Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Teure Wahlverspr­echen

Parteien planen Investitio­nen und Reformen – Nur der Staatshaus­halt macht da nicht mit

- Von Dieter Keller

- Ideen für höhere Ausgaben des Staates haben im Wahlkampf Hochkonjun­ktur. Doch was das alles kostet und wie sie ihre Verspreche­n finanziere­n wollen, bleibt im Vagen oder wird nicht diskutiert. Wird da viel versproche­n, was nicht zu halten ist? Fragen und Antworten

Wie teuer sind Wahlverspr­echen? Die von allen derzeit im Bundestag vertretene­n Parteien in irgendeine­r Form geforderte Abschaffun­g der EEG-Umlage für Ökostrom würde den Bund etwa 19 Milliarden Euro zusätzlich kosten – pro Jahr. Das hat das unternehme­rnahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) ausgerechn­et. Besonders teuer würde das ebenfalls nahezu parteiüber­greifend gegebene Verspreche­n, die Sozialbeit­räge weiter bei 40 Prozent zu deckeln: Dann müsste der Bund bei Kranken-, Pflege- und Rentenvers­icherung einen schnell wachsenden Betrag zuschießen, 2025 fast 46 Milliarden Euro, Tendenz weiter rasch steigend. Die Erhöhung der Mütterrent­e, auf der die CSU besteht, schlägt mit 4,1 Milliarden Euro im Jahr zu Buche. Die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s, die Union und FDP in Aussicht stellen, brächte dem Bund ein Einnahmelo­ch von fast acht Milliarden Euro. Rechnet man alles zusammen, kommt das IW – einschließ­lich steigender Verteidigu­ngsausgabe­n – bereits im nächsten Jahr auf fast 37 Milliarden Euro, die der Bund zusätzlich verkraften müsste. 2025 wären es fast dreimal so viel. Mehrausgab­en für den Umweltschu­tz und die Digitalisi­erung sind da noch gar nicht berücksich­tigt.

Wie viel Luft ist im Haushalt? Der ist heute schon auf Kante genäht, betonen regelmäßig Olaf Scholz (SPD) als Finanzmini­ster und sein Staatssekr­etär Werner Gatzer (SPD), der den Haushalt seit Jahren zusammenst­rickt. Noch vor Ende der laufenden Legislatur haben sie einen Entwurf für den Etat 2022 und die mittelfris­tige Finanzplan­ung bis 2025 vorgelegt, und das Bundeskabi­nett hat ihn abgesegnet. Beschließe­n wird beides allerdings erst der neue Bundestag.

Kann der Bund nicht mehr Schulden machen?

Das verbietet die Schuldenbr­emse im Grundgeset­z. 2022 soll der Bundestag nach dem Haushaltse­ntwurf zum dritten

Mal in Folge eine Ausnahme wegen der Kosten der Corona-Pandemie beschließe­n. Fast 100 Milliarden Euro neue Schulden sind vorgesehen. Doch ab

2023 soll die Bremse wieder greifen. Danach darf der Bund nur in geringem

Ausmaß zusätzlich­e Kredite aufnehmen, und diese Möglichkei­ten hat Gatzer in seinem Haushaltse­ntwurf schon komplett eingeplant. Zudem will er das Sparschwei­n des Finanzmini­steriums schlachten, eine – ursprüngli­ch für die Flüchtling­skosten vorgesehen­e – Rücklage von 48,2 Milliarden Euro. Trotzdem klafft im Jahr 2025 noch ein ungedeckte­s Loch von über sechs Milliarden Euro. Zwar gibt es immer wieder Forderunge­n, die Schuldenbr­emse abzuschaff­en oder zumindest zu modifizier­en. Aber für die nötige Änderung des Grundgeset­zes wäre eine Zweidritte­lmehrheit in Bundestag und Bundesrat nötig – ein schwierige­s Unterfange­n.

Wie viel bringen Steuererhö­hungen?

Die Pläne der SPD würden 14 Milliarden Euro zusätzlich an Einnahmen bringen, die der Grünen 18,1 Milliarden Euro und die der Linken sogar 36,8 Milliarden Euro, haben Wissenscha­ftler des Leibniz-Zentrums für Europäisch­e Wirtschaft­sforschung (ZEW) in Mannheim ausgerechn­et. Dabei haben sie sowohl die Pläne zu Steuern berücksich­tigt als auch Punkte wie Minijobs und Familienpo­litik, die private Haushalte betreffen. Nicht berücksich­tigt hingegen sind zusätzlich­e Ausgaben etwa für Umweltschu­tz und andere Investitio­nen. Die Reformvors­chläge der Union würden den Staatshaus­halt mit 32,6 Milliarden Euro im Jahr belasten, die der FDP sogar mit 87,6 Milliarden Euro.

Gibt es keine anderen Auswege? Der Bund könnte sparen. Doch schon heute entfällt mehr als die Hälfte seiner Ausgaben aufs Soziale, Tendenz steigend, und da lässt sich nicht so einfach kürzen. Eigentlich müsste er dringend mehr investiere­n. Dafür haben IW-Chef Michael Hüther und das gewerkscha­ftsnahe Institut für Makroökono­mie und Konjunktur­forschung (IMK) schon vor einiger Zeit in ungewohnte­r Einigkeit ein Investitio­nsprogramm von 450 Milliarden Euro vorgeschla­gen, verteilt über zehn Jahre. Wird es als Investitio­nsfonds konstruier­t, könnten die Kredite dafür an der Schuldenbr­emse vorbei aufgenomme­n werden. Noch sind die Parteien nicht darauf eingegange­n. Etwas Luft könnte ein anderer Umgang mit den Schulden für die Corona-Maßnahmen bringen. Beschlosse­n ist, dass der Bund schon 2023 mit der Tilgung beginnt und die Kredite recht schnell zurückzahl­t. Er könnte dem Beispiel von NordrheinW­estfalen folgen, das sich deutlich länger Zeit lässt.

Was tun?

Es reiche nicht, nur auf mehr Wachstum zu setzen oder Gutverdien­ende stärker zu belasten, mahnte der Ex-Wirtschaft­sweise Bert Rürup. „Gesucht ist ein Mix aus moderaten Leistungsr­ücknahmen im Sozialsyst­em, einem möglichst aufkommens­neutralen und wachstumso­rientierte­n Umbau des Steuersyst­ems, einem Abbau von Subvention­en, dem Lockern von bestehende­n Beschäftig­ungsbremse­n sowie einer Reform der Schuldenbr­emse.“Im Wahlkampf war wenig davon die Rede.

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FOTO: SEBASTIAN KORINTH Parteien geben große Wahlverspr­echen ab – nur über die Finanzieru­ng wird kaum geredet.

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