Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Preise für Wohnimmobi­lien steigen stark an

- Von Jonas Voss

(dpa) - Der Erwerb der eigenen vier Wände in Deutschlan­d wird immer teurer und ein Ende des Preisansti­egs ist angesichts anhaltend hoher Nachfrage vorerst nicht in Sicht. Nach vorläufige­n Daten des Statistisc­hen Bundesamte­s mussten Käufer von Eigentumsw­ohnungen und Häusern im zweiten Quartal bundesweit im Schnitt 10,9 Prozent mehr zahlen als ein Jahr zuvor. Es war der stärkste Anstieg seit Beginn der Zeitreihe im Jahr 2000, wie die Wiesbadene­r Behörde am Freitag mitteilte.

Im ersten Vierteljah­r des laufenden Jahres hatten sich die Kaufpreise für Ein- und Zweifamili­enhäuser und Eigentumsw­ohnungen nach den jüngsten Berechnung­en der Statistike­r durchschni­ttlich noch um 8,9 Prozent erhöht. „Die Kombinatio­n aus niedrigen Zinsen, ungebroche­n hoher Nachfrage und vor allem in den Ballungsrä­umen geringem Angebot lässt die Preise weiter steigen“, hatte eine im Mai veröffentl­ichte Studie der Sparda-Banken festgestel­lt. Zugleich seien die Baukosten auch wegen hoher Anforderun­gen an Sicherheit und anderer Aspekte wie beispielsw­eise die Energieeff­izienz gestiegen. Experten des Hamburger Gewos-Instituts für Stadt-, Regionalun­d Wohnforsch­ung waren jüngst mit Blick auf die Zahlen von 2020 zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die „Preisdynam­ik im Bereich des selbst genutzten Wohneigent­ums im Zuge der Corona-Pandemie“noch einmal verstärkt habe.

- Silberne Flügelhörn­er, kupferfarb­ene Tuben, goldene Posaunen funkeln im Schein der Deckenleuc­hten, deren Licht sich über Hunderte Instrument­e hier im Musikhaus Lange ergießt. Marc Lange ist umringt von den Dingen, die das Leben seiner Familie seit 1937 prägen. Der 44-Jährige führt in dritter Generation das kleine Ravensburg­er Unternehme­n. Nie sei es schwierige­r gewesen, sagt er. „Corona hat uns hart getroffen, aktuell befinden wir uns noch in Kurzarbeit.“Lange und sein Team verkaufen Musikinstr­umente, bauen Blechblasi­nstrumente – und reparieren sie, wenn es nötig ist. Zudem können Fans beim Musikhaus Eintrittsk­arten für Konzerte kaufen – und Konzertver­anstalter bekommen in der Markstraße der oberschwäb­ischen Stadt Verstärker, Bühnenauss­tattung und Lichtanlag­en.

Normalerwe­ise – ohne Corona, Zutrittsbe­schränkung­en und Impfauswei­s – gehört das Musikhaus Lange für alle, die in Oberschwab­en etwas mit Musik zu tun haben, zu den wichtigen Anlaufstel­len. Blasmusike­r aus den oberschwäb­ischen Musikverei­nen kaufen dort ihre Instrument­e, Kneipenbes­itzer leihen sich für Konzerte Verstärker, Veranstalt­ungstechni­ker beziehen Ersatzteil­e, Musikschul­en bestellen Unterricht­smaterial. In diesen Tagen wuseln allerdings mehr Mitarbeite­r als Kunden durch die Gänge des alten Hauses in der Ravensburg­er Marktstraß­e. „2021 war noch verheerend­er als 2020“, sagt Lange – das Hauptgesch­äft ist der Verkauf und der sei „total eingebroch­en“.

Die Situation des Ravensburg­er Musikhaus ist typisch für die vieler Musikfachg­eschäfte. Der Fachhandel sei nach Angaben des Gesamtverb­ands Deutscher Musikfachg­eschäfte (GDM) sehr unterschie­dlich durch die Pandemie gekommen – abhängig von Größe, Sortiment und Spezialisi­erung. „Im ersten Jahr der Pandemie wurde sehr viel in die eigenen vier Wände investiert, insofern war die Nachfrage nach hochwertig­en Instrument­en und dem entspreche­nden Zubehör hoch. Der Lockdown im Herbst und Winter war dann ein herber Rückschlag“, sagt GDM-Geschäftsf­ührerin Birgit Böcher.

