Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Weidel bleibt AfD-Fraktionschefin
Partei setzt weiter auf eine Doppelspitze – Gauland stützt die umstrittene Politikerin
- Alice Weidel führt gemeinsam mit Tino Chrupalla die neue AfD-Fraktion im Bundestag an. Das ist das nüchterne Resultat einer selbst für AfD-Verhältnisse turbulenten Woche in Berlin. Am Ende war es ein Patt bei einer Abstimmung, das Weidel vor einer Blamage bewahrte. Aber der Reihe nach: Vier Jahre lang bildete Weidel gemeinsam mit Alexander Gauland ein ungleiches Paar an der Fraktionsspitze. Der 80-jährige Gauland wollte nicht mehr in die erste Reihe, Weidel dort bleiben. Doch der Widerstand in der Fraktion war enorm. Vor der Abstimmung konnte niemand seriös sagen, ob es die 42-Jährige nochmal an die Spitze schafft.
Und das trotz der Unterstützung von Chrupalla, der sich in einer Abstimmung gemeinsam mit Weidel wählen lassen wollte. Der Parteichef ist nicht völlig unumstritten, aber sein Wort hat Gewicht. Wahrscheinlich war es aber eine Intervention Gaulands, die Weidel rettete. Der Ehrenvorsitzende betonte demonstrativ die „sehr gute Zusammenarbeit“mit Weidel.
Zunächst stimmte die Fraktion darüber ab, ob sie weiterhin eine Doppelspitze will – oder lieber einen Vorsitzenden. Der Antrag wurde von einer Gruppe um die Baden-Württemberger Dirk Spaniel und Jürgen Braun eingebracht, die Weidel verhindern wollten, hieß es aus Fraktionskreisen. Auch Rüdiger Lucassen, einflussreicher und ambitionierter Landeschef von Nordrhein-Westfalen, soll dabeigewesen sein. Es war klar: Kommt der Antrag durch, übernimmt Chrupalla alleine die Fraktionsführung.
Gaulands Intervention war erfolgreich, der Antrag wurde überraschend deutlich abgelehnt.
Doch das war nicht das einzige Ass im Ärmel der Weidel-Gegner. Plan B sah vor, zwar ein Duo zu wählen, aber einzeln über die Kandidaten abzustimmen. Damit hätte Chrupalla für seinen Einsatz im Wahlkampf belohnt werden können, Weidel aber abgestraft. Hierfür zeigte sich die Fraktion schon deutlich offener, am Ende fehlte eine Stimme: 37 Stimmen dafür, 37 dagegen, verlautete es aus Fraktionskreisen. Das Patt bedeutet: Antrag abgelehnt.
Weidel kommt also mit einem dunkelblauen Auge davon. Sie ist jetzt erst einmal für zwei Jahre wiedergewählt. Dass ein Duo gemeinsam gewählt wird, kam ihr schon 2017 und 2019 entgegen, als sie gemeinsam mit Gauland gewählt wurde, zunächst mit 86 Prozent, dann mit 78. Gemeinsam mit Chrupalla erreichte sie jetzt 50 Ja-Stimmen. Auf die 82-köpfige Fraktion gerechnet eine Zustimmung von mageren 61 Prozent. 25 Abgeordnete stimmten gegen das Duo, zwei enthielten sich.
Der wilde Donnerstag war eine Fortsetzung eines turbulenten Mittwochs. Die neue Fraktion wollte eigentlich schon den Vorstand wählen. Stattdessen ging es mehrere Stunden um Matthias Helferich. Der 32-Jährige wurde über die Landesliste Nordrhein-Westfalen in den Bundestag gewählt, darf jetzt aber nicht Teil der AfD-Fraktion sein. Er hatte sich in einem Chat als „das freundliche Gesicht des NS“bezeichnet. Öffentlich wurde auch die Selbstbeschreibung als „demokratischer Freisler“, eine Anspielung auf den Richter Roland Freisler, Präsident des Volksgerichtshofes in der NS-Diktatur.
Für einen Parteiausschluss reichte all das nicht, der Vorstand war gespalten. Daher kam es durchaus überraschend, dass die Fraktion jetzt eine rote Linie zog. Also zumindest eine hellrote. Helferich überlegt, einen Antrag auf „Gaststatus“für die Fraktion zu stellen. Damit hätte er in diesem Gremium kein Stimmrecht. Wann eine Entscheidung in der Sache fällt, ist aber noch offen. Auch über die Aufnahme des Sachsen Matthias Moosdorf in die Fraktion wurde diskutiert, aber längst nicht so lange. Der Musiker hatte sich in einem Brief kritisch über Gauland geäußert, ihm zu viel Verständnis für radikale Kräfte vorgeworfen. Er wird Teil der Fraktion. Die erste Woche im neuen Bundestag zeigt aber: Gaulands Einfluss in der AfD schwindet zwar, aber gegen ihn Politik zu machen ist immer noch schwer.