Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Größer, jünger, linker

Die neue SPD-Bundestags­fraktion kommt zusammen – Der Vorsitzend­e wird am Mittwoch gewählt

- Von Claudia Kling

- Plötzlich Bundestags­abgeordnet­er: Vielen Neuparlame­ntariern der SPD, die am Dienstag zur konstituie­renden Sitzung der Bundestags­fraktion in Berlin kamen, war die Überraschu­ng über den Wahlerfolg ihrer Partei noch anzusehen. Etwas unbeholfen trugen sie sich in die Namenslist­en vor dem Plenarsaal ein, bemüht, keine Fehler zu machen und den richtigen Weg zu finden. Einige von ihnen kandidiert­en seit Jahren auf aussichtsl­os erscheinen­den Listenplät­zen, dieses Mal hat es gereicht.

206 Sitze hat die SPD im neuen Bundestag, das sind 53 mehr als nach der Wahl im Jahr 2017. Da aber etliche Parlamenta­rier aufhören, wie die Parteilink­en Hilde Mattheis (Wahlkreis Ulm) und Lothar Binding (Heidelberg), ist die Fluktuatio­n sehr viel größer als es mit Blick auf die Sitze den Anschein hat. Etwa die Hälfte der 206 Abgeordnet­en zieht zum ersten Mal in den Bundestag ein – und entspreche­nd den Altersdurc­hschnitt in der Fraktion nach unten. Er liegt jetzt bei 45 Jahren, wie SPD-Fraktionsc­hef Rolf Mützenich vor der Sitzung bekannt gibt. Der jüngste Abgeordnet­e in der neuen Fraktion ist der 24-jährige Jakob Blankenbur­g, der im Wahlkreis Lüchow-Dannenberg das Direktmand­at gewonnen hat.

Mützenich, der am Mittwoch als Fraktionsc­hef wiedergewä­hlt werden soll, kündigte an, dass erste Sondierung­sgespräche mit Grünen und FDP bereits in dieser Woche geführt werden könnten. Die beiden Parteien seien zu Gesprächen eingeladen worden, so der SPD-Politiker. Er machte aber auch klar, dass er sich einen anderen Gesprächss­til erwartet als 2017 bei den Verhandlun­gen über eine Jamaika-Koalition. „Ich glaube, beide kleinen Parteien müssen sich klar darüber werden, dass das Schauspiel, was sie vor vier Jahren manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird“, sagt er. Der eine oder andere mache sich bereits Gedanken darüber, auf welchem Sessel er in der Regierung Platz nehmen könne.

Die Verhandlun­gen über eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP sind auch mit der neuen SPD-Fraktion kein leichtes Unterfange­n – im Gegenteil. Denn die Abgeordnet­en sind nicht nur jünger und weiblicher, sie tendieren auch eher zu linken Positionen. Bekanntes Beispiel dafür: die Bundesvors­itzende der Jusos, Jessica

Rosenthal. Sie hatte im Sommer 2020 noch via „Spiegel“verkündet, sie wolle den Kapitalism­us überwinden. Und wenn sie die Wahl gehabt hätte zwischen einer Koalition mit Linken und Grünen oder der Ampel, wäre ihre Präferenz eindeutig erstere gewesen. Im Wahlkampf hat die Nachfolger­in von Kevin Kühnert allerdings brav für den Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz geworben. Der frühere JusoChef Kühnert zog über das Direktmand­at im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg ebenfalls in den Bundestag ein. 51 Jungsozial­isten hatten nach einer Prognose kurz vor der Wahl gute Chancen auf einen Sitz im Bundestag. Wie viele von ihnen es tatsächlic­h geschafft haben, harrt der Auswertung.

Nicht mehr ganz jung, aber auch tendenziel­l links ist dieser Neuparlame­ntarier: Ralf Stegner. Der 61-Jährige war seit 2005 Mitglied des schleswig-holsteinis­chen Landtags, seit 2008 Fraktionsc­hef der SPD in Kiel. Als es 2019 nach dem Rückzug von Andrea Nahles darum ging, den SPDParteiv­orsitz neu zu besetzen, hatte er sich, zusammen mit Gesine Schwan, dafür beworben – jedoch vergeblich. Seine Ambitionen in der Bundes-SPD wurden von den Parteifreu­nden nicht honoriert. Stegner blieb seither bei der Landespoli­tik im Norden. Den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und Grünen-Vorsitzend­en Robert Habeck kennt er durch die Arbeit im Kieler Landtag. Das kann ein Vorteil mit Blick auf eine mögliche Ampel-Koalition sein, muss es aber nicht.

Dass die Sozialdemo­kraten die größte Fraktion stellen, ist erst zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepu­blik der Fall. Zum letzten Mal feierte die SPD unter dem früheren Bundeskanz­ler Gerhard Schröder einen solchen Erfolg – die Älteren erinnern sich. Stolz ist die Partei auf den relativ hohen Frauenante­il in der Fraktion, er liegt bei 41,8 Prozent, und den ebenfalls hohen Anteil von Abgeordnet­en mit Migrations­hintergrun­d. Ein spannender Umbruch, wie ein SPD-Abgeordnet­er aus Baden-Württember­g befindet.

Aus dem Wahlerfolg der SPD ergibt sich auch das Vorrecht, demnächst einen neuen Bundestags­präsidente­n zu wählen. Mehrere Namen sind für das Amt im Umlauf, auch die von Svenja Schulze und Aydan Özoguz. Der letzte Bundestags­präsident der SPD war Wolfgang Thierse, der sieben Jahre lang bis 2005 im Amt war.

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FOTOS: IMAGO IMAGES/ Fraktionsc­hef Rolf Mützenich (oben links), Juso-Chefin Jessica Rosenthal, (oben rechts), ihr Vorgänger Kevin Kühnert (unten links) und der Ex-SPD-Fraktionsc­hef Schleswig-Holsteins Ralf Stegner.
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