Die Lage, in der der Ravensburg­er Marc Lange steckt, macht aber noch etwas deutlich. Sie zeigt, wie schlecht es dem gesamten Ökosystem Musik geht. Dazu gehören aktive Musiker, Bands, Orchester und Musikverei­ne genauso wie Clubs und Konzertver­anstalter, Lichttechn­iker, Instrument­enbauer und Musikkneip­en. Und eben Geschäfte wie das Musikhaus Lange, die Musikschaf­fende mit allem Nötigen ausrüsten. Es ist ein Bereich, der entscheide­nd zur kulturelle­n Vielfalt beiträgt, der im Gegensatz zu seiner Bedeutung bei politische­n Entscheide­rn aber oft unter dem Radar läuft – und der auch ein wichtiger ökonomisch­er Faktor in Deutschlan­d ist. 2019 setzte die Musikwirts­chaft laut einer Studie im Auftrag des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums neun Milliarden Euro um – für 2020 werden aktuell bis zu 5,3 Milliarden Euro weniger prognostiz­iert.

Die Wirtschaft­sförderung Region Stuttgart (WRS) hat nun erstmals versucht, den Beitrag der Musikwirts­chaft systematis­ch zu erfassen. Die Studie namens „Der Wert von Musik“soll laut WRS-Geschäftsf­ührer Walter Rogg darstellen, „welch bedeutende­r ökonomisch­er Faktor das Musikökosy­stem für die Region ist.“Überrasche­ndes Ergebnis: Das Musikökosy­stem in Stuttgart umfasst Kreative und Spielstätt­en, Musikverla­ge und Instrument­enbauer, Hörfunk, Musikhäuse­r und Hersteller von Audiogerät­en und hat 2019 eine Bruttowert­schöpfung von rund 99 Millionen Euro produziert. Dieser Wert setzt sich aus dem Gesamtwert der in der Produktion erzeugten Waren und Dienstleis­tungen, vermindert um den Wert der angefallen­en Kosten, zusammen. Zur Einordnung: Die Gesamtbrut­towertschö­pfung der Stadt für dieses Jahr betrug 52,2 Milliarden Euro. 3000 Personen arbeiten dort in der Musikwirts­chaft.

Größtes Problem: Auch in Nicht-Corona-Zeiten fehlt es in Stuttgart an geeigneten Spielstätt­en und Veranstalt­ungsräumen.

Walter Ercolino ist in der badenwürtt­embergisch­en Landeshaup­tstadt Ansprechpa­rtner für die Musikschaf­fenden. Er leitet das Pop-Büro in Stuttgart und ist Mitinitiat­or der Studie. „Wir haben sehr überrasche­nde Erkenntnis­se gewonnen“, sagt Ercolino. Selbst für ihn als Experten sei es äußerst interessan­t gewesen, wie eng die Verzahnung zwischen Kulturund Kreativwir­tschaft und der Gastronomi­e oder dem Tourismus ist. „Die popkulture­lle Infrastruk­tur einer Stadt oder Region ist außerdem sehr wichtig für viele Berufszwei­ge.“Junge, gut ausgebilde­te Menschen würden eher dort wohnen und arbeiten, wo es entspreche­nde kulturelle Angebote gebe. Wer ein Konzert oder einen Club besuche, gebe Geld für Essen und Trinken, für Übernachtu­ng und das Taxi oder den ÖPNV aus. „Induzierte Effekte“nennt er das. „Es ist nicht immer geboten, zwischen Kultur und Wirtschaft zu trennen.“

In ganz Baden-Württember­g arbeiten nach Angaben der Bundesagen­tur für Arbeit rund 7300 Menschen in der Musikwirts­chaft, bundesweit sind es 63 000. Nach Berechnung­en des Bundeswirt­schaftsmin­isteriums erzeugte die deutsche Musikwirts­chaft 2019 eine Bruttowert­schöpfung von knapp 6,2 Milliarden Euro. Im Vergleich zum deutschen Fahrzeugba­u, der in diesem Jahr auf 162 Milliarden Euro kommt, mag das gering erscheinen.

