Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Deutschland vor Gericht
Das Staatsschauspiel Stuttgart eröffnet die Saison mit der Uraufführung eines Weltgerichts zum Thema „Ökozid“
- Dass die Sache mit dem Klimawandel nicht unbedingt vergnügungssteuerpflichtig ist, weiß man nicht erst, seit in Stuttgart ein Klimagericht der besonderen Art tagt. Die dokumentarische Zukunftsforschung „Ökozid“gab es vor einem Jahr als Fernsehfilm im Rahmen der ARD-Themenwoche „#Wie Leben“. Regie führte damals Andres Veiel. Zusammen mit Jutta Doberstein hat er nun eine Bühnenfassung erarbeitet, die im Staatsschauspiel Uraufführung hatte. Diese wagt eine mit dokumentarischem Material angereicherte fiktive Reise ins Jahr 2035, direkt vor die Schranken eines Internationalen Gerichtshofs. Kläger ist der globale Süden, auf der Anklagebank sitzt die Bundesrepublik Deutschland. Verhandelt werden die politischen Entscheidungen, die in der Regierungszeit von Gerhard Schröder und Angela Merkel eine Verringerung des CO2-Ausstoßes verhinderten. Inszeniert hat der Intendant des Staatsschauspiels Burkhard C. Kosminski, und der ahnte wohl, dass so ein Stoff auf der Theaterbühne etwas mehr braucht als den Nachvollzug einer Gerichtsverhandlung.
Zu Beginn betritt eine Frau die Bühne, die noch gar nicht zum eigentlichen Stück gehört und die eigens aus der Hauptstadt des westafrikanischen Küstenstaates Sierra Leone angereist ist. Yvonne Aki-Sawyerr ist Bürgermeisterin der Hauptstadt Freetown und eine weltweit geachtete Politikerin aus einem der ärmsten Länder der Welt. Sie berichtet, wie das 2017 direkt vor ihrer Haustür mit dem Klimawandel aussah. Lang anhaltende Regenfälle hatten einen Erdrutsch zur Folge, mehr als tausend Menschen starben in der Schlammlawine, mehr als doppelt so viele wurden obdachlos und gehören seitdem zu jener Migrationswelle, vor der die Europäer so viel Angst haben, dass sie sogar über das Massengrab Mittelmeer hinwegsehen. Aki-Sawyerr, Absolventin der renommierten London School of Economics and Political Science, spricht mit einem gewinnenden Lächeln über harte Klimafakten. dass man sie am liebsten zur nächsten Bundeskanzlerin gewählt hätte. AkiSawyerrs charmanter Auftritt belegt, dass das Staatsschauspiel auf jeden Fall an dem Plan festhalten sollte, zu jeder „Ökozid“-Vorstellung prominente Klimareferentinnen aus der ganzen Welt einzuladen.
Nach der Ouvertüre gab es dann Veiel/Dobersteins „Modellversuch“, so der Untertitel des Weltgerichts, das von der dramatischen Annahme ausgeht, in naher Zukunft könnten Staaten wegen unterlassener Klimahilfeleistung vor Gericht stehen. Dummerweise ist „Ökozid“aber kein dramatischer Theatertext, sondern eine juristische Laborkonstellation,
in der das Urteil schon feststeht, bevor Argumente ausgetauscht werden. Ironische Distanz zum Thema scheint nur selten auf, etwa wenn die Richterin des Internationalen Gerichtshofs zu Beginn vermeldet, der Angeklagte Gerhard Schröder erscheine nicht zur Verhandlung. Er sei aufgrund seines hohen Alters unpässlich und halte sich in der Russischen Förderation auf. Anke Schubert, die Stuttgarter Richterin des Internationalen Gerichtshofes, sagt das nebenbei und sorgt im Weiteren dafür, dass die vertretenen Parteien sich an Verfahrensregeln halten.
Das macht der Anwalt der Verteidigung (Sven Prietz) dann auch, stellt aber doch ziemlich plump das gesamte Verfahren infrage, während die Anwältinnen der Anklage (Josephine Köhler und Marietta Meguid) zu belegen versuchen, sowohl Gerhard Schröder als auch Angela Merkel hätten in den zurückliegenden Jahrzehnten zwar den ökologischen Kurswechsel versprochen, hinter den Kulissen aber zum Wohl der deutschen Wirtschaft mit industriellen Klimakillern paktiert.
Dass Schauspielintendant Kosminski diesen Text unbedingt inszenieren und zur Bundestagswahl zu Gehör bringen wollte, ist nachvollziehbar. Sein Versuch, Veiel/Dobersteins staubtrockene Vorlage mit Einlagen aufzufrischen und mal kurz Janis Joplins „Oh Lord won’t you buy me a Mercedes Benz“singen zu lassen, ist allerdings alles andere als aufregend.
Auf der anderen Seite der ästhetischen Waagschale liegen gelungene Bilder, etwa wenn Kosminski im Zusammenspiel mit Bühnenbildner Florian Etti den gesamten Zuschauerraum mit Videos von Umweltaktivisten aus der ganzen Welt bespielt oder Tausende PET-Flaschen vom Bühnenhimmel regnen und wie eine Plastiklawine in Richtung Zuschauer schieben lässt. Am Ende wird es noch mal reichlich fiktiv. Nicole Heesters plädiert als Angeklagte Merkel dafür, den Klägern recht zu geben und die Bundesrepublik Deutschland zu Strafzahlungen zu verdonnern. Auch das passt zum Grundton von „Ökozid“, demzufolge die Klimaretter dieser Welt schon immer recht hatten. Dumm für das Theater ist, dass dem heute kaum noch ein politischer Mandatsträger widerspricht. So gesehen war es folgerichtig, dass es auf der Stuttgarter Bühne nicht um die Verhandlung einer wie auch immer dramatisch ausformulierten Schuldfrage gehen konnte, sondern „nur“noch um Reparationszahlungen.
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