Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Der aus dem „europäischen Top-Regal“
Bayerns Süle blüht unter Trainer Nagelsmann wieder auf – Nicht nur gegen Kiew soll er sein „Zehner-Gen“zeigen
- Um in der Sprache dieser Tage zu bleiben: Zwei Misstrauensvoten musste Niklas Süle (26) zu Beginn dieser Saison über sich ergehen lassen, zumindest aus Sicht der sportlichen Führung des FC Bayern waren diese konstruktiver Art. Dem Innenverteidiger wurden zwei weitere Fachkräfte auf seinem Spezialgebiet vor die Nase gesetzt.
Zum einen Neuzugang Dayot Upamecano, im Sommer für 42,5 Millionen Euro von RB Leipzig an die Säbener Straße transferiert und auf Listenplatz eins im Ranking der Partei der zentralen Abwehrspieler gesetzt. Der Franzose, 22 Jahre jung, wurde mit einem Fünfjahresvertrag ausgestattet und mit Komplimenten überhäuft, gilt als designierter Chef des Verteidigungsministeriums. Lucas Hernández (25) sollte zwei Jahre nach seiner Rekord-Verpflichtung für rund 80 Millionen Euro Ablöse von Atlético Madrid nicht mehr fachfremd im Ressort Außenverteidigung eingesetzt werden, sondern in das prestigeträchtigere Innenressort wechseln.
Hieß für Süle: Ein zu erwartendes Hinterbänklerdasein. Noch dazu, da er in der Saison 2020/21 lediglich 33 (27 von Beginn an) der insgesamt 50 Pflichtspiele für die Bayern bestritten hatte. Im November bremste ihn eine Zwangsquarantäne nach einem falsch positiven Corona-Test aus, im April – als er sich gerade wieder einen Stammplatz gesichert hatte – ein Muskelfaserriss. Obwohl David Alaba, der österreichische Generalsekretär der Abwehr, sowie Alterspräsident Jérôme Boateng, auf Wahlkampftour für einen neuen Verein, im Sommer den Verein verließen, war Süle dennoch in der SäbenerHierarchie gesunken. Die EM 2020 im Sommer geht auch als verlorene Zeit mit lediglich 17 Minuten Spielzeit in seine Vita ein. Er musste von draußen zusehen wie Matthias Ginter, Mats Hummels und Antonio Rüdiger eine wacklige Dreierkette bildeten.
Dass Süle im Sommer bei nur noch einem Jahr Vertrag bis Ende Juni 2022 und aufgeschobenen Verhandlungen den FC Bayern nicht verließ, lag allein am neuen Trainer, mit dem er einst bereits bei der TSG Hoffenheim zusammengearbeitet hat. Neue, letzte Chance? Neues Glück?
Unter Nagelsmanns Vorgänger Hansi Flick verlor Süle seinen Stammplatz, auch weil er zeitweise mit Fitnessproblemen zu kämpfen hatte. „Ich kenne Niki seit der Jugend und weiß, was er für Potenziale, aber auch Baustellen hat“, betonte Nagelsmann, „er ist einer, der im europäischen Top-Regal spielt. Er weiß aber auch selbst, dass er noch Entwicklungsschritte gehen muss. Ich bin aber absolut zufrieden mit ihm.“
Was Nagelsmann vor dem zweiten Gruppenspiel der Champions League am Mittwoch gegen Dynamo Kiew (21 Uhr/DAZN) noch einmal konkretisierte: „Wenn du in einem Spieler viel siehst, willst du auch, dass er es auf den Platz bringt. Er ist ein herausragender Fußballer.“Der in der Jugend bei Eintracht Frankfurt einst als Zehner auflief, wie sein Förderer erinnerte. Bei der TSG sei Süle unter Nagelsmann einst „sukzessive nach hinten gerückt“. Von der Spielmacher-Rolle auf die Sechs, schließlich in die Innenverteidigung. Ein erfolgreiches Downgrading. „Heute ist er glücklich darüber“, so Nagelsmann, „aber er hat immer noch das Zehner-Gen in sich. Das muss er im Spiel mit dem Ball noch mehr zeigen, dann hat er auch noch mehr Einfluss auf das Offensivgeschehen, das versuche ich aus ihm herauszukitzeln.“
In acht der neun Pflichtspiele dieser Saison stand Süle in der Startelf. Auch Freitag beim 3:1 in Fürth. Trotz der vermeintlichen Chatnachrichten von Süle, die „Der Spiegel“geleakt hatte. Diese sollen in den Jahren 2018 und 2019 an einen Inhaber einer Sportagentur gegangen sein und enthielten dem Bericht zufolge frühere Abwanderungsgedanken des Nationalspielers in Richtung Premier League. Nagelsmann fand es „grenzwertig, wenn solche Chatverläufe an die Öffentlichkeit gegeben werden. Das hat auch mit Vertrauen zu tun.“
Vertrauen ist auch der Knackpunkt, wenn es um Süles Zukunft geht. Da er 2022 ablösefrei ist, hat er alle Karten in seiner Hand und könnte bei einem Wechsel ein ordentliches Handgeld kassieren. Und die Bayern? Warten dessen Entwicklung ab und ob Nagelsmann ein Veto gegen einen Abschied einlegt. Außerdem ist da noch die Versuchung namens Antonio Rüdiger (28) vom Champions-League-Sieger FC Chelsea, dessen Vertrag kommenden Sommer ebenfalls ausläuft.