länder in Gang kommen, die durch Finanzieru­ngsmechani­smen gestützt werden.

Wird das irgendwer überprüfen?

Es wird ein ernsthafte­s Follow-up geben, das ist sicher! Geplant ist, dass wir alle zwei Jahre schauen, was bislang passiert ist. Schon in den vergangene­n eineinhalb Jahren hat es mehr als 800 Dialogvera­nstaltunge­n in über 140 Ländern gegeben.

Was sagt uns das?

Die Welt redet über das Thema wie noch nie zuvor und legt Aktionspro­gramme mit Investitio­nen auf. Die Welt wird ruhelos bleiben, bis wir das Problem von Hunger und Fehlernähr­ung überwunden haben.

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FOTO: IMAGO IMAGES In Brasilien wird der Amazonas-Regenwald abgeholzt, um Flächen für die Vieh- und Sojaproduk­tion zu schaffen.

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