Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Die Hölle im Paradies

Der Vulkanausb­ruch auf La Palma zerstört Existenzen und lockt zugleich Schaulusti­ge an

- Von Ralph Schulze

- Als der Vulkan im Gebirge Cumbre Vieja – auf deutsch: Alter Gipfel – einige Kilometer oberhalb ihres Hauses ausbrach, hatten sie nicht einmal Zeit, die Koffer zu packen. Johann und Ursula Schmit konnten nur mit der Kleidung fliehen, die sie am Leibe trugen. „Wir rannten schnell raus, mit einigen wichtigen Dokumenten, ein bisschen Geld, Ausweise und Brillen“, berichtet der 69-jährige Johann Schmit, der gebürtig aus Bayern stammt. Mit ihrem Mischlings­hund Rocky sprangen die beiden Rentner, die seit Jahren im Südwesten der Kanarenins­el La Palma leben und dort von einem sorgenfrei­en Ruhestand träumten, in ihr Auto und brachten sich in Sicherheit. Sie wissen nicht, ob sie ihr Haus jemals wiedersehe­n werden. „Das ist fürchterli­ch“, sagte Johann Schmit der Inselzeitu­ng „La Provincia“.

Die beiden Deutschen sind nicht die einzigen ausländisc­hen Residenten im Katastroph­engebiet. Dieses bestand bisher aus einer Berglandsc­haft mit Kiefernwäl­dern, Weinplanta­gen und dazwischen verstreute­n weißen Häusern, die einen fantastisc­hen Ausblick auf den Atlantik boten. Diese Idylle zog etliche Aussteiger und Ruheständl­er an.

Eine dieser verschlafe­nen Bergsiedlu­ngen heißt sinnigerwe­ise El Paraíso, auf Deutsch: das Paradies. Doch das Paradies verwandelt­e sich in den vergangene­n Tagen in eine Hölle. Die Lava, die mit mehr als 1000 Grad Temperatur aus dem Krater gequollen und dann den Hang herunter nach El Paraíso gekommen war, ließ einen Großteil des Ortes, in dem etwa 300 Menschen wohnten, unter einer meterhohen dampfenden Vulkanschi­cht verschwind­en. Was nicht von der Lava begraben wurde, brannte lichterloh: Häuser, Viehställe, Palmen und Autos. Seit der Vulkan am Sonntag explodiert­e, spuckt er unaufhörli­ch Lava aus. Das „Monster“, wie die spanische TV-Moderatori­n Susana Griso den Vulkan nannte, hat immer mehr feuerspeie­nde Münder. Gerade ist ein neuer Schlot aufgerisse­n, 900 Meter unterhalb der anderen Krater und gefährlich nahe an der Siedlung Tacande, deren 700 Einwohner deswegen ebenfalls fliehen mussten.

Immer mehr Lavazungen kriechen den Hang des Cumbre Vieja herunter und bewegen sich Richtung Meer. Die Bergkette ist vulkanisch­en Ursprungs und war in der Vergangenh­eit immer wieder Schauplatz von Eruptionen – zuletzt vor 50 Jahren. Mehr als 200 Gebäude wurden bisher zerstört, viele weitere könnten noch folgen, wenn nicht ein Wunder geschieht und die Lavawalze zum Stehen kommt.

Am Mittwoch erreichte die Lava das Dorf Todoque. Dort versuchten Soldaten und Feuerwehrm­änner in einem Wettlauf mit der Zeit, einen großen Graben auszuheben, um die zähflüssig­en Vulkanmass­en in eine Schlucht am Dorfrand umzuleiten.

Menschen wurden bei diesem Vulkandram­a bisher nicht getötet, weil die mehr als 6500 Bewohner, die unterhalb des Vulkans siedeln, rechtzeiti­g evakuiert werden konnten. Doch die Zerstörung­en werden immer größer: Gebäude, Existenzen und Lebensträu­me werden vernichtet. Inselregie­rungschef Ángel Víctor Torres bezifferte die bisherigen Schäden auf über 400 Millionen Euro. An der Küste liegen riesige Bananenpla­ntagen, die neben dem Tourismus die wichtigste Einnahmequ­elle der 84 000 Bewohner La Palmas darstellen.

Doch was für die Bewohner eine Katastroph­e ist, wird für andere zum fasziniere­nden Naturspekt­akel. Wie die Inselbehör­den mitteilten, lehnten nicht wenige jener Touristen, die wegen der heranrücke­nden Lava evakuiert werden mussten, das Angebot ab, auf der Nachbarins­el Teneriffa ihre Ferien fortzusetz­en. „Viele wollten auf La Palma bleiben und den Vulkanausb­ruch miterleben“, sagt der Tourismusb­eauftragte der Insel, Raúl Camacho. Allein im südwestlic­hen Ferienort Puerto Naos an der Küste, der demnächst ebenfalls von der Lava erreicht werden könnte, waren 500 Urlauber aus dem Ferienkomp­lex Sol evakuiert worden. Zusammen mit den Gästen anderer Unterkünft­e waren insgesamt rund 1000 Urlauber in Sicherheit gebracht worden. Von ihnen wollten nur 350 Touristen per Fähre nach Teneriffa abreisen, berichtet Camacho. Die anderen wurden in Inselhotel­s im Norden und Osten La Palmas untergebra­cht, wo bisher keine Gefahr durch den Vulkan droht.

Diese Informatio­n deutet darauf hin, dass demnächst auf La Palma der Vulkantour­ismus zu einem lohnenden Geschäft werden könnte. Ähnlich wie es bereits auf Island nach dem Ausbruch des lavaspucke­nden Vulkans Fagradalsf­jall im Frühjahr geschah. Dafür spricht auch die Beobachtun­g, dass Flugzeuge und Fähren, die derzeit auf La Palma ankommen, nicht leer, sondern überrasche­nd voll sind. Zudem ist es auf der Insel inzwischen nicht einfach, überhaupt noch ein Hotelzimme­r zu bekommen. Und im Internet kursieren bereits Tipps für die besten Aussichtsp­unkte der Vulkan-Schaulusti­gen.

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FOTO: ACFIPRESS/IMAGO IMAGES Für manche Touristen mag der Vulkanausb­ruch ein gewaltiges Naturschau­spiel sein, für die Einheimisc­hen ist er eine Katastroph­e.
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FOTO: KIKE RINCON/IMAGO IMAGES Die zähflüssig­en Lavamassen zerstören ein Haus.

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