Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Wahlschabl­onen für Blinde sind fehlerhaft

Neue Schablonen für den Wahlkreis Ravensburg sind unterwegs – Betroffene können Briefwahl wiederhole­n

- Von Sybille Glatz

- Damit Blinde und Sehbehinde­rte ohne fremde Hilfe ihre Stimme bei der Bundestags­wahl abgeben können, haben sie vom Blindenund Sehbehinde­rtenverban­d Württember­g spezielle Wahlschabl­onen mit einer CD erhalten. Nun, gut drei Wochen nach Versand der Schablonen und wenige Tage vor der Wahl, stellt sich heraus: Die für den Wahlkreis Ravensburg ausgeliefe­rten Schablonen sind fehlerhaft, wer sie benutzt, läuft Gefahr, dass sein Stimmzette­l ungültig wird – oder er eine andere Partei wählt als beabsichti­gt.

Um den Fehler zu beheben, hat der Verband bereits neue Schablonen an Blinde und Sehbehinde­rte verschickt. Doch was ist mit denjenigen, die bereits per Briefwahl ihre Stimme mithilfe der Schablone abgegeben haben? Diese Wählerinne­n und Wähler bekommen die Möglichkei­t, neue Wahlunterl­agen zu beantragen und erneut ihre Stimme abzugeben. Das geht aus einer Pressemeld­ung des Landratsam­ts am Dienstagmo­rgen hervor. „Sofern Betroffene bereits per Briefwahl abgestimmt haben, sollten diese sich schnellstm­öglich bei ihren Wohnortgem­einden melden und neue Briefwahlu­nterlagen beantragen“, heißt es in der Meldung. Der schon zuvor zurückgesa­ndte Wahlschein wird dann für ungültig erklärt, „womit ausgeschlo­ssen wird, dass die Stimmabgab­e zweimal erfolgen kann“.

Doch viel Zeit, um neue Unterlagen zu beantragen, bleibt nicht: Einen Antrag zu stellen, ist nur noch bis Freitag, 24. September, 18 Uhr bei den Gemeinden möglich. Die Wahlbriefe müssen bis spätestens Sonntag, 26. September, 18 Uhr, bei der auf dem Wahlbrief angeführte­n Stelle eingegange­n sein.

Dass die Wahlschabl­onen nicht stimmen, entdeckte der Aulendorfe­r Behinderte­nbeauftrag­te Franz Erwin Kemper beziehungs­weise seine sehende Tochter vergangene Woche. „Als ich Briefwahl machen wollte, stellte meine Tochter fest: Die Schablone passt nicht zum Stimmzette­l“, berichtet Kemper. Die Schablone ist aus Pappe gemacht und einmal der Länge nach gefaltet. Auf der Vorderseit­e sind kreisrunde Löcher ausgestanz­t. Neben diesen Feldern stehen Nummern in Blindensch­rift und tastbarer Schwarzsch­rift. Bei jedem Stimmzette­l ist die rechte obere Ecke gelocht oder schräg abgeschnit­ten. So kann man ertasten, wie der Stimmzette­l in die Schablone eingelegt werden muss. Legt man den Stimmzette­l in die Schablone ein und schließt sie, befinden sich die Kreise, wo die Wähler ihr Kreuz machen können, genau unter den ausgestanz­ten Löchern. So sollte es eigentlich sein. Doch bei der Schablone für den Wahlkreis Ravensburg ging dieses Mal etwas schief. „Die versendete­n Stimmzette­lschablone­n sehen die falschen Abstände zwischen den Stimmabgab­efeldern vor“, teilt das Landratsam­t mit.

Das führt dazu, dass das Kreuz ab Position 5 nicht dort landet, wo der Wähler es haben will, sondern irgendwo anders, im schlechtes­ten Fall auch bei einer anderen Partei. Wer beispielsw­eise Nummer 9 (Freie Wähler) ankreuzt, macht sein Kreuz unwissentl­ich bei Nummer 10 (Piraten).

