Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Größer, jünger, linker
Die neue SPD-Bundestagsfraktion kommt zusammen – Der Vorsitzende wird am Mittwoch gewählt
- Plötzlich Bundestagsabgeordneter: Vielen Neuparlamentariern der SPD, die am Dienstag zur konstituierenden Sitzung der Bundestagsfraktion in Berlin kamen, war die Überraschung über den Wahlerfolg ihrer Partei noch anzusehen. Etwas unbeholfen trugen sie sich in die Namenslisten vor dem Plenarsaal ein, bemüht, keine Fehler zu machen und den richtigen Weg zu finden. Einige von ihnen kandidierten seit Jahren auf aussichtslos erscheinenden Listenplätzen, dieses Mal hat es gereicht.
206 Sitze hat die SPD im neuen Bundestag, das sind 53 mehr als nach der Wahl im Jahr 2017. Da aber etliche Parlamentarier aufhören, wie die Parteilinken Hilde Mattheis (Wahlkreis Ulm) und Lothar Binding (Heidelberg), ist die Fluktuation sehr viel größer als es mit Blick auf die Sitze den Anschein hat. Etwa die Hälfte der 206 Abgeordneten zieht zum ersten Mal in den Bundestag ein – und entsprechend den Altersdurchschnitt in der Fraktion nach unten. Er liegt jetzt bei 45 Jahren, wie SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich vor der Sitzung bekannt gibt. Der jüngste Abgeordnete in der neuen Fraktion ist der 24-jährige Jakob Blankenburg, der im Wahlkreis Lüchow-Dannenberg das Direktmandat gewonnen hat.
Mützenich, der am Mittwoch als Fraktionschef wiedergewählt werden soll, kündigte an, dass erste Sondierungsgespräche mit Grünen und FDP bereits in dieser Woche geführt werden könnten. Die beiden Parteien seien zu Gesprächen eingeladen worden, so der SPD-Politiker. Er machte aber auch klar, dass er sich einen anderen Gesprächsstil erwartet als 2017 bei den Verhandlungen über eine Jamaika-Koalition. „Ich glaube, beide kleinen Parteien müssen sich klar darüber werden, dass das Schauspiel, was sie vor vier Jahren manchmal auf Balkonen absolviert haben, nicht den Aufgaben gerecht wird“, sagt er. Der eine oder andere mache sich bereits Gedanken darüber, auf welchem Sessel er in der Regierung Platz nehmen könne.
Die Verhandlungen über eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP sind auch mit der neuen SPD-Fraktion kein leichtes Unterfangen – im Gegenteil. Denn die Abgeordneten sind nicht nur jünger und weiblicher, sie tendieren auch eher zu linken Positionen. Bekanntes Beispiel dafür: die Bundesvorsitzende der Jusos, Jessica
Rosenthal. Sie hatte im Sommer 2020 noch via „Spiegel“verkündet, sie wolle den Kapitalismus überwinden. Und wenn sie die Wahl gehabt hätte zwischen einer Koalition mit Linken und Grünen oder der Ampel, wäre ihre Präferenz eindeutig erstere gewesen. Im Wahlkampf hat die Nachfolgerin von Kevin Kühnert allerdings brav für den Kanzlerkandidaten Olaf Scholz geworben. Der frühere JusoChef Kühnert zog über das Direktmandat im Berliner Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg ebenfalls in den Bundestag ein. 51 Jungsozialisten hatten nach einer Prognose kurz vor der Wahl gute Chancen auf einen Sitz im Bundestag. Wie viele von ihnen es tatsächlich geschafft haben, harrt der Auswertung.
Nicht mehr ganz jung, aber auch tendenziell links ist dieser Neuparlamentarier: Ralf Stegner. Der 61-Jährige war seit 2005 Mitglied des schleswig-holsteinischen Landtags, seit 2008 Fraktionschef der SPD in Kiel. Als es 2019 nach dem Rückzug von Andrea Nahles darum ging, den SPDParteivorsitz neu zu besetzen, hatte er sich, zusammen mit Gesine Schwan, dafür beworben – jedoch vergeblich. Seine Ambitionen in der Bundes-SPD wurden von den Parteifreunden nicht honoriert. Stegner blieb seither bei der Landespolitik im Norden. Den FDP-Politiker Wolfgang Kubicki und Grünen-Vorsitzenden Robert Habeck kennt er durch die Arbeit im Kieler Landtag. Das kann ein Vorteil mit Blick auf eine mögliche Ampel-Koalition sein, muss es aber nicht.
Dass die Sozialdemokraten die größte Fraktion stellen, ist erst zum vierten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik der Fall. Zum letzten Mal feierte die SPD unter dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder einen solchen Erfolg – die Älteren erinnern sich. Stolz ist die Partei auf den relativ hohen Frauenanteil in der Fraktion, er liegt bei 41,8 Prozent, und den ebenfalls hohen Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund. Ein spannender Umbruch, wie ein SPD-Abgeordneter aus Baden-Württemberg befindet.
Aus dem Wahlerfolg der SPD ergibt sich auch das Vorrecht, demnächst einen neuen Bundestagspräsidenten zu wählen. Mehrere Namen sind für das Amt im Umlauf, auch die von Svenja Schulze und Aydan Özoguz. Der letzte Bundestagspräsident der SPD war Wolfgang Thierse, der sieben Jahre lang bis 2005 im Amt war.