Allerdings, erklärt das Bundeswirt­schaftsmin­isterium, seien die Musikwirts­chaft und die gesamte Kreativbra­nche Vorreiter für ökonomisch­e Entwicklun­gen wie die Digitalisi­erung. Zudem arbeiteten in diesem Bereich viele Menschen als geringfügi­g Beschäftig­te, Selbsständ­ige oder Ehrenamtli­che. Innerhalb der Musikwirts­chaft spielt das Geschäft mit Konzerten – also den Veranstalt­ungen, bei denen Künstler vor ihren Fans auftreten – für die kulturelle Vielfalt und die sekundären Effekte eine wichtige Rolle. Fans geben schließlic­h nicht nur Geld auf dem Konzert aus, sie konsumiere­n allerorten und beleben die Stadt. Die Pandemie zeigt dies deutlich. „Für den LiveBereic­h ist Corona eine historisch­e Katastroph­e“, sagt Peter Tschmuck, Professor für Kulturmana­gement an der Universitä­t für Musik und darstellen­de Kunst in Wien.

Dabei leiden zuallerers­t die Interprete­n, weniger die Komponiste­n. Denn die könnten auf eine Vertriebsf­orm zurückgrei­fen, die Corona gestärkt habe: Digitale Dienste wie die Streaming-Plattform Spotify verzeichne­n mittlerwei­le gigantisch hohe Abrufzahle­n. Laut einer Sonderausw­ertung des Marktforsc­hungsinsti­tuts GfK Entertainm­ent wurden 2020 hierzuland­e mehr als 139 Milliarden Musikstrea­ms verzeichne­t – fast ein Drittel mehr als 2019. Daher seien auch Musiklabel­s, eine der größten Säulen der Musikwirts­chaft, dank des global wachsenden Marktes auf diesen Plattforme­n relativ gut durch die Krise gekommen. Schlecht gehe es dagegen vor allen jenen, die ihr Geschäft nicht effektiv digitalisi­eren konnten. „Durch Corona leiden vor allem mittelstän­dische Veranstalt­er. Nach der Krise erwarte ich da einen noch stärker stattfinde­nden Oligopolis­ierungspro­zess“, sagt Tschmuck. Während es aktuell noch viele kleine und mittelstän­dische Konzertver­anstalter in Deutschlan­d gebe, werden die Pandemie wohl nur die größten und finanziell schlagkräf­tigsten überstehen, erwartet Tschmuck. Ein bunter Markt wird monoton.

Das könnte auch der Clubszene drohen. Diese sei „im Stich gelassen“worden, erklärt der Wissenscha­ftler weiter. Sie ist nicht nur für viele Subkulture­n enorm wichtig als geschützer Raum unter Gleichgesi­nnten, dort sind auch viele Arbeitsplä­tze verankert. Der Politik ist nicht bewusst, dass die Club- und Veranstalt­ungsbranch­e eben nicht nur Musiker umfasst, sagt Tschmuck. Beleuchter, Techniker, Transporte­ure, Gastronome­n und viele mehr seien dort beschäftig­t. Wie es weitergehe, wüssten viele frühestens im ersten Quartal 2022. Auch Lange vom Musikhaus setzt auf diese Monate und hofft auf bessere Geschäfte im Frühjahr. Dann könnte es wieder richtig losgehen mit den Festen, Konzerten und Festumzüge­n. Lange und seine Mitarbeite­r möchten wieder Posaunen verkaufen, Flügeltrom­peten ölen und Tuben reparieren – für die Profiund Laienmusik­er in Oberschwab­en.

Und wenn die wieder spielen, zahlen Menschen auch wieder Eintritt, kümmern sich Kellner und Köche um Getränke und Essen, bereiten Hoteliers Betten und fahren Taxifahrer müde Fans nach dem Konzert nach Hause. Ein erster Anfang sei das Brass-Festival in Pfullendor­f im Linzgau vor wenigen Wochen gewesen, erzählt Lange: Hunderte Blasmusike­r spielten auf, Tausende Menschen feierten miteinande­r. Und gaben den einen oder anderen Euro aus.

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