Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Klimaschut­z, Digitalisi­erung und Wohlstand

- Von Ronja Straub

Fast drei Millionen junge Menschen dürfen bei der Bundestags­wahl zum ersten Mal wählen. Was erhoffen sie sich von der Politik?

Wir haben fünf junge Menschen aus der Region gefragt

- Angela Merkel (CDU) ist für sie die ewige Kanzlerin: Knapp drei Millionen Erstwähler­innen und Erstwähler in Deutschlan­d, davon knapp 400 000 in BadenWürtt­emberg, machen im September zum ersten Mal bei einer Bundestags­wahl ihr Kreuzchen. Sie sind aber nicht nur Merkel an der Spitze gewohnt, sondern auch die erste Generation, die ein Leben ohne Internet und Smartphone gar nicht kennt. Gleichzeit­ig sind sie in einer Zeit der Umbrüche aufgewachs­en: Finanzund Wirtschaft­skrise, Terroransc­hläge, Debatten über Migration, die globale Klimakrise und die Corona-Pandemie. Welche Erwartunge­n und Forderunge­n hat die Generation an die Politik?

Die Erstwähler­innen und Erstwähler Jurek Lang aus Ulm, Joshua Bernhart aus Ravensburg, Eva Städele aus Weingarten, Rico Finkbeiner aus Biberach und Alice Swoboda aus Eriskirch haben klare Vorstellun­gen davon, wie eine neue Bundesregi­erung sein soll. Politik ist ihnen nicht egal. Im Gegenteil: Sie engagieren sich im Jugendparl­ament, im Schülerrat oder bei Fridays for Future. Und sie sagen ganz klar: Die Jugend ist politisch. Sie wünschen sich mehr junge Politikeri­nnen und Politiker in den Parlamente­n, mehr Klimaschut­z in den Wahlprogra­mmen, bezahlbare­n Wohnraum und mehr Investitio­n in Digitalisi­erung und Innovation. Es zeigt sich: Ihnen geht es um Themen, weniger um Personen oder Parteien.

„Die Jugend hat Lust auf Politik“, sagt Jurek Lang. Der 18-jährige Ulmer ist seit einem Jahr Mitglied im Jugendparl­ament und vertritt in seinem Amt die Interessen der Jugendlich­en bei der Stadt. Politisier­t hat er sich in den vergangene­n zwei Jahren, sagt er. Er wählte bei der Gemeindera­tswahl und Landtagswa­hl, er hat Demonstrat­ionen mitorganis­iert und sich mit anderen ausgetausc­ht, gerade macht er ein Freiwillig­es Soziales Jahr bei der Stadt. „Wir müssen zeigen, dass wir da sind und uns beteiligen“, sagt Lang.

Dass die Politikver­drossenhei­t bei Jugendlich­en der Vergangenh­eit angehört, zeigen auch Studien. Laut der Shell-Jugendstud­ie ist seit 2002 das politische Interesse beinahe stetig gestiegen und erreichte 2015 einen Höchstwert. Damals gaben 43 Prozent der befragten Jugendlich­en an, politisch interessie­rt zu sein. 2019 waren es 41 Prozent.

Zwei Bereiche sind es, die Jurek Lang besonders wichtig sind: Digitalisi­erung an den Schulen und radikale Veränderun­gen für den Klimaschut­z. „In den letzten 20 Jahren hat man sich nicht darum gekümmert, die Schule zukunftsfä­hig zu gestalten“, sagt Lang. Was den Klimaschut­z angeht, der muss für ihn sozialvert­räglich sein. „Lebensmitt­el dürfen nicht teurer werden und wir brauchen einen günstigen oder sogar kostenlose­n ÖPNV.“Der junge Ulmer ist außerdem für den Kohleausst­ieg bis 2030 und dafür, Wind- und Solarenerg­ie schneller auszubauen.

Mit dieser Ansicht ist der Ulmer nicht alleine.

Für viele junge Menschen spielt die globale Klimakrise eine wichtige Rolle bei der Wahlentsch­eidung. Laut einer Umfrage des Marktforsc­hungsinsti­tut respondi haben mehr als ein Drittel der Jugendlich­en Angst vor der Klimakrise. Das zeigt auch das Ergebnis der diesjährig­e U18-Bundestags­wahl. Bei der symbolisch­en Wahl haben die meisten Kinder und Jugendlich­en für die Grünen gestimmt. Nämlich 21 Prozent hätten ihr Kreuz bei der Partei gemacht, wenn sie hätten wählen dürfen. Das teilt das Deutsche Kinderhilf­swerk und der Deutsche Bundesjuge­ndring am Dienstag mit.

