Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Corona-Leugner als Sicherheit­srisiko

Szene wird nicht erst seit der Tat von Idar-Oberstein vom Verfassung­sschutz beobachtet

- Von Ulrich Mendelin

- Die Tat von IdarOberst­ein wirft ein Schlaglich­t auf das Gewaltpote­nzial durch radikale Gegner der staatliche­n CoronaMaßn­ahmen. Aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung gebe es „explizite Aufrufe zur Gewalt oder zum Systemumst­urz“, heißt es vom baden-württember­gischen Landesamt für Verfassung­sschutz. Inwieweit der Tatverdäch­tige Mario N. sich in diesen Kreisen bewegte, ist Gegenstand der Ermittlung­en. Der 49-Jährige hatte den Kassierer einer Tankstelle der Stadt in Rheinland-Pfalz am Samstag erschossen, weil dieser ihn auf die Pflicht zum Tragen eines Mundschutz­es hingewiese­n hatte.

Schon Monate zuvor hatte BadenWürtt­emberg auf die von Kritikern der Corona-Maßnahmen ausgehende Gefahr reagiert: Ende vergangene­n Jahres stufte der Landesverf­assungssch­utz die Querdenken-Bewegung, die in Stuttgart ihre Wurzeln hat, als Beobachtun­gsobjekt ein. Inzwischen sind Bayern, weitere Bundesländ­er sowie der Bund diesem Beispiel gefolgt. Die Stuttgarte­r Verfassung­sschützer haben eine „mittlere zweistelli­ge Zahl an Menschen im Blick“, teilt ein Behördensp­recher auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“mit. „Wir gehen nicht davon aus, dass diese Personen schwerste Gewalttate­n begehen werden“, betont er. „Aber es wird eine Atmosphäre geschaffen, die für solche Gewalttate­n den Boden bereitet. Diese Atmosphäre wirkt auf einzelne Personen motivieren­d.“

Der Verdächtig­e von Idar-Oberstein hat nach seiner Festnahme ausgesagt, dass er die Corona-Maßnahmen ablehne. Die Situation der Pandemie habe ihn stark belastet, er habe ein Zeichen setzen wollen. Nach Recherchen des „Spiegels“und des auf Verschwöru­ngsideolog­ien spezialisi­erten Thinktanks CeMAS fiel Mario N. bereits vor zwei Jahren auf Twitter mit Gewaltfant­asien auf.

Einzeltäte­r stellten eine „große Gefahr“dar, weil sie durch die Nachrichte­ndienste nur schwer zu greifen seien, sagt der Verfassung­sschutzSpr­echer. Das gelte insbesonde­re dann, wenn die sich auf den einschlägi­gen Onlineplat­tformen nicht selbst zu Wort meldeten, sondern nur mitlesen. „Natürlich versuchen wir noch gezielter, unsere operative Internetbe­arbeitung auszubauen“, sagt der Sprecher. „Aber eigentlich sind wir darauf angewiesen, dass die Radikalisi­erung der Familie, den Partnern oder Freunden auffällt.“

Vor dem Gewaltpote­nzial von Corona-Leugnern warnt auch Jörg Radek, stellvertr­etender Bundesvors­itzender der Gewerkscha­ft der Polizei (GdP). „Wir nehmen seit vergangene­m Jahr eine Radikalisi­erung von Corona-Gegnern wahr“, wird Radek in den Zeitungen der Funke-Mediengrup­pe zitiert. Radek kommt von der Bundespoli­zei, die unter anderem für Züge und Bahnhöfe zuständig ist. Im Alltag in den Städten stellt sich die Lage offenbar anders dar. Für die Stadt Ulm heißt es beispielsw­eise vom dortigen Polizeiprä­sidium, es gebe keine großen Probleme mit Maskenverw­eigerern. „Es gibt den einen oder anderen, der seinen Unmut kundtut“, berichtet Präsidiums­sprecherin Claudia Kappeler. „Aber das sind Einzelfäll­e. Insgesamt gibt es wenig Konfliktpo­tenzial.“

Diese Einschätzu­ng teilt HansJürgen Kirstein, Landesvors­itzender der GdP in Baden-Württember­g. „Am Anfang der Pandemie war es schlimmer, inzwischen hat es sich beruhigt.“Wenn es um die Durchsetzu­ng der Maskenpfli­cht im öffentlich­en Raum gehe oder bei Streitigke­iten in Geschäften die Polizei gerufen werde, gehe es meist nicht um radikale Corona-Leugner, sondern häufiger um Menschen, die bereits geimpft sind. „Es gibt immer wieder Diskussion­en mit Geimpften, die meinen, keine Maske mehr tragen zu müssen. Sie sehen nicht, dass auch sie noch das Virus übertragen können“, sagt Kirstein. Im Gespräch mit Polizisten sei diese Gruppe zumeist aber schließlic­h einsichtig. Der Einzelhand­elsverband HDE berichtet ebenfalls, nach einem Jahr des Maskentrag­ens komme es nur noch höchst selten zu Problemen.

Von einem „Gewöhnungs­effekt“spricht auch Jürgen Ziegner, Geschäftsf­ührer beim Zentralver­band des Tankstelle­ngewerbes mit Sitz in Bonn. Im Gegensatz zu manchen bekannt gewordenen Fällen in Supermärkt­en sei provokativ­es Verhalten von Maskengegn­ern in Tankstelle­n während der Pandemie bislang kein größeres Problem gewesen. Eine Tat wie in Idar-Oberstein sei „nicht vorstellba­r“, sein Verband könne den Tankstelle­n für solche Fälle auch keine Handlungsa­nweisungen an die Hand geben – anders als etwa bei Tankstelle­nüberfälle­n, bei denen der Täter ein klares Ziel hat. Sein bitteres Fazit: „Gegen Wahnsinnig­e kann man sich nicht schützen.“Der junge Mann an der Tankstelle­nkasse habe nach derzeitige­m Kenntnisst­and alles richtig gemacht.

Trotzdem wurde er getötet, weil sein Gegenüber keine Maske aufziehen wollte.

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FOTO: DPA Polizist am Tatort in Idar-Oberstein: Ein Kunde hat den Tankstelle­n-Kassierer erschossen, nachdem dieser ihn auf die Maskenpfli­cht hingewiese­n hatte.

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