Kemper kontaktier­te nach seiner Entdeckung die Aulendorfe­r Stadtverwa­ltung. Die reagierte sofort, wies in einer Pressemeld­ung auf den Fehler hin und empfahl, die Schablonen nicht zu verwenden. Zum anderen informiert­e Tanja Nolte, stellvertr­etende Hauptamtsl­eiterin in Aulendorf, den Blinden- und Sehbehinde­rtenverban­d und die Kreiswahll­eitung. „Wir haben alle ein Interesse daran, dass jeder Wahlberech­tigte wählen kann“, sagt Nolte.

„Neue Schablonen sind schon unterwegs“, sagt Winfried Specht, Geschäftss­tellenleit­er des Verbands. An 49 Mitglieder des Verbands gingen bereits Ende vergangene­r Woche neue Schablonen raus. Von diesen hat der Verband die Adressen. Bei den Nicht-Mitglieder­n greift der Verband auf Informatio­nen des Landratsam­ts zurück. 168 Schablonen seien Anfang der Woche an die Blindengel­dempfänger im Wahlkreis Ravensburg verschickt worden, so die Geschäftss­telle des Verbands. Laut einer Meldung des Landratsam­ts bittet Kreiswahll­eiter Peter Hagg die Betroffene­n darum, bei der Stimmabgab­e nur die neu übersandte­n Stimmzette­lschablone­n zu verwenden. Wie es zu dem Fehler gekommen ist, kann Specht nicht sagen. „Im Endeffekt ist das schwer nachzuvoll­ziehen“, sagt Specht. „Es wurde irgendetwa­s vertauscht.“

Auf der CD, die mitgeliefe­rt wird, wird erklärt, welche Kandidaten und welche Parteien sich auf welcher Position befinden. „Auf der CD wird auch gesagt, dass die Schablone für den Wahlkreis 294 definiert ist“, berichtet Kemper. „Es handelt sich also nicht um einen

Fehlversan­d, sondern um eine falsche Schablone.“Dafür, dass dies bisher sonst niemandem auffiel, hat der Behinderte­nbeauftrag­te eine einfache Erklärung. „Das ist kein redundante­r Fehler. Die Benutzer können den Fehler nicht erkennen und korrigiere­n.“

Sowohl Kemper als auch Specht sagen, dass es nach ihrer Erinnerung das erste Mal sei, dass so etwas vorkommt. Doch eine Nachfrage beim Deutschen Blinden- und Sehbehinde­rtenverban­d (DBSV) ergibt ein anderes Bild. Wie Torsten Resa vom DBSV erläutert, kommen Fehler bei den Wahlschabl­onen immer wieder vor. Bei der aktuellen Bundestags­wahl weiß er von fehlerhaft­en Schablonen in Bayern, Heidelberg und Niedersach­sen. Damit Schablonen und Stimmzette­l zusammenpa­ssen, wurde ein einheitlic­hes Format entwickelt, das sogenannte Berliner Muster. „Wenn das Berliner Muster genommen wird, sind alle auf der sicheren Seite.“Laut Resa halten sich die allermeist­en der 299 Wahlkreise an das Muster. „Eine wichtige Aufgabe von uns ist es, dafür zu sensibilis­ieren, dass es Auswirkung­en hat, wenn man den Stimmzette­l verändert“, sagt Resa. Bei der Landtagswa­hl 2019 in Sachsen führten nicht passende Schablonen dazu, dass Wahlberech­tigte in Leipzig, die mithilfe der Schablone gewählt hatten, noch einmal ihre Stimme abgeben durften. Diese Möglichkei­t gibt es nun auch für Betroffene im Wahlkreis Ravensburg. Doch dafür müssen sie sich bei der jeweiligen Gemeindeve­rwaltung melden. Von sich aus werden die Verwaltung­en nicht aktiv.

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FOTO: SYBILLE GLATZ Die Wahlschabl­onen für Blinde und Sehbehinde­rte im Wahlkreis 294 Ravensburg sind falsch. Wer sich auf sie verlässt, riskiert, dass seine Stimme ungültig wird oder dass er eine andere Partei als beabsichti­gt wählt.

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