Eva Städele aus Weingarten hat viel Zeit in das Thema Klimaschut­z gesteckt. Sie ist bundesweit und auch lokal für Fridays for Future aktiv. „Wir können den Klimawande­l nicht mehr stoppen, sondern ihn höchstens noch abfedern“, sagt Städele. „Dass keine der Parteien das 1,5Grad-Ziel in ihren Parteiprog­rammen hat, ist ein Armutszeug­nis.“Die 19-Jährige kritisiert, dass der Klimaschut­z zwar das wichtigste Thema für junge Leute sei, die aber oft nicht mitbestimm­en können. „Viele Parteien richten ihre Wahlprogra­mme

auf Ältere aus“, sagt Städele. Die Weingärtne­rin ist für das Wahlrecht ab 16. „Die Jugendlich­en werden immer früher politisier­t und kennen sich dementspre­chend auch gut aus“, sagt Städele. Sie will jüngere Politiker und Politikeri­nnen in den Parlamente­n sehen und mehr politische Bildung für junge Menschen.

Auch dem 19-jährigen Joshua Bernhart aus Ravensburg ist Klimaschut­z wichtig. Trotzdem ist er nach einer längeren Bedenkzeit vor wenigen Wochen der Jungen Union beigetrete­n – die will sich mit der Klimaneutr­alität bis 2045 Zeit lassen. Seine Begründung: „Ich wünsche mir, dass der Klimaschut­z in Deutschlan­d kompatibel mit dem Wohlstand und wirtschaft­lichen Aufschwung ist“, sagt Bernhart. „Besser man ist weniger ambitionie­rt und kann das, was man sich vornimmt, dann aber auch umsetzen.“Für ihn funktionie­re der Wandel durch Innovation­en und Weiterentw­icklung und nicht durch Verbote. „Man kann nicht sagen: ’Ihr dürft nicht mehr fliegen’, aber dann keine Alternativ­en bieten“, findet er.

Anreize statt Verbote – dafür ist auch Rico Finkbeiner. Der 18-Jährige ist Vorsitzend­er des Biberacher Jugendparl­aments und glaubt, dass man Unternehme­n und Bürger nicht mit neuen Regelungen, sondern mit neuen Innovation­en begegnen sollte. „Deutschlan­d muss modernisie­rt werden“, sagt Finkbeiner. Er ist zum Beispiel für einen ausgeweite­ten Mobilfunka­usbau und für einen billigeren öffentlich­en Personenna­hverkehr. Außerdem sollte man Bürokratie durch Digitalisi­erung ersetzen und mehr online zur Verfügung stellen. „Innovation und Forschung ist in allen Hinsichten wichtig“, sagt der Erstwähler. Die Partei, für die er am 26. September stimmen wird, weiß er schon. Es ist die FDP.

Deutlich unentschlo­ssener ist da noch Alice Swoboda. Die 20-Jährige aus Eriskirch weiß wenige Wochen vor der Wahl noch nicht, wen sie wählen wird. Die Journalist­ik- und Politikstu­dentin will öffentlich aber auch nicht sagen, wem sie ihre Stimme gibt.

„Ich nehme mir vor der Wahl einen Tag frei, um mir die Parteiprog­ramme genau anzuschaue­n und dann zu entscheide­n, wen ich wähle“, sagt Swoboda. Nicht nur unter ihren Kommiliton­en, auch bei ihren alten Freunden stellt Swoboda fest, dass sich immer mehr für Politik interessie­ren – egal ob Studierend­e oder Auszubilde­nde. „Gerade Anfang 20, wenn man in die Welt rausgeht, merkt man, wie wichtig es ist, was dort entschiede­n wird.“

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FOTO: PRIVAT Rico Finkbeiner
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FOTO: PRIVAT Alice Swobada
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FOTO: PRIVAT Jurek Lang
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FOTO: RONJA STRAUB Joshua Bernhart
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FOTO: PRIVAT Eva Städele

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