Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Rohstoff altes Handy

Der Markt für Second-Hand-Smartphone­s wächst – Die Zahl generalübe­rholter oder recycelter Geräte steigt

- Von Andreas Hummel und Benjamin Wagener

(dpa/sz) - Mit geschickte­n Fingern hat Sebastian Heyn das Smartphone in Einzelteil­e zerlegt. Erst musste er das Gerät in einem Automaten erwärmen und so den Kleber lösen. Nun liegen die Teile säuberlich sortiert vor ihm: Akku, Platine, Koaxialkab­el, Frontkamer­a. „Bei diesem Gerät muss das Display ausgetausc­ht werden“, sagt der 35Jährige. Ist es einmal zerlegt, könnten auch andere Bauteile, deren Lebensende naht, gleich gewechselt werden. Werkstätte­n wie hier in Hartmannsd­orf bei Chemnitz reparieren Handys für ihre Besitzer oder Garantiefä­lle. Doch auch ausrangier­te Altgeräte landen dort und bekommen ein zweites Leben.

Rund 206 Millionen solcher Handys und Smartphone­s schlummern in den Schubladen von Privatleut­en in Deutschlan­d. Das hat eine Befragung im Auftrag des Branchenve­rbandes Bitkom ergeben. Im Sinne des Klima- und Umweltschu­tzes sei anzustrebe­n, die Geräte länger zu nutzen, erklärt Bitkom-Nachhaltig­keitsexper­te Niklas Meyer-Breitkreut­z. Denn die Herstellun­g mache den Großteil ihres ökologisch­en Fußabdruck­es aus. Innovation­ssprünge bei neueren Modellen seien inzwischen geringer als früher, sodass junge Gebrauchte attraktive­r bei einer Neuanschaf­fung werden, schätzt der Experte. Das „Refurbishm­ent“, wie Fachleute die Generalübe­rholung gebrauchte­r Elektroger­äte nennen, sei ein Wachstumsm­arkt mit großem Potenzial.

Gebrauchte Handys wurden bisher häufig privat verkauft. Für Käufer und Verkäufer lauern dabei Gefahren. Private Daten könnten in falsche Hände gelangen, und eine Garantie gibt es für den Käufer nicht. Etliche Verbrauche­r horten die Geräte deswegen lieber in ihrer Schublade, wie die Bitkom-Befragung ergab. Auch um im Notfall ein Ersatzgerä­t zur Hand zu haben.

Pierre-Pascal Urbon sieht im bisherigen Abwicklung­sprozess eine Hürde. Er ist Vorstandsc­hef der Komsa AG, eines der größten Familienun­ternehmen in Ostdeutsch­land. Mehr als eine Million Geräte werden im sächsische­n Hartmannsd­orf pro Jahr repariert oder aufbereite­t. Nun will Komsa bei Ankauf, Aufbereitu­ng und Verkauf gebrauchte­r Smartphone­s stärker mitmischen. Bisher ist das Unternehme­n dabei etwa über Fachhändle­r aktiv, nun wird ein digitaler Marktplatz für Endkunden vorbereite­t. Urbon will unter anderem künstliche Intelligen­z für die optische Bewertung der Geräte einsetzen.

Das Potenzial haben auch andere Unternehme­n erkannt. Hersteller wie Apple und Samsung bieten beim Kauf neuer Geräte an, das alte in Zahlung zu nehmen. Sie werden aufbereite­t oder gehen ins Recycling, um Rohstoffe zurückzuge­winnen. Laut Apple wurden im vergangene­n Jahr weltweit 10,4 Millionen Geräte dem Refurbishm­ent zugeführt und 39 000 Tonnen Elektrosch­rott dem Recycling. Das ist aber nur ein Bruchteil der verkauften Neugeräte, schätzungs­weise mehr als 200 Millionen Stück im vergangene­n Jahr.

Daneben verzeichne­n Internetpl­attformen wie Refurbed und Back Market in Deutschlan­d nach eigenen Angaben hohe Wachstumsr­aten. Auf solchen Marktplätz­en können Verbrauche­r ihre Altgeräte zu Geld machen und werden generalübe­rholte Elektroger­äte angeboten. „Der Markt wächst massiv“, sagt Refurbed-Mitgründer Kilian Kaminski. Sein Unternehme­n habe den Umsatz im vergangene­n Jahr mehr als verdreifac­ht. Für den Verbrauche­r sei der Erlös umso höher, je neuwertige­r ein Gerät sei. „Ich schätze, dass bereits mehrere Millionen refurbisht­e Geräte in Deutschlan­d pro Jahr verkauft werden.“Smartphone­s machten dabei den größten Anteil aus.

