Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Machtbasis schwindet
Widerstand gegen CDU-Parteichef Armin Laschet wächst – CSU distanziert sich
- Eigentlich ist es eine Routineveranstaltung. Alle vier Jahre konstituiert sich nach der Bundestagswahl die neue Unionsfraktion, vereinbaren CDU und CSU erneut ihre Gemeinschaft und wird der Fraktionschef neu gewählt. Diesmal aber ist auch dies – wie so vieles nach der denkwürdigen Bundestagswahl – anders: Die einst so stolze Fraktion ist auf 196 Abgeordnete geschrumpft und die Spannung riesig: Wer tritt an? Wer wird es? Und für wie lange? Die Wahl des neuen Fraktionschefs ist zu einem Gradmesser für die Macht des Wahlverlierers und Parteichefs Armin Laschet geworden.
Von seinem ursprünglichen Plan, das Amt für sich selbst zu beanspruchen, musste Laschet schon am Wahlabend Abstand nehmen. Zu groß das Risiko einer Niederlage. Außerdem hatte der CDU-Vorsitzende zumindest am Sonntag wohl noch den Eindruck, dass seine Verhandlungsbasis für ein mögliches Jamaika-Bündnis auch so stabil genug sein würde.
Allerdings scheiterte dann auch Plan B, nämlich Amtsinhaber Ralph Brinkhaus vorerst nur für ein paar Wochen zu bestätigen und den Posten so für den Fall der Fälle doch noch zur eigenen Verfügung zu haben. Denn landet die Union in der Opposition, ist die Rolle des Oppositionsführers die wichtigste.
Nicht nur Brinkhaus zog bei diesem Plan nicht mit, auch die CSU sperrte sich. „Arbeitsfähigkeit, Ordnung, Stabilität“seien nun wichtig, dozierte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und warnte, die anstehende Personalentscheidung zu vermeiden wäre ein „Folgefehler“nach der schweren Wahlniederlage. Der Kompromiss lautete dann, Brinkhaus nicht wie üblich für ein Jahr, sondern nur für ein halbes zu wählen.
Eines jedenfalls ist klar: Die Schockstarre, in die die Union am Wahlabend angesichts der 24,1 Prozent verfallen war, ist vorbei. Alles ist jetzt in Bewegung – und nichts mehr ausgeschlossen. Längst geht es um mehr als um den Fraktionsvorsitz. Angefangen hatte es wie immer mit den üblichen Verdächtigen: Erst forderte die selbst ernannte Werteunion den Rücktritt von Laschet, dann verlangte die bisherige Fraktionsvize
Gitta Connemann „personelle Konsequenzen“. Rückzugsforderungen kommen auch aus den Reihen des Nachwuchses: die Junge Union in Sachsen meldete sich und die in Bayern auch. Überhaupt Bayern: Dort waren die Gremiensitzungen der CSU am Montag bereits in eine Art Scherbengericht über den Wahlkampf der CDU im Allgemeinen und den von Laschet im Besonderen ausgeartet.
Bestärkt fühlen dürften sich die Christsozialen sowie die auch ansonsten zahlreichen Söder-Fans in der Union durch eine Nachwahlbefragung des Instituts Forsa unter 5000 Wählern: Demnach hätte die Union mit einem Kanzlerkandidaten Söder mehr als 30 Prozent der Stimmen bekommen. Ein Viertel der Wähler, die sich nun für andere Parteien entschieden, hätte demnach im Söder-Fall „ganz sicher“Union gewählt. Wirklich überraschend sind diese Zahlen allerdings nicht. Und zur Wahrheit gehört, dass sich die CDU-Führung in vollem Bewusstsein dieser demoskopischen Lage im April für Laschet entschieden hatte: Sie wollte Söder einfach nicht.
Gefährlicher für Laschet sind andere Entwicklungen. Zum Beispiel die Stimme von Daniel Günther, Ministerpräsident der derzeit einzigen Jamaika-Regierung auf Landesebene in Schleswig-Holstein und grundsätzlich Unterstützer des Mitte-Kurses in der CDU. Dieser Günther also ließ per Interview wissen: „Nach einem solchen Wahlergebnis kann man nicht sagen: Weiter so!“und beschrieb anschließend indirekt die einzige Chance, die Laschet noch hat: ein schwarzgrün-gelbes Regierungsbündnis zusammenzuzimmern. „Wenn die Gespräche scheitern“, so Günther, „dann werden wir uns genau über diese Fragen unterhalten: über die personelle Aufstellung der Partei und die Frage, wie es jetzt weitergeht.“Dass dieses Weitergehen nicht mehr mit Laschet stattfinden würde, dürfte jedem in der Union inzwischen klar sein. Zumal auch aus den Landesverbänden die ersten Rückzüge gemeldet werden: In Mecklenburg-Vorpommern gab der CDU-Chef nach der Niederlage auf. Und auch die einst so populäre rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Julia Klöckner kündigte ihren Rückzug an.
Was den Aufstand gegen Laschet bislang verhinderte, war neben einer gewissen Parteichef-Wahlmüdigkeit vor allem die Überlegung: Zerlegt sich die Union, zerlegt sie damit auch ihre letzte Chance auf die Macht. Die aber scheint zumindest die CSU ohnehin nicht mehr zu sehen. Parteichef Markus Söder jedenfalls gratuliert SPD-Mann Olaf Scholz am Dienstag zum Wahlsieg und setzt hinzu: „Die besten Chancen, Kanzler zu werden, hat derzeit Olaf Scholz – eindeutig.“Jamaika ist für die Christsozialen also keine Möglichkeit mehr, sondern nur noch eine Rückfallposition, wenn Rot-Grün-Gelb scheitern sollte. Das aber bedeutet eigentlich, dass niemand mehr Rücksicht nehmen muss auf einen angeschlagenen CDU-Parteichef.