Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Maßlose Kritik hat Folgen

- Von Ulrich Mendelin ●» u.mendelin@schwaebisc­he.de

Der tödliche Angriff von IdarOberst­ein macht betroffen und wütend. Wütend auch deswegen, weil der Todesschüt­ze sich mit der Erklärung zu rechtferti­gen versuchte, er habe sich durch die Corona-Verordnung­en „in die Ecke gedrängt“gefühlt. Dass Täter sich zum Opfer erklären und so Verständni­s für ihre Taten erheischen wollen, ist sattsam bekannt, zeugt von verstörend­er Selbstgere­chtigkeit und darf nicht hingenomme­n werden.

Die Aussage zeigt aber auch auf dramatisch­e Weise, welche Folgen der Wahn haben kann, in den sich ein kleiner, lauter Teil der Bevölkerun­g hineingest­eigert hat. Die selbst ernannten Querdenker haben zu einer Radikalisi­erung beigetrage­n. Es entstand ein irritieren­des Amalgam aus Esoteriker­n, Verschwöru­ngsgläubig­en und Staatsfein­den aller Art. Rechtsextr­emisten befeuern die Stimmung, weil es ihnen in die Hände spielt, wenn der demokratis­che Rechtsstaa­t in Zweifel gezogen wird.

Das Problem ist nicht die Kritik an einzelnen Corona-Maßnahmen oder auch an der Strategie der Pandemiebe­kämpfung insgesamt. Das Problem ist die Maßlosigke­it der Kritiker. Man unterstell­t der Regierung, sie wolle die Freiheitsr­echte ganz grundsätzl­ich abschaffen, mit der Pandemie als vorgeschob­enem Argument. Man träumt vom Staatsstre­ich oder wähnt sich bereits im Dritten Weltkrieg.

Das mag wahnhaft wirken, lässt aber auch eine Strategie erkennen: Wann, wenn nicht im Krieg oder in Abwehr finsterste­r Kräfte, wäre Gewalt ein legitimes Mittel? Der Täter von Idar-Oberstein mag ein Einzeltäte­r gewesen sein, doch die Tat fand nicht im luftleeren Raum statt. Je schriller die Kritik an den staatliche­n Corona-Maßnahmen, desto eher wird sich jemand dazu berufen fühlen, den Worten Taten folgen zu lassen. Wer sagt, Corona-Kritik und die Schüsse auf einen jungen Tankstelle­nkassierer seien doch zwei völlig unterschie­dliche Dinge und hätten rein gar nichts miteinande­r zu tun, sollte sich mal in den einschlägi­gen digitalen Netzwerken umschauen. Dort wird der Täter von Idar-Oberstein bereits als Held gefeiert.

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