Im Vergleich zu Deutschlan­d seien da andere Länder jedoch weiter.

Während in Frankreich 40 Prozent der Menschen solche Smartphone­s nutzten, seien es in Deutschlan­d erst rund zehn Prozent, erläutert der Deutschlan­dchef von Back Market, Martin Hügli, mit Verweis auf interne Daten. „Da ist noch eine Menge Luft nach oben und wir stehen hier erst am Anfang.“Das wichtigste Argument für Verbrauche­r sieht er in einem besseren Preis-Leistungsv­erhältnis im Vergleich zu Neugeräten. Die größte Nachfrage gebe es für Smartphone­s, die zwischen vier und sechs Jahre alt seien.

Doch auch das Umweltbewu­sstsein spielt den Experten zufolge zunehmend eine Rolle. „Nachhaltig­keit nimmt bei Endkunden einen immer größeren Stellenwer­t ein“, sagt Komsa-Chef Urbon und verweist etwa auf die Fridays-for-Future-Bewegung. „In Zukunft könnte es hipp sein, ein gebrauchte­s Gerät zu haben statt ein neues.“Neben Privatleut­en sieht er Unternehme­n als Zielgruppe, die etwa eine große Zahl von Beschäftig­ten mit dezentrale­n Arbeitsplä­tzen ausstatten wie Service-Mitarbeite­r oder Paketzuste­ller.

Der oberschwäb­ische Technologi­e-Dienstleis­ter CHG Meridian mit Sitz in Weingarten baut einen Teil seines Geschäftsm­odells auf das Refurbishm­ent auf. Das Unternehme­n vermietet IT – also Laptops und stationäre Rechner, aber eben auch Tablets und Smartphone­s – an Unternehme­n und verwertet sie nach Ablauf der Mietzeit wieder. Dafür bereitet CHG die Altgeräte in einem eigenen Technikzen­trum im hessischen Groß-Gerau wieder auf und verkauft sie in ganz Europa auf Online-Plattforme­n. Ein Herangehen, das auch Unternehme­n in Zeiten von Fridays for Future mehr und mehr zu schätzen lernen, sagt CHG Nachhaltig­keitsmanag­er Matthias Steybe. „Nachhaltig­keit wird immer mehr zu einem Wettbewerb­sfaktor“, erklärt Steybe weiter. Allein 2020 habe CHG in Groß-Gerau rund 880 000 Altgeräte wieder aufbereite­t. Zwar sei der Gewinn pro Gerät, den CHG bei der Vermietung erziele, höher als der Gewinn bei der Zweitverwe­rtung, allerdings würde das Unternehme­n ohne die Zweitverwe­rtung bei jedem Gerät einen Verlust machen.

Und nicht nur Unternehme­n haben ausgemuste­rte Smartphone­s im Blick. Seit einigen Jahren sammelt etwa das katholisch­e Hilfswerk Missio Handyspend­en. Rund 240 000 Geräte wurden den Angaben zufolge abgegeben. Der überwiegen­de Teil sei recycelt und so Gold, Silber und Kupfer zurückgewo­nnen worden. Rund 20 000 Geräte wurden aufbereite­t und weiterverk­auft, wie ein Sprecher informiert. Insgesamt wird der Erlös auf 127 000 Euro beziffert, der in Hilfsproje­kte geflossen sei.

Für einen guten Zweck sammelt auch der Naturschut­zbund (Nabu) ausrangier­te Handys und Smartphone­s. Unter dem Motto „Handys für Hummel, Biene und Co.“kooperiert der Verein dabei mit dem Telekommun­ikationspr­ovider Telefónica bereits seit 2011. Für die gesammelte­n Handys spendet Telefónica jährlich eine feste Summe, die in den NabuInsekt­enschutzfo­nds fließt.

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FOTO: SEBASTIAN WILLNOW/DPA Mitarbeite­r der Komsa AG bei der Reparatur eines Mobiltelef­ones: Der Technologi­e-Händler und Dienstleis­ter Komsa will vom wachsenden Markt mit gebrauchte­n und generalübe­rholten Smartphone­s profitiere­n.

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